von Christina Antoniadou
Meine Freundin und ich beschließen, über den großen Teich zu fliegen und dort ihre Zwillingstöchter zu besuchen, die an der Universität in Washington ihre Doktorarbeit schreiben. Und da wir uns schon einmal die Mühe machen, wollen wir auch etwas mehr von den Staaten sehen. Wir sind uns schnell in einem einig, nämlich was dieses „mehr“ darstellen soll: New York City. Die amerikanischen Töchter werden auch aus Washington dazu stoßen, denn schließlich hat Hollywood diesbezüglich ganze Arbeit geleistet und uns alle neugierig gemacht. Wie oft durften wir diese Megastadt schon als Drehort für Filme und Serien bestaunen! Folglich sitzt meine Freundin, die ein außerordentliches Organisationstalent aufzuweisen hat, mit mehreren Reiseführern am Computer, um unseren 8-tägigen Aufenthalt in New York möglichst effektiv zu planen und nichts dem Zufall zu überlassen. Als geeignete Geräuschkulisse, erklärt sie mir, wähle sie jedes Mal zwecks Inspiration Frank Sinatra und Alicia Keys mit ihren gleichnamigen Liedern.
Das Hotel will gut ausgesucht sein, darum entscheidet sie sich für eins in der 50th Street, dessen Lage ihr strategisch günstig erscheint. Bei unserer Ankunft werden wir nicht enttäuscht und bekommen statt zwei Doppelzimmer sogar eine Suite mit Balkon. Wie großzügig vom Kimberly Hotel! Herzlichen Dank, auch für den direkten und vortrefflichen Blick auf eins der bemerkenswertesten Hochhäuser New Yorks, auf das Chrysler Building. Überwältigt von dem Anblick um uns herum, aber auch von den unzähligen, kleinen, gelben Taxen, die Dutzende von Stockwerken unter uns wie winzige Matchbox-Autos hintereinander herfahren, können wir unser Glück kaum fassen. New York City, here we are!
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Um auf die effektive Planung meiner Freundin mit Hilfe der Reiseführer – allesamt ausführliche Bücher von exquisiten Verlagen – zurückzukommen: Sie gehört zu der Sorte von Touristen, die das Reiseziel höchst ungern mit dem Gefühl verlassen, eine Sehenswürdigkeit verpasst zu haben. Folglich müssen in der Praxis alle Beteiligten eins aufweisen: Energie. Möglichst viel davon. Was die Stadt an Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, wird nämlich in zeitsparender Form besichtigt und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Jeglicher Versuch, geschunden am Bordstein zu verweilen, mit schmerzverzerrtem Gesicht um Erbarmen zu flehen oder die Blasen an den Füßen abzuzählen gelten als einfältiges Ablenkungsmanöver, denn die Reise steht unter folgenden Mottos: Nur keine Müdigkeit vorschützen! Wer weiß, ob und wann wir je wieder zusammen hierher kommen! Der Rest der Moralpredigt gilt ausschließlich den Zwillingen: Wisst ihr eigentlich, was mich diese Reise für uns alle gekostet hat? Ich bin schließlich älter als ihr und mache auch nicht schlapp. Also weiter geht´s und ich will nichts mehr hören. Ist das klar?
Kurzum, der Bedarf an Sehenswürdigkeiten soll – wie schon erwähnt – weitestgehend gedeckt werden. Um nicht zu sagen, vollständig. Dies könnte unter Umständen dazu führen, dass nach dem New York-Urlaub allein schon die Andeutung des Begriffs „Museum“ Übelkeit verursacht. Wir stehen lange, fast schon zu lange Schlange, um in die erstklassigen Museen New Yorks hineinzugelangen: Metropolitan Museum of Art, MOMA, Guggenheim, Frick Collection.
Wenn unter Touristen die Rede von New York ist, haben sie damit in erster Linie Manhattan im Sinn, die Insel, die vom Hudson River, dem East River und im Norden dem Harlem River umflossen wird. Εrst dann gilt das Interesse den boroughs Brooklyn, Queens, The Bronx oder gar Staten Island. Bei so viel Wasser kommt man nicht umhin, von dem Angebot der Circle Line Gebrauch zu machen und während der Bootsfahrt auch die Freiheitsstatue aus der Nähe zu bewundern. Die sympathische Stimme aus dem Lautsprecher, die uns schon geraume Zeit Details über New York City zukommen lässt, erklärt uns nun netterweise, dass diese Dame aus Kupfer von keinem geringeren als dem französischen Ingenieur Gustave Eiffel errichtet wurde.
