New York City – Man kann bei der Auswahl des Restaurants nicht vorsichtig genug sein - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

 

Da sind wir also, in New York, und machen ein fröhliches Damen-Quartett aus. Die ersten Tage unseres Aufenthaltes in dieser Megastadt haben wir den Hauptattraktionen gewidmet, doch nun geht es nach Greenwich Village, dem Künstler- und Szenenviertel mit vielen Cafés, Bars und Restaurants. So wie schon all die Tage zuvor flanieren wir an verschiedenen Souvenirshops und –ständen vorbei, wo es T-Shirts, Taschen, Tassen, Feuerzeuge und was sonst noch das Herz an nötigen und unnötigen Gebrauchsgegenständen begehrt, auf denen durchgehend das etwas einfallslose Motto „I love New York“ abgebildet ist. Größtenteils wird „love“ durch ein rotes Herz symbolisiert. Wir sind dieses Slogans schon längst überdrüssig und werden bald darin bestätigt, als wir durch Greenwich Village laufen, und uns eine Gruppe von jungen Männern entgegen kommt. Sie tragen ausnahmslos das gleiche weiße T-Shirt, auf dem in großen Buchstaben und unmissverständlich die weniger gastfreundliche Aufforderung „Go love your own city!“ zu lesen ist. Wir lachen über die gelungene Idee und signalisieren es den jungen Männern, indem wir ihnen unsere hoch gehaltenen Daumen entgegenstrecken. Sie antworten uns mit der gleichen Geste.

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Nachdem wir die berühmte Christopher Street entlang gelaufen sind, wollen wir eine Erfrischung zu uns nehmen und eine Kleinigkeit essen. Wir entscheiden uns für das erstbeste Lokal, wo es zu einer gastronomischen Erfahrung dritter Art kommen soll. Kaum begeben wir uns hinein, schon schlägt uns die für amerikanische Verhältnisse typische Kaltfront ins Gesicht und wir schlüpfen möglichst schnell in unsere Strickjacken, die wir wohlweislich in den Taschen verstaut haben. Unser Blick huscht durch das ganze Lokal, um das Gerät ausfindig zu machen, das für die Eiszeit verantwortlich ist, auf dass wir uns nicht in der Nähe der Klimaanlage niederlassen. Von einem jungen Mann abgesehen, der an einem kleinen Tisch über seinen Teller gebeugt sitzt, sind wir die einzigen Gäste. Hinter dem Tresen befindet sich eine Frau von starkem Körperbau. Mit einer raschen Kopfbewegung gibt sie uns zu verstehen, dass sich die Bestellung von Speisen und Getränken am Tresen abwickelt. Gesagt, getan – bzw. gezeigt, getan.

Die robust gebaute Dame mit dem Kurzhaarschnitt sticht nicht gerade durch ein kundenfreundliches Verhalten hervor. Das Gegenteil ist der Fall. Und das in den USA, im Land der Kundenfreundlichkeit per se, wo der Begriff „customer friendly“ höchstwahrscheinlich kreiert wurde und der Kunde schon am Eingang mit einem strahlenden Lächeln und der passenden Frage How is your day today? empfangen wird und nicht anders kann als zurückzulächeln. Anfangs drehe ich mich noch etwas irritiert um, weil ich vermute, dass direkt hinter mir die allerbeste Freundin der Verkäuferin mit mir zusammen den Laden betreten hat. Nach wiederholten enthusiastischen Begrüßungen – ohne dass mir jemand gefolgt wäre – weiß ich nun endlich, dass diese herzliche Willkommensgeste jedes Mal einzig und allein mir gilt, der unbekannten Kundin. Und ich genieße es in vollen Zügen, weil ich nämlich weiß, dass es in Europa diesbezüglich auch anders zugehen kann.

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Zurück zu diesem Restaurant in der Christopher Street: Als uns die Frau hinter dem Tresen fragt, was wir gerne hätten, könnte man meinen, einen Hund bellen zu hören. Allerdings einen nicht gerade wohltönenden. Etwas eingeschüchtert von ihrer burschikosen Art bestellen wir darum der Einfachheit halber den simpelsten Hamburger auf der Speisekarte, bei dem man nichts nachzufragen braucht. Gleich viermal. Und Coca Cola gleich dazu. Wie es sich in den Staaten gehört: When in Rome, do as the Romans do. Während sie die amerikanischen Frikadellen zubereitet, beobachte ich sie aus dem Augenwinkel und stelle fest, dass sie durch ihren robusten Körperbau und den nicht gerade anmutigen Bewegungen doch sehr maskulin wirkt, was das karierte Flanellhemd, in das sie vermutlich heute früh gestiegen ist, nur noch bestätigt.

