27. Der Zulu Zuma, Teil I - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

Jacob Zuma, 4th president of South Africa, in office 9 May 2009 – 14 February 2018 (Folgende Episode findet in dieser Zeit statt.)

In Joburg kann man nicht einfach irgendein Taxi nehmen, sondern reserviert bei einem reliable taxi service im Voraus einen Wagen samt Fahrer. Am Flughafen O.R.Tambo angekommen steht also der bestellte Taxifahrer mit adretter Jacke bereit. Von weitem sehe ich das Schild mit meinem Namen und schmunzle über die Ideenvielfalt, mit der jedes Mal mein Familienname transkripiert wird. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit hätte ich nicht weniger Schwierigkeiten, die südafrikanischen Namen voller aufeinanderfolgenden Konsonanten und Klicklauten niederzuschreiben, wenn man sie mir am Telefon durchgeben würde. Einer der wenigen für Expats verständlichen Namen hierzulande ist der von Nelson Mandela, weil Konsonanten und Vokale hübsch abwechselnd aneinander gereiht sind und der Vorname alles andere als afrikanisch klingt.

Nach landesüblichem Vorgehen erkundige ich mich zu allererst mit einem besorgten How are you? nach dem Wohlbefinden des Taxifahrers und dieser bestätigt mir mit Begeisterung sein außerordentlich gutes Wohlergehen und möchte sich unbedingt vergewissern, dass auch ich mich wirklich bester Gesundheit erfreue. Thank you, I am fine. How are you? Daraufhin muss auch ich bekräftigen, dass ich körperliches und psychisches Wohlbefinden aufweise. I am good. Thank you! Nachdem keinerlei Zweifel daran bestehen, dass wir beide weder an psychischen noch an physischen Schäden leiden, wird endlich zum eigentlichen Thema übergeleitet. Ich tippe mit dem Zeigefinger auf das Schild und gebe mich als die Person auf demselbigen aus. Dabei erlaube ich mir, wie schon so oft, einen Scherz mit der Frage, wie er denn wohl meinen Namen aussprechen würde. Und zum allerersten Mal in diesem Land höre ich verwundert, wie jemand meinen Namen nicht nur richtig ausspricht, sondern auch korrekt betont. Dann toppt er den Überraschungsmoment noch, indem er mir höflich lächelnd die Hand reicht und mir zuflötet: Kalimera! My name is Baruti. 

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Auf Griechisch hat mich bis jetzt noch kein Südafrikaner begrüßt. Und erst recht keiner namens Baruti. Auf meinen verblüfften Gesichtsausdruck erwidert er, dass er bei einem griechischen Metzger gearbeitet und darum sofort an meinem Nachnamen meine Herkunft erkannt habe. Auch andere Vokabeln meiner Muttersprache kennt er, die er alle der Reihe nach aufsagt, darunter natürlich das weltweit bekannte Schimpfwort Maláka. Wir lachen beide über seine erweiterten Griechischkenntnisse und er bleckt mir dabei seine strahlend weißen Zähne entgegen. So do you know what your name means in Greek? Did your employer ever tell you? frage ich ihn und habe Mühe, dabei ein Lachen zu unterdrücken. Of course he did, that’s why he always called me explosion”. Für alle nicht-Griechisch Sprechenden sei angefügt, dass baruti auf Griechisch übersetzt das Kanonenpulver ist. Und wenn jemand vor Wut in die Luft geht, heißt es in Griechenland, dass er baruti geworden ist.

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Da ich einem Gespräch mit Einheimischen nie abgeneigt bin, stelle ich im Auto die einleitenden Fragen und weiß bald, dass er dem Stamm der Tswana angehört, einem der kleinsten tribes, der 3-4 Millionen Seelen zählt und im Norden Südafrikas, zur Grenze nach Botswana angesiedelt ist. It’s the first time I meet a Tswana, lasse ich ihn wissen und verfange mich damit unversehens in ein Gespräch, das sich in die Länge ziehen wird. Meistens treffe ich auf Zulu, Sotho oder Xhosa. Ich erwähne dies ohne jegliche Wertung, doch unwissentlich öffne ich damit die Büchse der Pandora.