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Frei nach dem Motto „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“ wollte sich das französische Volk im Jahre 1886 mit dieser kleinen Aufmerksamkeit bei den Vereinigten Staaten erkenntlich zeigen. Seitdem steht sie im New Yorker Hafen zu majestätischer Größe aufgerichtet, reckt unermüdlich die rechte Hand hoch, um der Welt aus Nah und Fern ihre Fackel mit der vergoldeten Flamme zu zeigen und muss dabei unerschütterlich wirken, auch wenn sie regelmäßig von Blitz oder Hagel getroffen, von Schnee bedeckt und von starken Winden heimgesucht wird. Die nette Stimme aus dem Lautsprecher erwähnt Wetterphänomene, die bei den momentanen Temperaturen nur schwer vorstellbar sind. 35 Grad Celsius sind schon lange überschritten und es ist einfach nur siedend heiß!
Der Central Park gehört ohne Zweifel zu New Yorks Hauptattraktionen, und zwar nicht nur aufgrund der Tatsache, dass dort eine immense Anzahl an Filmen gedreht wurde, wie beispielsweise Love Story, When Harry met Sally, Home Alone, Kramer vs Kramer, Breakfast at Tiffany’s. Die amerikanischen Töchter der Freundin wissen aus Erfahrung, dass man die Größe des Parks nicht unterschätzen sollte und sich die „grüne Lunge“ nur bedingt zu Fuß erkunden lässt. Also werden kurzerhand Fahrräder gemietet, um diese grandiose Anlage bei sonnigem Wetter zu genießen.
Wir fahren an der gigantischen Grünfläche „Sheep Meadow“ vorbei, auf der sich Einheimische und Touristen vom Großstadtdschungel erholen und einfach nur dem Hintergrundrauschen des Großstadtgetümmels lauschen. Männer in bürogerechter Aufmachung sitzen auf Bänken und arbeiten am Laptop. An der Bow Bridge legen wir eine Pause ein und halten Ausschau nach verliebten jungen Männern mit Blumenstrauß in der Hand, die ihrer Liebsten einen Heiratsantrag machen, was sich an dieser Brücke laut Reiseführer des Öfteren zutragen soll. Allerdings scheint sich heute kein Anwärter zu diesem Schritt durchgerungen zu haben. Vermutlich hat es sich bei den Kandidaten herumgesprochen, dass Horden von Touristen mit Kameras ausgestattet darauf warten, Momente wie diesen zu verewigen, sodass sich das Stelldichein verlagert hat. Schließlich gibt es im Central Park Brücken genug dafür. Man kann es ihnen nicht verübeln. Schade eigentlich, denn da ich selber nie in den Genuss eines offiziellen Heiratsantrages mit Blumenstrauß usw. gekommen bin, würde ich das gern einmal in Natura erleben, auch wenn der Kniefall nicht mir persönlich gilt. Stattdessen darf ich mir als Musik-Liebhaberin „Strawberry Fields“ näher anschauen, ein Imagine-Mosaik, das Yoko Ono nach dem Tod von John Lennon gestaltete. Der berühmte Beatle-Sänger fiel hier ganz in der Nähe am Dakota Building einem Attentat zum Opfer.
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Apropos Promis, es heißt, dass viele Stars in dieser sündhaft teuren Nachbarschaft wohnen und darum oft im Park joggen, so wie es Jahre später einer der Spitzenschauspieler tun wird und sich mit den Worten Hi, I am Tom Hanks verschwitzt auf ein Hochzeitsfoto drängelt. Das frisch gebackene Hochzeitspaar hatte gerade ein Fotoshooting und posierte nichts ahnend in die Kamera, als sich Forest Gump einfach zu dem verdutzten Paar dazugesellte.
