30. Home is Home - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

Pamela kommt drei Mal wöchentlich zu uns, was einmal zu viel ist. Als ich versuche, ihr zu erklären, dass zwei Tage in der Woche eigentlich voll und ganz genügen würden, fragt sie mich herausfordernd, wie ich mir das denn vorstellen würde, schließlich habe sie drei Kinder zu versorgen und müsse Miete bezahlen. Kleinlaut füge ich mich den Bedürfnissen ihrer Familie.

In ihrem Vertrag, den wir fast unverändert von der Besitzerin des Hauses übernehmen, wird ein bestimmter Ritus festgelegt, was Schrubben, Putzen, Wischen, Fegen, Staubwischen, Staubsaugen, Moppen und vieles mehr betrifft. So ist ein separater Absatz im Vertrag doch tatsächlich der Sauberkeit und Staubfreiheit der Lichtschalter sowie der Pflege des Kachelbodens gewidmet. Letzterer bedarf aufgrund seiner nicht gerade pflegeleichten Farbe einer besonderen Prozedur. Die Auswahl der weißen Farbe für eine Fläche, die wort-wörtlich mit Füßen getreten wird, wirft bei mir fast täglich die Frage auf, ob die Besitzer dieses Hauses bei ihrer Auswahl nur die idyllischen Fotos in Illustrierten wie Schöner Wohnen oder auch praktische Faktoren wie Regen, Matsch und Schokolade essende Kinder mit entsprechend braunen Fingern  berücksichtigt haben.

Pamela dagegen scheinen Fragen dieser Art weniger zu plagen, denn sie ist froh, dass es Häuser wie dieses gibt, die ihr ein sicheres Einkommen garantieren. Am vierten Donnerstag des Monates verkündet sie mir, dass die Kacheln vertragsgemäß wieder zu ihrer ursprünglichen weißen Farbe zurückfinden sollen. In ihrem roten Kittel, der hierzulande den Namen overall oder uniform trägt, steht sie selbstbewusst vor mir. Ich muss schmunzeln, denn ich erinnere mich, wie sie ganz am Anfang nach einem overall verlangte und ich ziemlich perplex fragte, was sie denn damit vorhabe. Sie erklärte mir, dass sie das Ding bei ihrer Arbeit, also beim Saubermachen, tragen wolle. Ich wunderte mich damals, dass sie einen overall zum Arbeiten brauchte, wo sie doch immer nur Röcke oder Kleider trägt. Als sie mich in den Supermarkt schickte, wo ich ihr zwei davon kaufen sollte, merkte ich bald, dass es sich dabei um ganz ordinäre Kittel handelt, die man als Arbeitgeber kaufen muss.

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Mit fachmännischem Blick prüft sie jetzt die Kacheln: I am gonna scrub the floor tiles today. Ach Herrje, seufze ich, schon wieder dieses Prozedere, bei dem sie auf den Knien Kachel für Kachel mit einer harten Bürste und ordentlich viel Schaum bearbeitet. Bevor es an die Arbeit geht, trinken wir in der Küche gemeinsam einen Kaffee, was für südafrikanische Verhältnisse eher unüblich und darum auch alles andere als vertraglich festgelegt ist. Ich meine damit, dass die „Frau des Hauses“ und die domestic worker zusammen Kaffee trinken und ein Plauderstündchen halten, ist in Südafrika auch ohne Apartheid wohl eher die Ausnahme. Nichts destotrotz sitzen wir uns gegenüber und sie lächelt mich verschmitzt an. Ob sie mich etwas frage dürfe. Sure, erwidere ich auf eine selbstgefällige Art und Weise, die ich schon bald bereuen soll. Ob ich ihr 10.000 Rand Vorschuss geben könne, kommt sie ohne Umschweife zum Thema und lässt ganz bewusst keinen Raum für andere Deutungsmöglichkeiten. Innerlich verfluche ich mich und meine Naivität dafür, dass ich jedem – egal, ob Schüler oder domestic worker – zu viele Fragen erlaube. Das ist allerdings eine sehr direkte Frage, rutscht es mir heraus, gefolgt von einem What for?, da es sich schließlich nicht gerade um einen kleinen Betrag handelt und ich wissen möchte, wie sie mein Geld anlegen will. Sie komme doch aus Zim, erklärt sie zur Einleitung. Gespannt warte ich, worauf sie wohl hinaus will. Zim ist keineswegs eine chinesische Provinz, sondern die in Südafrika benutzte Abkürzung für ihre Heimat Zimbabwe, dementsprechend werden ihre Einwohner hierzulande Zimbos genannt.