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Offensichtlich fällt es ihm schwer, den verächtlichen Laut zu unterdrücken, der von einem entsprechenden Gesichtsausdruck begleitet wird: Ohhh, Zulu! Der Verdacht liegt nahe, dass er es nicht zulassen will, dass ich mir selbst ein ausgewogenes Bild von den neun unterschiedlichen ethnischen Gruppen Südafrikas mache, um zu einer eigenständigen Einschätzung zu gelangen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mitbekomme, wie sich ein Südafrikaner über eine andere südafrikanische Ethnie ein abschätziges Urteil erlaubt. Baruti offenbart mir, ohne dass ich danach gefragt hätte, die Erklärung für seine fehlende Sympathie: Zulu are aggressive and they love war. Wie oft habe ich das schon gehört! Und wie oft habe ich supernette Zulu kennen gelernt, auf die Barutis Behauptung garantiert nicht zutrifft!

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Baruti ahnt wohlmöglich, dass ich zu einem Versuch aushole, die Zulu in Schutz zu nehmen und stellt direkt seine These diesbezüglich auf, in der er ihnen schlichtweg die Fähigkeit einer friedlichen Einstellung abspricht: Die Zulu würden gern wieder Kriege führen, wie damals zu Shakas Zeiten. Notgedrungen müssten sie sich jedoch zurückhalten, weil es nicht im Sinne der rainbow nation sei. You know, what I am talking about, don’t you? Heftig nickend erkläre ich ihm, dass ich lange genug in diesem Land leben würde, um zu wissen, dass Archbishop Desmond Tutu 1994 den Begriff rainbow nation geschaffen habe, um das Post-Apartheid-Südafrika nach den ersten demokratischen Wahlen zu beschreiben. Es waren übrigens die ersten Wahlen, an denen endlich alle, aber auch wirklich alle Bevölkerungsgruppen wählen durften, also white, black, coloured, Asian and Indian. Baruti zwinkert mir selbstbewusst zu. You see, Tutu was half-Xhosa and half-Tswana. And he was a brave man with a visionNelson Mandela was also a Xhosa. You see? Xhosa and Tswana are the best! Was für eine sachliche und vorurteilsfreie Feststellung!

 

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Da Baruti festgefahrene Ansichten und Sympathien zu haben scheint, wage ich es, ihn ein bisschen mit den Zulu zu provozieren: So the Zulu have no vision? But the ANC is full of Zulu, right? Bei dem ANC handelt es sich um die seit 1994 regierende Partei. Schulmeisterhaft hebt Baruti den Finger und hält inne, vermutlich um den Spannungsbogen aufzubauen, wie unsereins so schön im Deutschunterricht zu sagen pflegt. An der Regierung seien jetzt durch den Staatspräsidenten Zuma zwar die Zulu, aber vorher seien es durch Mandela und Mbeki die Xhosa gewesen. Ich merke, dass ich in diesem Gespräch nicht die Lehrerin bin. Anfangs, also 1912, hätten nur gebildete Leute Parteimitglied werden können und das seien nun einmal größtenteils Xhosa gewesen, woran sich bis zu Mandelas Zeiten des struggle gegen das Apartheid-Regime nichts geändert habe. Ooohh! I see! rutscht es mir sehr südafrikanisch heraus. Was bin ich stolz auf mich, dass ich die Hintergründe in diesem komplizierten Land erkennen kann.

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Diese Taxifahrt ist das reinste Fortbildungsseminar für mich und genüsslich höre ich zu, wie er mit seinem Wissen schwadroniert. Baruti studiert Politikwissenschaften und jobbt nebenher als Taxifahrer, um die Studiengebühren bezahlen zu können. Und da wir auch schon auf das Thema the struggle gekommen sind, bieten sich audio-visuelle Anreize an, wie beispielsweise ein Schild, an dem wir just in diesem Moment vorbeifahren. Es hängt überall in Johannesburg und man möchte meinen, dass es sich mit seinem Inhalt recht lautstark beschwert: I did not join the struggle to be poor. Als ich Baruti daraufhin anspreche, lächelt dieser bitter. South Africa is still struggling to fulfill Mandela’s hopes and dreams. Tja, denke ich, dass Mandelas Hoffnungen und Träume nicht erfüllt wurden, kann man tatsächlich in den informal settlements sehen. Aber Baruti ist mit seinen Ausführungen schon weiter: Mit „poor“ seien sicher weder die coconuts noch die heutigen Politiker wie beispielsweise der Staatspräsident Zuma gemeint, denn dieser und Seinesgleichen hätten Millionen auf dem Konto angehäuft, was vorher in der Staatskasse gewesen sei und eigentlich auch dahin gehöre! Und wenn ich Baruti richtig verstehe, dann fasst er die heutige politische Lage wie folgt zusammen: Die Vision von Freiheit und Gleichberechtigung ist praktisch im Abfalleimer der Korruption und der Vetternwirtschaft gelandet und das einzige, worin heutige Politiker wirklich bemerkenswertes Talent zeigen, ist, von den eigenen Verfehlungen abzulenken.