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Unsere Fahrradtour geht weiter zum Belvedere Castle, das den höchsten und schönsten Ausblick im Central Park bietet und förmlich zum Einlegen einer Pause einlädt. Danach radeln wir weiter Richtung Norden, wo uns die Größe des Parks erst wirklich gewahr wird, als wir bei Temperaturen um 35 Grad einen Hügel hochstrampeln und dabei vor allem meine Freundin außer Atem feststellen muss, dass es Zeiten gab, in denen sie auch schon einmal fitter war. Als Älteste und mit Abstand die Unfitteste im Fahrrad-Bunde hechelt sie ihren Gören schwitzend hinterher und stellt eine hurtige Kopfrechnung an, um das Ende der Tortur abzuschätzen. Schon jetzt weiß ich, was der Freundin bevorsteht, sobald sie als Allerletzte und völlig erschöpft ins Ziel radeln wird. Mit gleicher Münze werden ihr die Zwillinge dank ihrer pädagogischen Fahrlässigkeit den Sightseeing-Marathon der letzten Tage heimzahlen und sich dabei des Spruches bedienen, mit dem sie ihnen bei aufkommender Gefahr einer Meuterei in den Ohren gelegen hat. Schon von weitem höre ich ein schadenfrohes Nur keine Müdigkeit vorschützen! Das muss man als Mutter nun einmal hinnehmen. Sowie den Muskelkater, der ihr am nächsten Tag bevorsteht. Übrigens wird sie nicht die einzige sein, der morgen alles weh tut.
Zum Glück ist der nächste Tag mit weniger sportlichen Aktivitäten versehen, sodass unser Muskelkater nicht gravierend ins Gewicht fällt. Für ihr Leben gern nutzt meine Freundin bei solchen Reisen die Gelegenheit, eine Stadt von oben zu bewundern und damit meine ich sicher nicht von einer Bergspitze aus. Alles, was ein unweigerliches Bergsteigen zur Folge haben könnte, wird ausgeschlossen, wie der werte Leser erkannt haben dürfte. Darüber hinaus bietet sich diese Option in New York ohnehin nicht an. Hier werden andere Mittel genutzt. Nicht umsonst befinden wir uns in einer Stadt mit Wolkenkratzern, sodass der Ausblick von einem Observation Deck oder von einem Tower aus zu einem unvergesslichen Erlebnis wird. Wir besteigen zuallererst das Rockefeller Center. Top of the Rock heißt die Plattform und bietet eine spektakuläre Aussicht auf den Central Park und das Empire State Building. Was wäre New York ohne diese Aussicht? Nicht auszudenken!
Überall ist das dazugehörige, weltbekannte Foto Lunch atop a Skyscraper zu sehen. Es ist 1932 während der Entstehung des Rockefeller Centers aufgenommen worden und hat elf Männer in schwarz-weiß eingefangen, wie sie auf einem Stahlträger ihre Mittagspause halten und dabei unbehelligt ihre Füße über den Straßen von Manhattan baumeln lassen, als wäre es das Normalste der Welt, über der abgrundtiefen Kluft Butterbrote zu essen und Zigaretten zu rauchen. Jedes Mal, wenn ich das Foto mit diesen Männern in Schwindel erregender Höhe ohne jegliche Sicherungen frei sitzen sehe, bekomme ich nasse Hände. Die Leichtigkeit der Arbeiter ist schwer nachzuvollziehen, auch wenn die nordamerikanischen Mohawk-Indianer dafür bekannt sind, dass sie als schwindelfreie, unerschrockene „Skywalker“ an der Errichtung der New Yorker Skyscraper mitgewirkt haben. Trotzdem bringt das Foto den Beobachter auf den Gedanken, es könnte sich um eine Fotomontage handeln. Nichtsdestotrotz ist das Foto nunmehr ein Symbol der Zeitgeschichte, in dem Sehnsüchte und Tragödien, Träume und Mühen des American Dreams gleichermaßen vereint sind. Diese Zeit ist durch die Einwanderung und einen beispiellosen Bauboom geprägt, während dessen nicht nur das Rockefeller Center, sondern auch das Empire State Building entstanden sind. Für den Besuch beider Gebäude müssen wir übrigens wieder elend lange in einer elend langen Schlange warten. An dieser Stelle möchte ich übrigens anmerken, dass das Empire State Building zwar New Yorks Wahrzeichen ist, der Blick jedoch vom Rockefeller Center aus – zumindest meiner Meinung nach – letztendlich besser ist und zwar aus dem einfachen Grund, weil man das Empire State Building von dort aus sieht.