In Zim also habe sie sich vor Jahren ein Grundstück gekauft. Und zwar in Bulawayo, der zweitgrößten Stadt des Landes. Und in einem Atemzug knüpft sie an unser letztes Gespräch an: Ich könne mich doch sicher noch an Mzilikazi, dem Gründer des Matabele-Königreichs erinnern. Meine rechte Augenbraue hüpft nach oben, als Zeichen dafür, dass mir der Zusammenhang nicht einleuchtet, aber anscheinend hat dieser König mit dem unaussprechlichen Namen etwas mit dem Kredit zu tun, den sie bei mir aufnehmen will. Sie lässt mir nicht viel Zeit zum Überlegen und erklärt, dass der damalige König bis Ende des 19. Jahrhunderts zwar souverän regierte, …

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… but then came the smart Cecil Rhodes. Hmmm so wie ich es auslegen würde, kam Rhodes mit seiner British South Africa Company daher und gemeinsam mit anderen weißen Seinesgleichen gründete er den Diamantenkonzern De Beers. Anhand dieser historisch belegbaren Fakten kommt Pamela zu der nicht ganz nachvollziehbaren Schlussfolgerung: White men are very intelligent. Daraufhin versuche ich ihr zu verstehen zu geben, dass der gesamte gesunde Menschenverstand auf unserem hübschen Globus ganz gewiss nicht nach Hautfarbe aufgeteilt wird und beispielsweise in meinen Klassen durchaus auch weniger gesegnete Exemplare der weißen Rasse sitzen. Leider ist es mir nicht erlaubt, diese Gören mit den Noten zu versehen, die sie objektiv verdienen würden … Mit einer abweisenden Handbewegung fährt sie jedoch unbeirrt fort und erbringt den untrüglichen Beweis für ihre Behauptung. Während sie mir ins Haar fasst, stellt sie doch tatsächlich die These auf: White people have long hair and long brains. Triumphierend schaut sie mir in die Augen und ist anscheinend mehr als stolz darauf, mich und meinesgleichen als besonders gescheit bezeichnet zu haben. Schon die englische Wortwahl scheint mir nicht ganz geglückt zu sein, von dem Inhalt ganz zu schweigen. Wie sie denn auf diese unglaubliche, politically völlig inkorrekte Schlussfolgerung komme, möchte ich gern wissen, ohne einen Hauch von Ironie unterdrücken zu können. Der weiße Mann habe damals schon gewusst, dass es in der Erde Gold gegeben habe und ihr Ndebele-König eben nicht, antwortet sie mir siegesbewusst. Nun ja, der Kolonialpionier Cecil Rhodes liegt IQ-mäßig sicherlich über dem Durchschnitt meiner Klassen und wie viele Europäer der damaligen Zeit hatte er mit dem Kolonialismus kein moralisches Problem. Als aufgeklärte Europäerin versuche ich ihr darum den moralischen Gesichtspunkt zu analysieren: Alle Kolonialherren, und nicht zuletzt die Briten seien ruchlos und verwerflich gewesen. Tief überzeugt davon, dass der Kolonialismus gottgefällig und ein Segen für die Kolonisierten gewesen sei, habe sich nach Meinung der Briten jedes Volk, das von ihnen unterworfen worden sei, sogar glücklich schätzen können. Cecil Rhodes sei obendrein noch einen Schritt weiter gegangen und habe die Engländer für „die erste Rasse der Welt“ gehalten. Es wäre müßig, Pamela mitzuteilen, dass Rhodes plante, Kairo durchgehend mit Cape Town zu verbinden und zwar nicht nur durch ein Eisenbahnnetz. Zu dem Kap-Kairo-Plan kursierten damals schon Spottbilder, mit denen sowohl dieses großspurige Vorhaben als auch die allgemeine Überheblichkeit des britischen Kolonialismus gebrandmarkt werden sollten. Es würde vermutlich zu weit führen, ihr die beste Karikatur von allen, also den Vergleich mit dem griechischen Colossus of Rhodes und somit das geniale Wortspiel erklären zu wollen. Also belasse ich es dabei, die Kolonialherren und ihre Vorgehensweise als Ganzes zu kritisieren.