Als die Bestellung fertig zum Abholen ist, pfeift sie uns zu und deutet wieder mit einer Kopfbewegung auf den Tresen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, sollen wir keine Müdigkeit vorschützen, also stehen wir artig auf, um – wie uns geheißen – die auf dem Tresen stehenden Teller und Gläser abzuholen. Dort bietet sich ein für die amerikanische Gastronomie typisches Bild: Die Teller in überdimensionaler Größe sind überfüllt mit Salatblättern, Soßen, Pommes frites und natürlich mit Riesenhamburger, deren Ausmaß den Verzehr derselbigen mit den Händen unmöglich macht und man darum sicherheitshalber auf das Besteck zurückgreift. Daneben stehen nicht etwa Gläser, sondern kleine durchsichtige Plastik-Eimer, die zuerst mit großen Eisklumpen bis obenhin gefüllt werden und erst dann mit der bestellten Flüssigkeit, in unserem Fall also Coca Cola. Folglich trinkt man in den USA kein Getränk mit Eiswürfeln, sondern Eis umgeben von etwas Liquidem.

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Wir bringen alles zu unserem Tisch, setzen uns hin, nehmen manierlich Messer und Gabel zur Hand und beugen uns darüber, ohne einen Ton von uns zu geben. Kurz danach – wir mögen gerade zwei Bissen des Hamburgers wortlos zu uns genommen haben – macht der einzige Mann im Raum Anstalten, den Laden zu verlassen. Die Frau hinter dem Tresen pfeift ihn professionell zurück und ruft ihm mit tiefer, nach Streit gierender Stimme zu: Hey! Are you not gonna pay? Der kleinwüchsige, zierliche Amerikaner dreht sich um und setzt zu einer Erklärung an: I am not gonna pay. I just saw you smoking in the kitchen. You know it is not allowed to smoke in the kitchen, so I won’t pay.

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Schon fasst er mit der rechten Hand die Türklinke, um zu verschwinden, doch da hat er die Rechnung wort-wörtlich ohne den Wirt bzw. ohne die burschikose Wirtin gemacht. Diese erweist sich trotz ihres üppigen Körperbaus als unglaublich gelenkig. Bevor wir – und wohl auch die Halbe Portion von einem Amerikaner – die Situation erfassen können, springt sie mit einem Satz behände über den Tresen. In drei großen Schritten steht sie vor ihm an der Tür, um ihm zu zeigen, wie es um Kunden in diesem Lokal bestellt ist, wenn sie es wagen sollten, ein widerspenstiges Betragen an den Tag zu legen. Sie packt den über den unerwarteten Verlauf des Geschehens überraschten Jüngling mit einer Entschlossenheit am Kragen, wie es sonst nur in Filmen üblich ist, zieht ihn an sich heran und überschüttet ihn mit wüsten Beschimpfungen der übelsten Sorte, von denen sich you son of a bitch noch als die salonfähigste einordnen lassen könnte. Wir beobachten sprachlos das Geschehen und sitzen samt und sonders mit dem Besteck in der Hand, dem Bissen im Mund und den Augen auf die Tür und was sich davor abspielt, gerichtet und sind einfach nur perplex. Wir wagen nicht zu kauen, nicht zu schlucken.

Der Winzling ist mindestens genauso verblüfft wie die vier Gäste des Lokals und kann es kaum fassen, dass seine Füße nur noch notdürftig den Boden berühren, weil er von der stämmigen Frau hochgehievt wird. Panikartig kramt er aus seiner Hosentasche ein paar Dollars heraus und versucht, dieselbigen flehenden Blickes der wutschäumenden Wirtin vor die Nase zu halten. Diese holt gerade mit der Faust aus, um das Aussehen seines Gesichts den Umständen entsprechend anzupassen. Bei dem Anblick der Scheine lässt sie von ihm ab, sodass er etwas abrupt zu Boden purzelt. Sie reißt ihm das Geld aus der Hand, öffnet die Tür und versetzt ihm einen ordentlichen Tritt in den Allerwertesten. Dabei brüllt sie ihn mit derart geschwollenen Halsadern an, dass jedem Beobachter die Herkunft des idiomatischen Ausdrucks „soooo einen Hals haben“ auch ohne die dazugehörende Gestik einleuchten muss. In ihrer zugegebenermaßen doch recht ungehaltenen Art bedient sie sich dabei der Worte, die nur unter amerikanischen Kesselflickern üblich sind und wie folgt übersetzt werden könnten: Mach, dass du verschwindest, du Hund und untersteh dich, hier noch einmal aufzukreuzen!