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Der junge, gebildete Mann auf dem Fahrersitz hat Angst vor der Zukunft, die sich längst als berechtigt herausgestellt hat. Für ein paar Sekunden ist es still im Taxi und die Schülerin lässt Barutis Worte auf sich wirken, hat aber eine unbekannte Vokabel: What do you mean by coconuts? Er schaut ungläubig in den Rückspiegel. Der Schülerin scheint es an Grundkenntnissen zu fehlen, ihre Wissenslücken sind nicht zu entschuldigen, müssen jedoch tunlichst geschlossen werden. As you know, coconuts are white inside and brown outside. Er schaut mit prüfendem Blick in den Spiegel, ob ich wohl den Anforderungen gewachsen bin. Ich nicke etwas kleinlaut. Soweit sei ich im Bilde, aber trotzdem könne ich mir keinen Vers darauf machen. Like Oreo cookies! They are also black on the outside and white on the inside. You know, the chocolate wafers with the cremefilling in between. Ich muss langsam zugeben, dass ich mich im Zustand geistiger und seelischer Verstörung befinde. Also mache ich das Fenster auf, um ein bisschen frische Luft zu bekommen und warte geduldig auf des Rätsels Lösung: And so are a lot of South Africans: They look brown, but they live like white people. Ah jetze! Gemeint ist damit die nach dem Ende des Apartheid-Regimes durch den ANC entstandene schwarze Mittel- und Oberschicht. Diese schwarze Elite verdient sich mit relativ wenig Mühe vorwiegend durch Politik und Beamtentum ihr Geld und hat somit die Möglichkeit, den weißen Lebensstil zu übernehmen. Für den Großteil der schwarzen Bevölkerung hat sich hingegen – zumindest ökonomisch – wenig geändert.

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We call it gravy train. Do you know what it means? Schon wieder ertappt er mich dabei, unvorbereitet in sein Taxi eingestiegen zu sein. Ich schüttle erneut betreten den Kopf. Baruti wartet schon nicht mehr auf eine Antwort. Er kennt seinen Pappenheimer und schießt los. It’s a job where no work is involved. You get paid for doing almost nothing. Like standing around at work and talking all day. That’s what government is practising: it provides money to many people without requiring much work or effort. So they earn a lot of benefits without really deserving them. Unglaublich, wofür es Wortkreationen gibt. Wie würde man das wohl übersetzen? Mit „Vetternwirtschaft“, „Klüngelei“ und „Klientelismus“ käme man der Definition zwar verdächtig nahe, aber allein damit wäre es nicht getan. Mir geht jetzt allerdings ein Licht auf! Darum also ist in den großen Malls, in den teuren Geschäften und in den guten Restaurants immer ein beträchtlicher Anteil der schwarzen Bevölkerung vertreten. Sie sind stets auffällig und nach dem letzten Schrei der Mode gekleidet. Ausnahmslos halten sie – für jeden gut erkennbar – ein sündhaft teures Smartphone – natürlich das allerneueste Modell – in der Hand und auch bei bewölktem Himmel sitzt eine luxuriöse Sonnenbrille auf der Nase. Von oben bis unten in europäischer Markenkleidung eingehüllt, die sich nur sehr wenige Europäer leisten können, genehmigen sie sich einen Kaffee mit ebenfalls aufgebrezelten Freunden. Elegante, geschmeidige Damen, makellos straff, wie aus einem fremdartigen perfekten Material geschaffen, führen extrem exklusive Handtaschen im Wert eines Kleinwagens mit sich und fahren – außerhalb der Mall natürlich – passend dazu schnittige Cabrios. Fast immer kündigt laute Musik aus dem offenen Wagen ihr Kommen an, damit auch der letzte schwerhörige oder kurzsichtige Mitbürger bemerken kann, wie weit sie es gebracht haben. Vermutlich handelt es sich genau um diese neue gesellschaftliche Schicht in Südafrika, von der Baruti mir gerade erzählt: Die arroganten Neureichen und deren verzogenen Gören.