 

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Erwartungsvoll schaue ich sie an, um zu sehen, wie meine Moralpredigt auf sie wirkt. Sie schüttelt einfach nur den Kopf und tut ihre gegenteilige Meinung kund. Wenn jemand über die Lebensverhältnisse vor Ort Bescheid wisse, dann sei sie das und Rhodes sei nun einmal ein cleveres Bürschchen gewesen, daran gebe es keinen Zweifel. Da meine Argumentation nur begrenzten Erfolg hat, muss ich zugeben, dass Rhodes ein untrügliches Gefühl für Bodenschätze gehabt habe. Anscheinend habe ihm dieses Gefühl verraten, dass Zimbabwe Bodenschätze von immensem Wert verborgen habe. Der nächste Schritt war, den damaligen König von Pamelas Vorfahren davon zu überzeugen, dessen Land zu übernehmen. Ich muss ebenfalls zugeben, dass der Ndebele-König dem pfiffigen Rhodes Ende des 19. Jahrhunderts etwas naiv eine Land-Konzession zur Ausbeutung der Vorkommen erteilt habe, woraufhin sich viele Europäer angesiedelt hätten. That was the time, when white people first came to our country, erklärt Pamela mit rollenden Augen und vielen rollenden „r“, die von der Vortrefflichkeit dieses Zustands zeugen sollen.

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Nie hätte ich gedacht, dass es Afrikaner gibt, die von der Invasion der weißen Rasse begeistert sein könnten und wage darum einen erneuten Anlauf. Darin gebe ich zu bedenken, dass die weißen Repräsentanten unseres Planeten nicht nur nicht unbedingt klüger, sondern erst recht nicht netter als die afrikanische Bevölkerung seien. Einen einfachen Beweis dafür liefere allein schon der aus der Kolonialzeit stammende Begriff Hottentotten, den die Buren den Eingeborenen Khoikhoi in Südafrika und Namibia gegeben hätten, und in dem wohl bis heute eindeutig eine abwertend diskriminierende Nuance mitschwinge. Außerdem versuche ich ihr zu erklären, wie es überhaupt zu diesem Ausdruck kommen konnte: Die Sprache der damaligen Khoikhoi sei mit Klick- und Schnalzlauten durchsetzt gewesen – ähnlich wie die der heutigen Xhosa-Sprache – und das hätten die damaligen niederländischen Siedler wohl als Gestotter empfunden. Also hießen sie kurzerhand hottentots, was im Dialekt des Afrikaans Stotterer heißt.

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Pamela kann nicht recht einsehen, warum dieser Begriff eine vermeintlich unterlegene Kultur und Mangel an intellektuellen Fähigkeiten signalisiert. So what, entgegnet sie mir schnippisch und zuckt mit den Achseln. Mir fällt siedend heiß ein, dass ich mit den Hottentotten und der Parallele zu den Xhosa ein falsches Beispiel ausgesucht habe, denn Pamela mag die Xhosa samt ihrer Schnalzlaute nicht sonderlich gern. Als nämlich eine Xhosa-Familie das Haus direkt neben uns kaufte, zog sie eine Schnute, mit der sie eindeutig ihre Missbilligung ausdrückte. Kaum wies ich sie darauf hin, dass sie voreingenommen sei, kam die selbstsichere Antwort, dass Xhosa nun einmal überheblich, sehr von sich überzeugt seien und ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis hätten. Sie seien so stolz auf ihren Madiba, also auf Nelson Mandela und darauf, dass sie gebildeter als alle anderen tribes seien, dass man kaum mit ihnen reden könne. Tatsächlich ist die Xhosa-Nachbarin Gynäkologin von Beruf, kleidet sich immer adrett und hat anstandslos 11 Millionen Rand für die Villa nebenan hingeblättert. Aber sie deswegen gleich zu verurteilen?

Während ich nun versuche, Details aus meinem Gedächtnis zu kramen, was die damalige Unterhaltung mit Pamela bezüglichen der neuen Nachbarin angeht, kann meine Perle wieder einmal Gedanken lesen und fragt mich: Tell me, do the Xhosa next door have two or three cars in their garage? In ihrer Stimme schwingt eindeutig eine gewaltige Portion Ironie mit und durch die Geschichte mit den Hottentotten fühlt sich Pamela in ihrer Abneigung zu den Xhosa sichtlich bestätigt. Wenn schon die weißen Kolonialherren Völker, deren Sprache vor lauter Schnalzlauten nur so strotzt, Stotterer nannten und nicht besonders freundlich zu ihnen waren, na … das will doch schon etwas heißen. Ungewollt habe ich Wasser auf ihre Mühlen gegossen.

