29. Der Zulu King Shaka - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

Ein Gespräch mit Pamela ist das reinste Vergnügen. Jedes Mal, wenn ich ihr etwas mitteile, was nicht ihrer Welt entspricht und neu für sie ist, reißt sie die runden Kulleraugen weit auf und bewertet diese neue Information mit einem ok. Aber nicht etwa mit einem einfachen ok, wie wir es kennen, sondern eins mit einem langgezogenen „o“ und einem ebenso langen „e“, also ooooooookaaaaaay! Wie alle Afrikaner drückt sie ihre Überraschung mit verschiedenen Vokalen aus und bewertet gerade vernommene Informationen mit einem kurzen „u“ oder einem ebenso kurzen „a“. Beides hört sich eigentlich mehr wie ein momentanes Stöhnen an. Übersetzt könnte dieser kurze Laut in etwa mit „Ach, du meine Güte!“ oder „Echt?“ übersetzt werden. Auch der Begriff „Eish“, der sich ausgesprochen wie „aisch“, „eisch“ oder auch wie „isch“ anhört, soll die Reaktion auf etwas Unerwartetes signalisieren. Das Gleiche gilt für „shoo“, ausgesprochen wie Schuh, aber mit kurzem „u“, ein Ausruf, der ganz oben auf der südafrikanischen Liste steht und ständig zu hören ist. Den Begriff „shame“ gibt sie ebenfalls regelmäßig von sich, und zwar nicht nur zu negativen Anlässen. Und dann gibt es noch ein langgezogenes „mmmmmmmmm“, das etwa mit „was du nicht sagst!“ übersetzt werden könnte.

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Gespannt spitze ich jedes Mal die Ohren, wenn sie ans Handy geht. Ich versuche dann etwas von dem Wortschwall aufzuschnappen, der zuerst durch das Haus plätschert und dann in komprimierter Form auf die Person am anderen Ende der Leitung prasselt. Zugegebenermaßen entspricht mein indiskretes Verhalten nicht gerade dem Savoir-vivre, aber man möge mir verzeihen, denn verstehen tue ich ohnehin nicht das Mindeste. Da sie sich des Umstands bewusst ist, dass ich zwar ihre Gespräche höre, ihnen aber nicht folgen kann, plappert sie jedes Mal eifrig darauf los, ohne auf die Lautstärke zu achten oder hört der Person, mit der sie kommuniziert, andächtig zu. Immer wieder bin ich fasziniert davon, wie sie die verschiedenen Vokale und Konsonanten aneinander reiht und artikuliert, wie sie die unmöglichsten Laute miteinander kombiniert und mit einer beneidenswerten Leichtigkeit über die Lippen bringt. Besonders stolz auf meine Spionier-Leistung bin ich, wenn ich die Momente der Freude oder Überraschung heraushören kann.

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Eigenartigerweise bedient sie sich der englischen Sprache, wenn es darum geht, Zahlen oder Wochentage zu nennen. In dem Wust von Ndebele-Lauten hört man dann plötzlich yes, thirty five rand oder see you on Tuesday. Auch das Vokabular, das mit ihrer Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis zu tun hat, ist anscheinend auf Englisch einfacher zu handhaben. Als sie eine Woche lang auf glühenden Kohlen sitzt, weil es nicht sicher ist, ob sie im Land bleiben darf, geht es am Telefon heiß her und ich höre aus jedem Telefongespräch mehrfach den Ausdruck „permission“ heraus. Auf meine Frage hin, warum das denn so sei, erwidert sie, dass diese Begriffe auf Englisch nicht so kompliziert wie in ihrer Muttersprache seien. Zahlen und Wochentage seien außerdem in jedem afrikanischen Dialekt anders und darum seien die englischen Begriffe einfacher zu verwenden. Als ich nachfrage, ob sie sich denn mit den Zulu, den Sotho oder den Xhosa – drei der neun südafrikanischen Stämme, die ich in dem Moment einfach herauspicke – besser verständigen könne, holt sie weit aus, um mich aufzuklären.