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Und während ich verschiedene Gesichter von diesem Kaliber, denen ich täglich in den Malls begegne, Revue passieren lasse, ist der beste Taxifahrer von allen – Ephraim Kishon sei Dank – schon einen Schritt weiter, nämlich bei dem Hauptschuldigen für diese Schmarotzer. And do you know who is mainly to blame for this? Diesmal weiß ich die Antwort und schleudere ihm stolz den Namen, den er hören will, entgegen: Jacob Zuma! Sein anerkennender Blick in den Rückspiegel erfüllt mich mit Erleichterung! Exactly mama! Nun lebe ich schon lange genug in Südafrika, um mich über verschiedene Dinge nicht mehr zu wundern und erst recht nicht zu ärgern. Eins davon ist, dass man mich mama nennt, im festen Glauben daran, mir damit einen Gefallen zu tun und – für europäische Verhältnisse noch unbegreiflicher – mir Respekt zu zollen. Anyway! Das zweite Verwunderliche ist immer wieder aufs Neue die Feststellung, dass Zuma alles andere als einen guten Ruf hat. Er macht sich nicht nur bei der weißen, sondern auch bei der schwarzen Bevölkerung mehr als unbeliebt. Wer zum Kuckuck wählt ihn dann eigentlich? Jedenfalls nicht die Leute, mit denen ich jedes Mal ins Gespräch komme. Und erst recht nicht Baruti, der jetzt, da von Zuma die Rede ist, seinem griechisch klingenden Namen alle Ehre macht und in die Luft geht. So why do you vote for him? Sichtlich gereizt gibt er zu: Our people don’t vote for Zuma, but for the ANC. Darum also ist er seit 2009 Präsident. Diese Partei wird gleichgesetzt mit dem Antiapartheid-Kampf, the struggle, Nelson Mandela und der Befreiung. Und so gesehen kann jede Schießbudenfigur kandidieren, denn solange sie den ANC anführt, wird sie blind gewählt. Das höre ich immer wieder von Südafrikanern, aber Baruti gibt mir noch mehr Informationen dazu, beispielsweise, dass Zuma das Blaue vom Himmel versprochen hat, wie z.B. in das Bildungssystem zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Wahrlich ein Mann, ein Wort.

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Aufgrund seines Studiums, aber auch als Insider kann Baruti mir viel an Hintergrundwissen vermitteln. So erklärt er mir die Vorgehensweise des Populisten Zuma. Dieser versuche der breiten Bevölkerung zu zeigen, dass er sie nicht vergessen habe und diese Volksnähe werde gerade von den Armen als positiv empfunden. Eine seiner häufigsten Showeinlagen bestehe etwa darin, auf Parteiversammlungen zu singen und zu tanzen. Dazu stimme er oft den ANC-Protestsong aus den struggle-Zeiten an und bewege die Arme entsprechend. Wir stehen gerade an der Ampel und warten auf Grün, was Baruti dazu nutzt, um mir das Lied in zuma-gerechtem Rhythmus vorzusingen: kreisende Bewegungen mit angewinkelten Ellbogen und erhobenen Fäusten in Brusthöhe, als würde er mit beiden Armen eine Maschine aus dem vorigen Jahrhundert ankurbeln. Das Lied heiße Awuleth’ Umshini Wami, was mit nichts Geringerem als „Bring mir mein Maschinengewehr“ übersetzt werden könne. Baruti schaut in den Rückspiegel, gespannt auf meine Reaktion. Meine Augenbraue hüpft etwas ungehalten nach oben und weil im Taxi Stille eingetreten ist und seine Augen auf mich gerichtet sind, sehe ich mich dazu verpflichtet, einen adäquaten Kommentar abzugeben. Das ist allerdings etwas gewagt, finde ich, in der Hoffnung meinen Seminarleiter nicht allzu sehr zu erzürnen. Gewagt sei gar kein Ausdruck, pflichtet Baruti mir sichtlich aufgebracht bei. This guy is insane! Zumal dieser polemische Protestsong die Gemüter nicht gerade besänftige und somit Mandelas Hauptgedanken der Wiederversöhnung, der reconciliation, alles andere als fördere.