Pamela will von meinen historisch fundierten Bedenken bezüglich des weißen Mannes nichts wissen. Unbeirrt fährt sie mit ihrer Erzählung von den Weißen in ihrer Heimat fort und kommt dabei so richtig ins Schwärmen. White people know how to find gold. Von ihnen habe ihr Bruder diese Kunst gelernt und einen gehörigen Klumpen Gold aus der Erde heraus bugsiert. Bei dieser letzten Information lacht sie mich verschmitzt an. Wie so oft schaue ich auch dieses Mal etwas irritiert aus meinem netten Kleid und wundere mich darüber, dass sie sich bei mir Geld ausleihen will und nicht bei ihrem Bruder. Aber laut wage ich meine Gedanken nicht auszusprechen, stattdessen frage ich ebenso verblüfft: Wie bitte? Dein Bruder hat einen Klumpen Gold gefunden? Ist das denn überhaupt erlaubt, nach Belieben und aufs Geratewohl in der Erde herumzuwühlen? Meine Frage wird tunlichst überhört, dafür erfahre ich, dass der Bruder den Goldklumpen bei der Bank eingelöst habe. Und aus dem Zusammenhang herausgerissen, dass er davon das Grab der Eltern bezahlt habe, ein wunderschönes Grab, das er hat machen lassen und zur Feier sei das ganze Dorf eingeladen gewesen. Ich staune nicht schlecht, als sie mir die passenden Fotos dazu auf ihrem Smartphone zeigt. Behände schiebt sie ein Foto nach dem anderen von links nach rechts.

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Jedes Mal bewundere ich aufs Neue, dass sie nie den Faden verliert, egal in wie viele Einzelheiten sie sich vorher auch verstrickt haben mag. Ehe wir es uns versehen, landen wir darum wieder bei den lobenswerten Weißen. Aus Pamelas Perspektive habe es erst durch sie Arbeitsplätze gegeben und der Bevölkerung sei es gut gegangen. Kaum hätten die Weißen das Land verlassen, gäbe es weder Arbeitsplätze noch Lebensmittel. Aber was sie eigenartigerweise völlig ausblendet, ist die Tatsache, dass die Briten das Matabele-Königreich eroberten und sicherheitshalber gleich vernichteten. Kein Wort darüber, dass Pamelas Heimat kurzerhand umgetauft wurde und den nahe liegenden Namen Rhodesien verpasst bekam, genau genommen Südrhodesien. Gleiches gilt für Nordrhodesien, was dem heutigen Zambia, abgekürzt Zam, entspricht. Sie gibt mir einen Einblick in die schwarze Geschichte ihrer Heimat, als hätte es die britischen Haudegen nie gegeben.

So wie gute Lehrer nachzufragen pflegen, um sicher zu gehen, dass ihre Schüler wirklich alles von dem in der Klasse Durchgenommenen verstanden haben, fragt mich auch Pamela, du erinnerst dich, dass unser König Mzilikazi damals die Shona unterworfen hatte, nicht wahr? Ich bejahe ihre Frage und hoffe inständig, dass sie mich nicht nach irgendwelchen Einzelheiten fragt, die sie mir wohlmöglich vor einer Woche erzählt hat, denn für alles, was länger als vier bis fünf Tage zurückliegt, kann ich gedächtnismäßig nicht haften. Dagegen erinnere ich mich sehr gut an etwas, was sich vor ein paar Minuten abgespielt hat und an alles, was 30-40 Jahre zurückliegt. Die Zeitspanne dazwischen macht mir offen gestanden etwas zu schaffen! Glücklicherweise hakt Pamela nicht nach, wodurch Peinlichkeiten vermieden werden und mein Image noch einmal gerettet ist. Eifrig setzt sie ihre Schilderungen fort. Dieses Mal geht es um die Shona, von denen ich geglaubt hatte, dass sie in Zimbabwe den kleineren Stamm ausmachen, da sie vor über zwei Jahrhunderten von den Ndebele unterworfen wurden. Doch jetzt überrascht mich Pamela mit der Richtigstellung, dass sie nämlich fast drei Viertel der Bevölkerung ausmachen, während Pamelas Stamm, also die Ndebele, zwischen einem Sechstel und einem Fünftel der Bevölkerung stellt und somit eindeutig in der Minderheit ist. Die zwei Stämme scheinen sich nach Pamelas Schilderungen nicht sonderlich zu verstehen. In Zimbabwe heißt es immer, wir Ndebele sollen nach Südafrika gehen, wo wir herkommen und in Südafrika heißt es, wir sollen wieder nach Zimbabwe gehen, wo wir herkommen. Keiner will uns Ndebele haben. Wir gehören nirgendwo hin. In ihren Worten schwingt Trauer und Sehnsucht nach Ruhe und Frieden mit.