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Nachdem sich das kleine Häufchen Elend eilends und ohne Widerrede entfernt hat, wirft sie als krönenden Abschluss dieser Szene die Tür mit einem ohrenbetäubenden Knall ins Schloss, dreht sich um und marschiert mit kriegerischer Miene geradewegs auf uns zu. Schon längst gilt unsere ganze Aufmerksamkeit den Hamburgern, über die wir eifrig gebückt sind und in die wir weniger herzhaft hineinbeißen. In Anbetracht der Szene, die sich gerade in unserem Beisein abgespielt hat, ist uns der Appetit vergangen. Ein für allemal! An unserem Tisch angekommen, brüllt sie uns an und ihr Tonfall hat dabei etwas Inquisitorisches. Dergleichen gilt für die eingelegten Kunstpausen: Dass es klar ist … Ihr habt nichts gesehen! … Verstanden? … Absolut nichts! Mittels Augensprache gibt sie uns vorzüglich zu verstehen, was für fürchterliche Konsequenzen uns im Fall des Falles erwarten. Wir wagen es kaum, aufzusehen und bestätigen ihr mit einem Nicken, dass wir so gut wie taub und blind sind und allein schon deswegen nichts, I promise you, rein gar nichts von dem Ereignis vernommen haben können.

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Die nicht gerade zartbesaitete Wirtin bewältigt ihren aufgestauten Ärger hinter dem Tresen, indem sie durch Gepolter und Getöse die überschüssige Aggression aus- und Dampf ablässt. Während sie ungeniert weiterschimpft, überlegen wir fieberhaft, auf welche Art und Weise wir nach der Rechnung verlangen könnten, ohne uns lebensgefährlichen Risiken auszusetzen. Doch dafür ist es endgültig zu spät, denn der in garstiger Form vergraulte Jüngling tritt wieder herein. Mit einem Polizisten im Schlepptau.

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Auf eine den Umständen entsprechende Art und Weise stellt er dem Polizisten die Wirtin vor. Diese wirkt alles andere als zerbrechlich, sodass sich seine Anschuldigung ihr gegenüber recht plausibel anhört: That’s her! I was physically attacked by her. She should be arrested, officer. Bei diesen Worten wagen wir es noch nicht einmal, Blicke auszutauschen, geschweige denn zur Tür hinüberzuschauen. Noch tiefer bücken wir uns über unsere Hamburger, denen wir mit der Nasenspitze gefährlich nahe kommen. Um uns zu vergewissern, dass wir im Ernstfall zum Reden außerstande sein werden, stopfen wir uns wie auf Kommando ein großes Stück Hamburger in den Mund und sitzen mit aufgeblähten Backen und weiterhin gesenktem Blick bewegungslos auf unseren Plätzen. Die prekäre Lage sofort durchschauend schaltet die Besitzerin des Lokals auf kundenfreundlich und zuvorkommend, schenkt dem Polizisten ein nettes Lächeln – unfassbar, wo sie dieses Lächeln von jetzt auf gleich aufgetrieben hat – und zeigt ihm die erforderten Papiere und die Lizenz. Zuckersüß im Wesen und sowohl den Sprachstil als auch den Ton, der bekanntlich die Musik macht, auffallend wechselnd säuselt sie, dass es sich leider ihrer Kenntnis entziehe, wovon der junge Mann da rede. Den sie by the way zum ersten Mal in ihrem Leben erblicke, denn believe me, officer, I never forget a face! Nachdem der Jüngling nun auch noch der Lüge bezichtigt wird, sieht er sich veranlasst, den letzten Joker aus dem Ärmel zu ziehen und auf die vier über die halb vollen Teller gebeugten Damen zu zeigen: If you ask the ladies over there, they will confirm to you that I am telling the truth.