Do you know Shaka? fragt sie einleitend und ist sichtlich erstaunt darüber, dass er mir als der größte Zulu-König ein Begriff ist. Als Lehrer beherrscht man ja sein Metier, also erkläre ich ihr schulmeisterhaft, woran ich mich noch erinnern kann, nämlich dass es unter Shaka zu einer enormen Expansion der Zulu Anfang des 19. Jahrhunderts gekommen sei. Die Zulu hätten es mehr oder weniger ihm zu verdanken, dass sie heute die größte afrikanische Volksgruppe der Bantu und die größte ethnische Gruppe Südafrikas seien. Ob wir das alles in Europa in der Schule lernen würden, will Pamela neugierig wissen. Diese Frage muss ich entschieden verneinen, denn unser Geschichtsunterricht holt sicherlich nicht dermaßen international aus. Aber wozu gibt es denn das Fernsehen, das schließlich nicht wenig zu meiner Allgemeinbildung beigetragen hat. Ich weiß noch, wie ich Mitte der 80er Jahre jede Woche gespannt auf die Fernsehserie Shaka Zulu wartete und mit meinem alten Kassettenrecorder und dem extra zu diesem Zweck erstandenen Mikrophon versuchte, das rhythmische Intro aufzunehmen. Jedes Mal ging etwas dabei schief, denn entweder platzte meine Mutter mit der Frage, ob wir Hunger hätten, ins Wohnzimmer oder das Telefon klingelte just in dem Moment. Das ganze All schien sich gegen mich oder vielleicht auch gegen Shaka verschworen zu haben, sodass es trotz der wiederholten Versuche ein Ding der Unmöglichkeit blieb, das Lied ohne jegliche Nebengeräusche aufzunehmen. Auch ein Besuch bei Saturn erwies sich als erfolglos, denn es gab keine LP zu dieser Fernsehserie. Den Jüngeren sei gesagt, dass es damals weder youtube noch andere Möglichkeiten gab, sich ein Lied einfach aus dem Netz herunterzuladen. Der Begriff youtube existierte noch nicht einmal in den kühnsten Träumen ihrer Erfinder, während das Netz einzig und allein zum Fischfang bestimmt war. Also blieb nur die Lösung, sich mithilfe des Kassettenrecorders ein Lied aufzunehmen.

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Nun war ich jedoch nicht nur von dem Lied angetan, sondern auch von der Geschichte dieses einzigartigen Mannes, der rudimentär bekleidet neue Kriegstechniken entwickelte, ohne dass ihm der knappe Lendenschurz auch nur einen Zentimeter hinunterrutschte oder bei abrupten Bewegungen Einblicke hinter den selbigen erlaubte. Schon damals fragte ich mich, wie er wohl der lästigen Behaarung auf Brust und Rücken zu Leibe rückte. Waxing und Laser waren weder zu Lebzeiten Shakas noch während der Dreharbeiten 150 Jahre später verbreitet. Ohne den lästigen Pelz kamen jedenfalls durchtrainierte Brust und Waschbrettbauch besser zur Geltung und mit seinen weißen Ohrringen war er, auch was stilvolle Details angeht, seiner Zeit um einiges voraus.

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Folge für Folge sah ich mir also mit großem Interesse das kriegerische Treiben dieses hochgewachsenen Mannes an, so als hätte ich damals schon geahnt, dass ich irgendwann einmal in seine Heimat ziehen würde. Als ich jedoch dreißig Jahre später außerhalb von Johannesburg eine Skulptur des Zulu-Königs sah, war die Entzauberung groß, denn das Wesen, das ich erblickte, zeichnete sich nicht gerade durch ästhetische Exzellenz aus. Der kleinwüchsige, hässliche Giftzwerg konnte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Hauptdarsteller in der Serie vorweisen.

Nachdem ich Pamela mit der Beschreibung der Fernsehserie zutiefst beeindruckt habe, fragt sie mich nach dem Mfecane und erwartet nunmehr, dass ich durch diese Fernsehserie alles, aber auch wirklich alles über die Geschichte Afrikas weiß. Leider muss ich sie diesbezüglich enttäuschen, zumal die Serie eine geraume Zeit zurückliegt und Alzheimer mein bester Freund zu werden droht. Pamela setzt mit ihrer Erzählung an und versucht zuallererst den unaussprechlichen Ausdruck Mfecane zu definieren. Dazu reibt sie ihre Handflächen mit Wucht gegeneinander und zieht zur Untermauerung eine aggressive Grimasse, um mir zu bedeuten, dass dieser für mich unaussprechliche Begriff so etwas wie „zermalmen“ heiße. Mfecane scheint alles Schlimme zusammenzufassen, was Krieg so mit sich zu bringen pflegt, also das Übliche: Eroberungen, Vertreibungen, Flüchtlingsbewegungen, Hungersnöte und wohl auch die Gegenschläge, die Shaka mit seinen Angriffen verursachte.