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Erneut holt sie weit aus, was eine direkte Auswirkung auf den Bakteriengehalt des Kachelbodens hat. Nach dem Ende des weißen Regimes sei Rhodesien erst einmal in Zimbabwe umgetauft worden. Von den Einzelheiten allerdings, die mir Pamela nun erklärt, habe ich keinen blassen Schimmer, außer dass das Land in ein Disaster gestürzt wurde, wie es für den afrikanischen Kontinent typisch ist. So wie Pamela es schildert, sei es zu erheblichen Spannungen zwischen den zwei Stämmen gekommen, da die Ndebele schon immer die Minderheit und zudem für die Bevölkerungsmehrheit der Shona fremde Eroberer und dummerweise auch noch Träger des letzten vorkolonialen Staates gewesen seien. Also habe es für die einheimischen Shona gleich drei triftige Gründe gegeben, gegen die Ndebele zu hetzen und gewalttätig gegen sie vorzugehen. Die Shona seien ohnehin böse, ihre Schreckensregierung erst recht und der noch schlimmere Premier Robert Mugabe sei an Boshaftigkeit einfach nicht zu übertreffen. Sie alle zusammen seien also mehr oder weniger daran schuld, dass sich nicht nur die weiße Bevölkerung genötigt gesehen habe, das Land für immer und ewig zu verlassen und zum größten Teil in Südafrika Zuflucht zu suchen. Pamela schlägt die Hände über den Kopf zusammen. Sie zählt alle ihre Familienmitglieder auf, sämtliche Schwestern und Brüder, Cousinen und Cousins plus deren Familien und weiß Gott, wer noch alles. Sie alle hätten das gleiche getan, um in Südafrika ein besseres Leben zu führen. You see? That´s why I´m living in Johannesburg! Und da wir Ndebele arm sind, hausen wir im gefährlichen und ungastlichen CBD. Als ich sie frage, wie viele es wohl insgesamt seien, schätzt sie drei, vielleicht sogar vier Millionen Zimbos, die zum größten Teil dem Ndebele-Stamm angehören und in Südafrika legal oder illegal festsitzen würden. But the Shona, shoo, sie rollt die schwarzen Augen, denen man ansieht, dass ihr diese Gruppe gehörig gegen den Strich geht: They are enjoying a lot of privileges. Most of the public servants are Shona, you know. Generell scheint Mugabe ein typischer Repräsentant derjenigen Politiker zu sein, die dafür sorgen, dass Vetternwirtschaft und Korruption reibungslos vonstatten gehen können. Und schwerreich ist er dadurch geworden, so sehr, dass er es mit seinen Machenschaften in die top 10 der Liste im „Forbes“-Magazin geschafft hat. Seine teuren Geburtstagsfeiern bieten jedes Jahr genügend Gesprächsstoff, so feiert er gern in einem Luxushotel nahe der Viktoriafälle und setzt auf die Speisekarte Provokatives wie beispielsweise Elefantenfleisch. Diese delikaten Informationen aus dem Netz behalte ich allerdings lieber für mich, um Pamela nicht noch mehr zu erzürnen.

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Ich wage, sie an dieser Stelle nochmals zu unterbrechen und sie zu fragen, was dieser geschichtliche Exkurs mit dem Kredit zu tun habe und hoffe insgeheim, dass trotzdem noch genug Zeit zum Kachelschrubben bleibt. You know CBD, right? setzt sie für den Fortgang unserer Unterhaltung voraus. Eben hat sie noch die weiße Rasse und ihre Intelligenz hochgepriesen und nun stellt sie mir so eine Frage. Etwas pikiert antworte ich, Of course I do Pamela! The Central Business District, worunter das ursprüngliche Stadtzentrum Joburgs mit der größten Dichte an Wolkenkratzern auf dem afrikanischen Kontinent gemeint ist. That’s where I’m living. On the 20th floor. Das Wohnhaus gehöre von oben bis unten einer Inderin und deren Eintreiber stehe pünktlich am Ersten jeden Monats auf der Matte, um die Miete zu kassieren. Aha, denke ich, daher weht der Wind. Sie schuldet bestimmt ein paar Monatsmieten und braucht darum den Kredit.

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Do you know, why am Ι living in CBD and not somewhere else? fragt Pamela mich jetzt direkt. Ehrlich gesagt, habe ich mir deswegen noch nie Gedanken gemacht, zumal viele Weiße das Stadtzentrum für eine no-go area halten. Aber da wir jetzt schon einmal dabei sind, werde ich neugierig. Die Antwort ist einleuchtend: Weil dort fast nur Afrikaner aus den Nachbarstaaten, in den Townships dagegen meist schwarze Südafrikaner wohnen würden. Do you know that living in CBD is much more expensive than living in the Townships? Für eine Reinemachefrau, die sich noch nicht einmal für besonders klug hält, stellt sie recht viele Fragen, finde ich … Aber jetzt ist sie so in Fahrt, dass sie nicht mehr aufzuhalten ist und für den Kachelboden sehe ich beim Blick auf die Uhr ohnehin kaum Chancen. Sie wolle nichts von den billigeren Townships hören, weil sie Angst davor habe, inmitten von schwarzen Südafrikanern zu leben. Jetzt will ich es aber genau wissen und stelle eine etwas kniffelige Frage, nämlich wie denn die Südafrikaner von den restlichen Nachbarnationen unterschieden werden können. Pamela gibt zu, dass das eigentlich nur am Akzent bzw. an der Sprache erkennbar sei, denn mit der Hautfarbe könne man sich ganz schön vertun, auch wenn die Bevölkerung aus Zim in der Regel dunkler sei. Überhaupt, klärt sie mich auf, je näher man sich am Äquator befindet, desto dunkler wird die Hautfarbe. Meine Perle Pamela hätte etwas Besseres verdient, als Kacheln zu schrubben, stelle ich zum wiederholten Male anerkennend fest. Vermutlich ist ihr das auch schon klar geworden, darum hat sie diesen historischen Nachhilfeunterricht für heute organisiert.