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Und da wir schon dabei sind, die Stadt von oben zu betrachten, wollen wir dies auch von unserem Hotel aus tun. Ganz oben gibt es eine rooftop experience, übersetzt bedeutet es nichts minder als eine ausgezeichnete Bar mit sensationeller Sicht. So grandios, dass sie durchaus einem Vergleich mit der Aussicht von der 230 Fifth Rooftop Bar – einer der bekanntesten in der Stadt – standhalten kann. Eines Nachmittags möchten wir also nach gefühlten 50 km straßauf, straßab in die Bar unseres Hotels einkehren, um vor der Abendtour eine kurze Pause einzulegen und uns ein Erfrischungsgetränk zu genehmigen. Schwitzend, zerzaust und Birkenstock beschuht stehe ich – dem bekannten Struwwelpeter nicht unähnlich – an dem Schild, das meinen Tatendurst zu bremsen vermag, da es mir unmissverständlich zu verstehen gibt „Wait to be seated“. Also warte ich, wie mir geheißen, während die drei Weggefährtinnen etwas im Abseits stehen und aufs Äußerste gespannt sind, welchen Verlauf die Angelegenheit nimmt. Ein adrett gekleideter Herr erscheint mit einem einnehmenden Lächeln, das sich zusehends verliert, als sein Blick auf meinen zwar bequemen, dennoch nicht gerade vorteilhaft aussehenden Sandalen mit Korkeinlage halt macht. Es hat sich in der Welt törichterweise herumgesprochen, wie die Träger dieser Sandalen geografisch einzuordnen sind, was nicht gerade zum Abbau von Vorurteilen führt. Im Gegenteil. Der akkurat gekleidete door keeper macht mich dezent darauf aufmerksam, dass ein gewisser dress code vorgesehen und somit angebracht sei, dabei räuspert er sich diskret und lässt seinen Blick erneut nach unten wandern, dieses Mal ohne an meinem gehbaren Kork-Untersatz halt zu machen. Ein Gentleman, der es zu vermeiden vermag, mich in Verlegenheit zu versetzen. Auf meine Frage, ob der dress code auch dann vonnöten sei, wenn man nur ganz kurz ein schlichtes sparkling water zu sich nehmen wolle, fällt die Antwort dergleichen schlicht aus: Even then!
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Am nächsten Abend stellen wir es geschickter an, hüllen uns in das Feinste, was sich möglichst faltenfrei aus dem Koffer herauszaubern lässt und staksen zum Eingang der Bar. Der door keeper ist überaus zuvorkommend und führt uns an den Tisch. Nichts deutet daraufhin, dass er uns wiedererkannt hat – wie sollte er auch? Nach solch einer Metamorphose!
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Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Ach, Christina, du weckst jedes Mal das Fernweh in mir. In New York war ich 1999 und es war toll. Mit dir stelle ich es mir noch besser vor.
Die Freuden und Qualen jedes Reisenden hast du super festgehalten! Ich habe den Bericht sehr genossen.
Wir fanden es auch super in New York und hatten ein ganz ähnliches Programm – allerdings ein doofes Hotel. Das bescherte uns aber die Möglichkeit, in einem Frühstückslokal zu essen, was viel toller war. Auch sonst… und überhaupt… müssen wir mal wieder hin!
Toll, wie du das immer machst. Sehr lebendig dargestellt. Man reist immer mit!!
Ich muss mich Elpida anschließen und sagen, dass ich wahrhaftig immer bei dir bin, wenn du eine Reise tust. Diese humorvolle, präzise Darstellung der Erlebnisse genieße ich jedes Μal. Mach weiter so, Christina und lass mich durch deine Augen die Welt sehen.
Wie immer folge ich auch in New York der bewährten Reiseleiterin um die Stadt zu erkunden. Du hättest ein Foto von dir mit Birkenstock-Outfit machen sollen, um es dem Türsteher am nächsten Tag unter die Nase zu reiben. Ätsch!
Super auch immer deine Fotos und Videos, die deine Geschichten begleiten und uns mit hinein nehmen in die Atmosphäre jedes deiner Reiseziele!