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Sein Zorn kann in den nächsten Minuten nicht verrauchen, dazu heizt er mit Details zu sehr nach. Do you know, what Desmond Tutu, this old and wise man said? Der gute Erzbischof und Friedensnobelpreisträger wird viel Kluges von sich gegeben haben, aber just in diesem Moment weiß ich natürlich nicht, worauf der junge Fahrer hinaus will. Warum hat mich kein Mensch vorgewarnt, dass es bestimmte Hausaufgaben zu machen gilt, bevor man in ein südafrikanisches Taxi steigt? Baruti ahnt nichts von meinem Stress und rückt alsbald mit der Sprache heraus: ‘I am ashamed to call this lickspittle bunch my government’, that’s what he said. Auch Tutu scheint also nicht viel vom ANC zu halten, sonst würde er nicht von einem Haufen Speichelleckern reden. Fürwahr nicht.

Zuma und seine comrades scheinen – wie man in weniger gesetztem Deutsch sagen würde – völlig unten durch zu sein, und zwar querbeet durch die ganze Bevölkerung. Endlich bin ich es, die Baruti eine Frage stellt: Aber das Gute an der Demokratie ist doch, dass man Anführer auch wieder nach Hause schicken kann, wenn sie sich als dermaßen verkorkst erweisen. Oder? Mein Taxifahrer ist nie um eine Antwort verlegen: Das stimme zwar einerseits, ABER andererseits räume die Verfassung des Landes dem Präsidenten von vornherein zu viel Macht ein, weil man damals Nelson Mandela im Sinn gehabt habe. Zuma weise jegliche Kritik einfach von sich und rufe das Volk sogar dazu auf, die Probleme des Landes nicht ständig zu übertreiben. You know what he said in his Reconciliation Day speech? Das Einzige, was ich in diesem Moment weiß, ist, dass ich am Ende dieser Fahrt eine Fünf im Fach Südafrikanische Geschichte und Politik bekomme. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Baruti schon wutschnaubend brüllen: Setzen Sie sich! Nicht bestanden! Sie kommen mir nicht noch einmal in mein Taxi! Der Präsident des ökonomisch stärksten Landes auf dem afrikanischen Kontinent habe also indirekt und durch die Blume folgende Anweisung an sein Volk gegeben: We exaggerate our problems and make people think that South Africans are „funny“ people! Dabei stellt sich die Frage, wer denn nun der komische Vogel ist, der die skandalöse Dreistigkeit besitzt, dem Volk zu unterstellen, dass es übertreibt. Praktisch schiebt Zuma damit der Bevölkerung die Schuld für sein Versagen in die Schuhe. Nicht er, sondern die Südafrikaner tragen die Verantwortung für das mehr oder weniger negative Ansehen ihrer Heimat im Ausland. Haarsträubend, was mir der beste Taxifahrer von allen da an Wissen und Informationen vermittelt!

Baruti wartet mit noch einer Information von allergrößtem Interesse auf: By the way … Zuma ist so gewieft, dass er sich in seiner Wahlkampagne sogar an die einzelnen, hier lebenden ethnischen Gruppen wendet, und zwar in ihrer jeweiligen Muttersprache. Ob mir die Plakate dazu schon aufgefallen seien. Nichts dergleichen ist mir aufgefallen, woraufhin Baruti auf ein Plakat zeigt, das an einem Pfahl angeheftet ist. Ich traue meinen Augen nicht … Die in Südafrika lebenden Griechen werden tatsächlich in ihrer Muttersprache dazu aufgefordert, den ANC zwecks besserer Zukunft zu wählen. Wenn man dem Slogan auf dem Plakat Glauben schenken darf, dann lässt sich das Land nur mit vereinten Kräften vorwärts bringen. Zuma zieht wahrlich alle Register …