Ich gebe zu bedenken, dass CBD auch kein sicheres Pflaster darstelle, denn schließlich habe das Stadtzentrum nicht umsonst einen so schlechten Ruf. Außerdem sei ihre Angst vor den schwarzen Südafrikanern nicht ganz nachvollziehbar. Entrüstet reißt Pamela die Augen weit auf, ruft mir ein lautes, kurzes „a“, das sich eher wie ein „o“ anhört, zu und fragt mich danach, Weißt du denn nicht, was 2008 passiert ist? Ich weiß es nicht, zumal mir dieses historische Hin und Her durch die Jahrhunderte mittlerweile auf meine ohnehin schon strapazierten Nerven geht. Damals also hätten viele Südafrikaner die Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern für Arbeitslosigkeit und den Anstieg der Kriminalität verantwortlich gemacht. Die Gewalt habe sich vor allem gegen Einwanderer aus dem verarmten Nachbarland Zimbabwe gerichtet. Pamela zieht plötzlich mit den Händen große Kreise um ihren Hals und zündet danach ein imaginäres Streichholz an. Da ich den Sinn dieser Pantomime nicht auf Anhieb verstehe, hilft sie mit Worten nach. Ihr Cousin sei Zeuge dabei geworden, wie man Leuten aus Zimbabwe Autoreifen um den Hals gelegt, diese mit Rizinusöl begossen und dann angezündet habe. Hütten seien in Flammen aufgegangen, Geschäfte von Ausländern geplündert worden. Es habe viele Tote gegeben. Am gleichen Nachmittag google ich dieses Ereignis und stelle entsetzt fest, dass es sich genauso zugetragen hatte. Tausende von Ausländern flüchteten wieder in ihre Heimat, wo Hunger, Elend und Diktatur auf sie warteten.

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Unter diesen unerfreulichen Umständen leuchtet es ein, dass Pamela nicht in einem Township leben will, weder in Soweto noch in Alexandra; im CBD fühlt sie sich dagegen sicherer, denn dort sind Ausländer mehr oder weniger unter sich und die Kriminellen unter ihnen dealen „lediglich“ mit Drogen oder sind Taschendiebe. Natürlich sei man in diesem Land nirgendwo sicher, gibt sie zu, auch nicht in dem Hochhaus, wo sie wohne, denn der Wächter am Eingang sei ein blutjunger Typ aus Zim und wenn die alkoholisierten Nigerianer um Mitternacht nach Hause kämen, würden sie sich nichts von diesem Grünschnabel sagen lassen und ihn einfach davonpusten. Und überhaupt sei Südafrika unmöglich und sie setzt zum wiederholten Vergleich mit ihrer Heimat an, denn dort sei alles ganz anders, da würden Gesetze eingehalten und niemand würde sich trauen, auch nur eine Banane zu stehlen, geschweige denn, sich an jemandem zu vergreifen. So eine Schreckensherrschaft kann also auch positive Seiten haben, zwinkere ich ihr zu. Aber sie ist zu aufgebracht, um den ironischen Seitenhieb zu realisieren. Gerecht scheint dieser Mugabe jedoch zu sein, denn unabhängig davon, ob eine Straftat von einem Shona oder einem Ndebele begangen wird, gelten die gleichen Gesetze. Und die sind hart.