Auf unseren Gesichtern machen sich deutliche Zeichen von Panik bemerkbar. Wir hören, wie sich die schweren Stiefel des Polizisten nähern, direkt vor uns Halt machen und die dazugehörige Stimme spricht, als würde gerade hier in New York eine von vielen Filmsequenzen gedreht: Sorry to interrupt you ladies, can I please ask you some questions? Vier verstörte Augenpaare sind auf ihn gerichtet.

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Ob wir uns schon länger hier in diesem Lokal befinden würden. Wir nicken zu viert und recht einheitlich, wie ich im Nachhinein zugeben muss. Ob wir bestätigen könnten, was der junge Mann behaupte, dass er nämlich von der Inhaberin des Lokals angegriffen worden sei. Da keine von uns imstande ist, zu antworten oder wenigstens mithilfe einer Kopfbewegung ein Lebenszeichen von sich zu geben, wiederholt er die Frage noch freundlicher als zuvor. Die Geste, derer sich die ungastliche Wirtin hinter dem Rücken des Polizisten bedient, erleichtert und beschleunigt die Beantwortung der Frage enorm. Mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen und unheilvoll zusammengepressten Lippen fährt sie sich mit ihrem Daumen horizontal über die Kehle und bedeutet uns in aller Deutlichkeit, welche unwiderruflichen Folgen eine unkluge Antwort unsererseits haben könnte. Wie auf Kommando und durchaus überzeugend schütteln wir die Köpfe. Alle vier. Darum ist der Polizist gezwungen nachzuhaken: So he was not physically attacked by that lady? Wieder schütteln wir in einer uns eigen gewordenen, eigentümlichen Einheitlichkeit den Kopf. Als wären wir aufziehbare Stofftiere. Der junge zierliche Mann ist außer sich und versucht einzugreifen, um die Dinge richtigzustellen: Officer, the ladies are lying. They really are lying. They have seen it all and can confirm what happened. But they are lying! Probably because they are scared of her.  

Da Aussage gegen Aussage steht und wir sozusagen gezwungenermaßen oder doch zumindest ungewollt die Wirtin in Schutz nehmen, kann weder der Polizist noch der schmächtige Mann etwas ausrichten. Darum gibt der Polizist ihm den Rat, Anzeige gegen die Besitzerin des Lokals zu erstatten und zieht danach grüßend ab. Der junge Amerikaner bleibt in sicherer Nähe des Eingangs und ruft uns mit zitternder Stimme und der Türklinke in der Hand zu: Shame on you! That’s not right. You took her side und dabei zeigt er auf die gedrungene Grinsende, even though you knew she was lying! Mit diesen Worten verlässt er frustriert das Restaurant.

Kaum etwas dürfte uns ferner liegen, als das Reservoir an Geduld besagter Dame unnötig zu strapazieren. Darum verlangen wir kleinlaut nach der Rechnung, obwohl die Hamburger längst nicht verzehrt sind. Wie es sich in den Staaten gehört, fragt uns die Wirtin breit grinsend: Was everything alright? Vier eifrig nickende Köpfe bezeugen, dass die Hamburger von erlesener Güte waren. Mit einem Blick auf die noch fast vollen Teller schiebt sie die nächste typisch amerikanische Frage hinterher: Would you like a to-go box? Gesenkten Hauptes murmele ich etwas wie No, thank you, it’s ok, denn nach solch einem entwürdigenden Schauspiel wird selbst Stunden später kaum einer von uns Hunger auf Reste haben. Beim Hinausschleichen, das unter dem Motto „nichts wie weg hier“ steht, meine ich aus dem Augenwinkel bemerken zu können, dass die Wirtin in lässig-legerer Pose unser von Panik geprägtes Davoneilen beobachtet und dabei eine siegessichere Miene aufgesetzt hat. Und wenn mich nicht alles täuscht, zündet sie sich sogar betont salopp eine Zigarette an, zieht genüsslich daran, um uns daraufhin neckisch zum Abschied die Zunge herauszustrecken. I love New York!!!

www.dailymail.co.uk (Foto: Miriam Haas)

 

Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

 

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Beitragsbild:https://theweblicist.com/ny-summer-in-greenwich-village-signs-and-storefronts/

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