Ebenso unglaublich scheint es mir, dass eine Ampel so lange auf Rot geschaltet bleiben kann. Baruti, what’s wrong with the robot? Robot heißt hierzulande die Ampel, believe it or not! So sehr hat er sich in die politischen Verhältnisse seiner Heimat hineingesteigert, dass es ihm gar nicht weiter aufgefallen ist, dass wir schon geschlagene fünf Minuten an der Ampel stehen und sich vor uns rein gar nichts tut. Während Zuma im Taxi die Gemüter erhitzt, stehen vor uns kreuz und quer Fahrzeuge, die aus allen Richtungen zusammengekommen sind und ein Weiterkommen schier unmöglich machen. Das einzige, was Baruti zu diesem Anblick bemerkt, ist der Begriff problem. Ich schaue auf die Uhr und bin froh, dass ich für heute nichts weiter geplant habe. Außerdem ist die Unterhaltung im Taxi wirklich kolossal interessant.

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Zurück zu Zuma: Ob er wohl früher mit Mandela befreundet war und seine Karriere ihm zu verdanken hat, schießt es mir durch den Kopf. So direkt wage ich jedoch nicht, Baruti zu fragen, sondern formuliere es etwas allgemeiner. So Zuma was also part of the struggle? Together with Mandela? Entsetzt schüttelt Baruti den Kopf. Wer mir das denn erzählt habe? Keiner. Solche falschen Schlüsse ziehe ich meist im Alleingang, also ohne jegliche fremde Hilfe. Schon wieder ein Fettnäpfchen, das ich übersehen habe. Baruti versucht, meine Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken: Zuma habe zwar auch schon früh dem ANC angehört und sei wegen Planung eines Aufstands fast zur gleichen Zeit mit Mandela auf der Robben Island inhaftiert gewesen. Aber mit Mandela habe er kaum etwas zu tun gehabt, denn sie hätten nicht nur altersmäßig zu weit auseinander gelegen. Da ich schon mehrere Filme über Mandelas Leben gesehen und auch Robben Island besucht habe, weiß ich eigentlich ziemlich sicher, dass der Name Zumas nie in Zusammenhang mit Mandela und der Gefängnis-Insel genannt wird. Als ich das Baruti mitteile, nickt dieser bestätigend. Allerdings habe Zuma die Tatsache, dass er zehn Jahre auf Robben Island verbracht habe, bei seiner späteren Politikerkarriere enorm ausgeschlachtet.

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ANC und struggle hin, Robben Island her, Baruti besteht auch weiterhin darauf: He is not a good man! Das könne man unter anderem auch daran erkennen, dass er von Zambia aus den ANC-Geheimdienst geleitet habe. Das sei allerdings ein sehr undankbarer Posten, gebe ich zu bedenken und weiß im Moment keinen Politiker zu nennen, der durch eine ähnliche Position seinem Image gefördert hätte. Doch Baruti bleibt beharrlich: Im Gegensatz zu Mandela sei er schlichtweg ein schlechtes Vorbild für die Jugend. Eigentlich sei er gar kein Vorbild. Unterschiedlicher könne der Hintergrund der beiden Politiker gar nicht sein. Der junge Student vor mir scheint sich ernsthafte Sorgen um seine Heimat zu machen und schweigt eine Weile. Diese Pause nutze ich, um mein iPhone effektiv einzusetzen und ein paar Punkte zu gewinnen, weil mich Baruti sonst garantiert in der gleichen Klasse sitzen bleiben lässt. Durch meine schnelle Recherche im Internet muss ich feststellen, dass der beste Taxifahrer von allen Recht hat: Mandela, ein Xhosa, stammte von einer edlen Familie ab und studierte Jura, während der Zulu Zuma Ziegen und Kühe hütete, bis er mit seiner Mutter nach Durban zog, wo diese Arbeit als Dienstmagd gefunden hatte. Zuma hat keine formale Schulbildung, die Geister scheiden sich, ob er die 4. oder 5. Klasse beendet oder erst als junger Mann auf Robben Island lesen und schreiben gelernt hat. Das ist zugegebenermaßen schon unziemend und mehr als dürftig für ein Staatsoberhaupt. Der junge Taxifahrer dagegen ist akademisch gebildet und das in Fächern, deren Studium Zuma, der jetzt willkürlich über dieses Land entscheidet, ganz gut getan hätten.