Ein Blick auf die Kacheln und auf die Wanne, in der sich der Schaum schon längst in dem kalt gewordenen Wasser gesetzt hat, bringt mich wieder zurück in meine Realität und ich frage rundheraus: Pamela, so what do you need the money for? Sie schaut mich irritiert an und kann meine Begriffsstutzigkeit nicht fassen. Ob ich in den letzten Tagen nicht mitbekommen hätte, dass es schon wieder zu Übergriffen gegen Ausländer gekommen sei, vor allem ausländische Geschäftsinhaber aus Somalia seien in ihren Geschäften in Soweto angegriffen und getötet worden. Das weiß ich sehr wohl, die verheerende Nachricht hat sich schnell herumgesprochen, denn schließlich wird die Plünderung ihrer Läden in den Nachrichten übertragen. Das Foto von einem blutenden Mann aus Mozambique macht seit Tagen auf die xenophoben Ausschreitungen in Südafrika aufmerksam. Weiße Journalisten wurden Zeugen dieses Angriffs und konnten den jungen Mann nur noch ins nächste Krankenhaus bringen, wo er seinen Verletzungen erlag. Allerdings vermute ich, dass diese Nachricht in der westlichen Welt so viel öffentliches Aufsehen erregt wie eine Kompanie umgefallener Reissäcke in China. Denn egal wie groß das Unglück auf dem schwarzen Kontinent ist, die westliche Welt bringt im besten Fall nur ein Schulterzucken und ein desinteressiertes whatever dafür auf. Leider!

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So langsam dämmert es mir und ich begreife den Zusammenhang zwischen dem Kredit, den historischen Ausführungen und den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Südafrika. Pamela ist auf die Südafrikaner noch nie besonders gut zu sprechen gewesen, vor allem nicht auf die schwarze Bevölkerung in diesem Land. South Africans are good in calling strikes, pflegt sie immer kopfschüttelnd zu sagen. Sie seien sogar so hirnverbrannt, dass sie die Schule ihrer Kinder in Brand stecken würden, ohne darüber nachzudenken, dass ihre Kinder am nächsten Tag keine Schule mehr hätten. South Africans do not like working, because they know that the government will be taking care of them. Ihrer Meinung nach sei die Partei ANC daran schuld, die den Ärmeren sogar ein Matchbox-Haus in einem Township stelle, das sie Jahre vorher lediglich zu beantragen hätten. Mehr nicht. Also bestehe gar kein Grund dafür zu arbeiten und zu sparen. What is a matchbox house? frage ich, als würde diese Frage die Unterhaltung verkürzen. Bis jetzt kannte ich eigentlich nur Machtbox-Autos, aber man lernt ja gern dazu. Die Antwort klingt plausibel und eigentlich hätte ich auch allein darauf kommen können: Diese Häuser verdanken ihren Namen der übersichtlichen Größe, aber auch der rechteckigen Form einer Streichholzschachtel. And you know what they do with the matchbox house the government give them? Ich vermute, hübsch einrichten, liege damit aber erneut völlig falsch. Sie vermieten das Haus und leben weiterhin in einem shack. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, vermieten sie das bisschen Garten um das matchbox house herum, auf dem drei shacks Platz finden und haben dadurch ein recht ansehnliches Einkommen, ohne selber dafür gearbeitet zu haben. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.

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Besonders empört ist Pamela über den Zulukönig Goodwill Zwelithini. Ob ich ihn kennen würde. Ich hätte zwar nie persönlich das Vergnügen gehabt, erwidere ich, aber meine, mich entsinnen zu können, eine auffällige Gestalt im Fernsehen gesehen zu haben, die durchaus einen Zulukönig abgeben könne, da er reichlich mit Leopardenfellen behängt gewesen sei, ohne dabei allerdings seinen weniger anschaulichen, wabbeligen Oberkörper abzudecken. Eine Löwenzahn-Kette habe den Hals recht unvorteilhaft gesäumt, vermutlich ein Versuch den Fettgehalt desselbigen zu verbergen. Mit der zusätzlichen Information, dass sich bei seinem Anblick leichte Anzeichen von Übelkeit hätten erkennen lassen, schließe ich meine Beschreibung dieses Prachtexemplars. That’s him! Pamela nickt bestätigend.

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Ich solle mal raten, was für dreiste Forderungen er stelle. Mir sei die Phantasie in diesem Land ausgegangen, gebe ich offen zu. Also hilft Pamela mit der Realität nach: Obwohl schon jede der sechs Ehefrauen einen Mercedes-Benz E-Klasse fahre – auf Kosten des Staates, verstehe sich –, wolle er selber auch noch einen Mercedes-Benz S 600 haben, platzt es aus ihr heraus. Meinen ironischen Einwand, dass Familien doch eigentlich in einem einzigen Wagen fahren sollten, weil das den Zusammenhalt fördere, realisiert Pamela nicht. Ich frage zur Sicherheit noch einmal nach der Anzahl der geehelichten Damen. Sie bestätigt mir die Zahl 6, und noch einen Haufen Kinder dazu. Bestimmt an die 30. Solche Zahlen ändern sich ja bekanntlich laufend. Tendenz steigend. Alle Achtung! Kein Wunder, dass sie nicht alle in ein Auto passen. Eigentlich hätten sie einen ganzen Bus beantragen sollen. Doch Pamela wettert schon eifrig weiter. Schlimm genug, dass dieser Goodwill überhaupt existiere und der Allgemeinheit mit seinen sechs Ehefrauen und den unzähligen Kindern auf der Tasche liege, findet sie. Und überhaupt: Er ist kein Christ, denn Christians are married to only one wife! Ich gebe ihr Recht, und werfe zaghaft ein, dass mit Leopardenfell bekleidete Menschen höchst selten Christen seien.