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Ich solle jedoch nicht glauben, dass Shaka nur bei seinen Feinden gefürchtet gewesen sei! Auch unter den Zulu sei der kleinwüchsige König Shaka nicht gerade beliebt gewesen, da er den Militärdienst eingeführt und darauf bestanden habe, dass Zulu-Krieger vor ihrem 30. Lebensjahr nicht hätten heiraten dürfen. Kein Wunder, unterbreche ich Pamelas Redeschwall, was zugegebenermaßen nicht ganz so einfach ist, und vermute, dass es ihm mit dieser Regelung gelungen sei, seine Krieger möglichst lange unter seiner Kontrolle zu halten und für seine Zwecke zu benutzen. Pamela lobt mich für meine aufmerksame Bemerkung, indem sie die Augen noch weiter aufreißt und mir ein kurzes „a“ entgegen schickt, nicht ohne kurz und bestätigend zu nicken. So etwas könne ein König aber nicht lange mit seinen Kriegern machen, warnt sie, denn diese seien irgendwann des vielen Kämpfens und Blutvergießens überdrüssig gewesen und hätten endlich mit dem anderen Geschlecht ein bisschen Spaß haben wollen. An dieser Stelle zwinkert sie mir schelmisch zu und lacht laut los. Ich weiß nicht, worüber ich mehr grinsen soll, über Pamela und ihren originellen Geschichtsunterricht oder über die Vorstellung, dass die Krieger endlich mal in der Praxis sehen wollten, wie man Körperflüssigkeiten mit Frauen austauscht.

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Sie lässt mir keine Zeit, über diese tiefschürfende Frage nachzudenken, sondern fährt energisch mit ihren Ausführungen fort, indem sie ihre Fäuste gegeneinander schlägt. Aha, denke ich, jetzt wird es brenzlig. Tatsächlich erklärt sie mir, wie es mit einem seiner Unterführer, dem Leutnant Mzilikazi und Hauptakteur der Mfecane, bald zum Zerwürfnis gekommen sei, als dieser Widerstand gegen das Zwangszölibat geleistet habe. Meine Frage, ob dieser Leutnant – wie hieß er doch gleich? – diesen Streit überlebt habe, versetzt Pamela in ekstatische Verzückung. Sie scheint diesen Leutnant zu mögen, ganz im Gegensatz zu dem Zulu-König Shaka, für den sie nichts weiter als eine abfällige Handbewegung übrig hat. Da dieser Rebell wohl oder übel mit seiner rituellen Hinrichtung habe rechnen müssen, aber noch vor seinem Tod in den Genuss des Geschlechtsverkehrs habe kommen wollen, sei er sicherheitshalber mit seinem Stamm, den Khumaloaus KwaZulu, dem heutigen Osten Südafrikas, geflohen. Ein kluger Entschluss fürwahr, gebe ich anerkennend zu. Zumal für einen Mann in jungen Jahren die Praktizierung dessen, was wir heute Sex nennen, bestimmt eine nicht zu unterschätzende Motivation ist.

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Die Geschichte wird immer interessanter, finde ich. Und wohin ging die Flucht? Pamela zeigt mit dem Zeigefinger an die Decke und ich schaue hoch. Wie meint sie das denn jetzt? Doch wohl nicht, dass sie sich alle im ersten Stockwerk dieses Hauses versteckt haben! Als sie dann aber die Länder Mozambique und Zimbabwe erwähnt, wird mir klar, dass sie nordwärts meint. Im heutigen Zimbabwe habe er das Königreich der Matabele oder Ndebele gegründet und nebenbei auch noch die Shona unterworfen, erzählt Pamela nicht ohne Stolz.

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Die ShonaDu meinst, den Stamm, der euch jetzt verfolgt? frage ich verwundert. Ihr Ndebele müsst doch vor den Shona aus Zimbabwe fliehen, oder nicht? Pamela nickt eifrig und erklärt, dass die Ndebele früher dominanter als die Shona gewesen seien. Aber das scheint sich ja nun ins Gegenteil verkehrt zu haben, sonst wären die Ndebele nicht alle auf der Flucht und in Südafrika gelandet. Erstaunt stelle ich fest, dass die Macht in diesem Gebiet häufiger von Stamm zu Stamm wechselt. Bei den Ndebele scheint es sich also im Endeffekt um eine Abspaltung der Zulu zu handeln, was auch teilweise die Antipathie Pamelas den Zulu gegenüber erklärt. Ich kenne wirklich genug Leute, die mit ihrer direkten Verwandtschaft auf Kriegsfuß stehen und die selbige am liebsten sonst wohin wünschen würden. Warum soll es in afrikanischen Ländern anders sein? Abschließend fasst Pamela noch einmal zusammen, um dem Fall vorzubeugen, dass ich doch begriffsstutziger bin als ich vorgebe: Darum also sprechen Ndebele und Zulu mehr oder weniger die gleiche Sprache. Ich erinnere mich vage, vor einer Stunde gefragt zu haben, ob sie sich mit den Zulu, den Sotho oder den Xhosa besser verständigen könne. Statt mir kurz und schmerzlos „mit den Zulu“ zu antworten, fängt sie bei Adam und Eva Afrikas an. Genial, wie meine Perle das eingefädelt hat, denn an der Höhe der Bügelwäsche hat sich in der letzten Stunde natürlich nichts geändert. Und das ist auch gut so!

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Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

 

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Beitragsbild:www.ru.wikipedia.org

 

 

 

 

 

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