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Die tief religiöse und fromme Pamela hört mir gar nicht mehr zu und ist mit ihren Gedanken schon beim Hauptproblem. Dieser dreiste König also, dieser bad guy sei an allem Schuld. Wieder versuche ich einzulenken: Er habe doch nur eine repräsentative Position in Südafrika und sein Einfluss sinke kontinuierlich, sodass er doch eigentlich nichts anrichten könne. Pamela wird jetzt richtig bissig: Die Tatsache, dass er immer weniger zu melden habe, akzeptiere er nur deswegen stillschweigend, weil die jährlichen staatlichen Zahlungen stimmen würden und sie nennt mir eine Summe, die umgerechnet vier Millionen Euro ausmacht. I am speechless, wie man so schön in diesem Land zu sagen pflegt. Und sprachlos bleibe ich noch eine ganze Weile, als Pamela mich über seine offizielle Äußerung aufklärt. Diese sei nämlich der Auslöser der Pogrome gewesen, denn er habe die südafrikanische Regierung ausdrücklich zum Rauswurf der Ausländer gedrängt. Pamela übersetzt aus der Zulu-Sprache, damit ich mir ein Bild von diesem Unmenschen machen kann: We ask foreign nationals to pack their belongings and go back to their countries. Das ist ziemlich direkt formuliert, muss ich zugeben und überlege mir, was solch ein politically völlig inkorrekter Satz in einem europäischen Land bewirken würde. Nicht auszudenken.

Pamela hat im Moment andere Sorgen und holt mächtig zu einem Rundumschlag gegen unser Gastland und gegen die schwarzen Südafrikaner aus. Diese würden den Ausländern, also vor allem Pamelas Landsleuten vorwerfen, dass sie ihnen die Arbeitsplätze wegnähmen. An dieser Stelle schlagen die Wogen noch höher. But we work harder than they do. We are used to work. They are not. If you want to have a house in my country, you have to work for it and to build it with your own money. Man bekomme in Zim nichts geschenkt. Zaghaft werfe ich ein, dass ich noch mehr Länder dieser Art kennen würde und das großzügige Südafrika tatsächlich nur eine Ausnahme sei, aber sie wettert unberührt weiter. Hier stelle man einfach nur einen Antrag auf ein Township-Haus und wenn man an der Reihe sei, bekomme man es vom government geschenkt. In the meantime, they do nothing. They are just hanging around waiting. Darum sei es auch mit der Arbeitsmoral der Südafrikaner nicht weit her. Es ist ihr in jedem Satz anzumerken, was sie von dieser Nation hält, nämlich nicht gerade viel.

Endlich nähert sich das Gespräch dem Ende und sie klärt mich darüber auf, was sie mit dem geliehenen Geld anfangen will: auf vorhin erwähntem Grundstück in ihrer Heimatstadt in Zim ein Häuschen bauen. Ihre Augen leuchten und sie erklärt mir, dass sie das Grundstück an den Staat, an diesen Hund von Mugabe und dessen Frau verlieren werde, wenn sie nicht bis Ende des Monats wenigstens einen Betonboden aufs Grundstück gießen würden, um zu zeigen, dass es mit dem Bauvorhaben voran gehe. Ja aber, wende ich ein, die Shona haben euch doch vertrieben. Ihr seid doch gar nicht sicher in Zim. Wie wollt ihr da ein Haus bauen? Als ob ihr Leben in Südafrika sicher sei, gibt sie sarkastisch zurück. Und ein Haus würden sie hier ohnehin nie besitzen dürfen. Dann doch lieber zurück nach Hause. Sie zwinkert mir listig zu. Und wer weiß! Vielleicht stoßen wir beim Buddeln auf vergrabene Schätze, auf Gold oder Diamanten, die Rhodes vergessen hat! Dann ändert sich ihr Gesichtsausdruck, Things will change, sagt sie stoisch und bewährt sich einmal mehr als Merkspruch-Lieferant erster Güteklasse: And after all, home is home.

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Herzlichen Dank an Ute Petkakis fürs Gegenlesen!

 

Copyright 2019 Christina Antoniadou / All rights reserved 

 

Beitragsbild:https://blog.eastcapetours.com/11-official-languages-south-africa/

 

 

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