Nach der kurzen Sendepause setzt Baruti wieder an und ist nicht mehr zu bremsen. Zuma sei gerissen. Basta! Es sei dahingestellt, ob er nun aufgrund seines teuflischen Charakters beim Geheimdienst gelandet sei oder ihn seine Tätigkeit beim Geheimdienst zu dem gemacht habe, was er heute sei. Und in diesem Zusammenhang beginnt Baruti ziemlich aufgelöst mit einer detaillierten Beschreibung einer Person, die man zusammenfassend und auf gut Deutsch als Schlitzohr bezeichnen könnte. He is street smart, gewieft und durchtrieben. Schon vor seinem Amtsantritt sei er in Intrigen verwickelt gewesen; Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung hätten ihm Millionen zugeschustert. Aber dieser Fuchs streite alles ab und lache sich schlichtweg kaputt. Sogar die Vergewaltigung der Tochter eines früheren Genossen streite er ab. Man stelle sich vor: Das Gericht habe befunden, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattgefunden habe. Einvernehmlich! Er wiederholt das Wort einige Male und schüttelt dabei den Kopf dermaßen heftig, als ginge es darum, einen schwer beladenen Birnbaum von seiner saftigen Früchtepracht zu befreien.

Ein Staatsoberhaupt, das der Vergewaltigung einer jungen Frau beschuldigt wird, ist allerdings skandalös. Mir wird flau im Magen. Da wir in den letzten zehn Minuten keinen Meter weitergekommen sind und Baruti in mir eine interessierte Zuhörerin gefunden hat, lehnt er sich zurück und zerfleischt Zuma nach allen Regeln der Kunst. Mit dieser Vergewaltigungsgeschichte scheint sich Zuma ja überhaupt der Lächerlichkeit als solcher preisgegeben zu haben, allein schon durch die Behauptung, dass er von der HIV-Infektion dieser Frau gewusst habe. So guess what he said after he had unprotected sex with a young woman knowing she had HIV! Guess what a president said in public! Remember: Not as a joke to his friends, but in public! Ich zucke mit den Achseln und bin gespannt wie ein Flitzebogen, um endlich zu erfahren, was ein Präsident in diesem Fall wohl in der Öffentlichkeit von sich geben mag. Alles an dieser Geschichte ist bedenklich, angefangen bei der sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung. Was kann denn noch derber sein, das meinen Taxifahrer dermaßen in die Luft gehen lässt und ihn wort-wörtlich zu einem griechischen Baruti macht? Our president, setzt Baruti in einem Ton an, der an Spott nicht zu überbieten ist, said that in order to protect himself from contracting HIV, he had taken a hot shower quickly afterwards. Tragisch und unerhört, was mir da zu Ohren kommt, dass nämlich ein Staatsoberhaupt behauptet, die Gefahr dieses Virus nach dem Akt einfach durch eine heiße Dusche zu bannen. Ich bin dermaßen geschockt, dass ich es beim besten Willen nicht annähernd lustig finden kann, aber der junge Taxifahrer schüttelt sich vor Lachen, das Auto bebt buchstäblich und ich bin froh, dass wir an der Ampel festsitzen und er sich nicht bei 100 km/h über Zuma amüsiert. Jedes Kind in Südafrika wisse mittlerweile, wie HIV übertragen werde und der einfach gestrickte Präsident dusche schlichtweg. Ich muss zugeben, dass solche Aussagen einem Staatsoberhaupt – egal welchen Landes – nicht gerade das Image aufpolieren. Aber andererseits passt es doch irgendwie, wenn man voraussetzt, dass er als Kind zu heiß gebadet wurde, oder?

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Baruti will mir unbedingt anhand von Beispielen beweisen, was für ein Kohlkopf dieser glatzköpfige Zuma ist. Zeit genug haben wir ja dafür …

– Do you know Zapiro? 

– Leider nicht, nur Madame Zingara. Sind die beiden etwa miteinander verwandt? 

Nicht dass ich wüsste …

Baruti klärt mich über den südafrikanischen Karikaturisten auf. Dieser stelle nämlich Zuma nach dem Skandal mit der HIV-Dame nur noch mit einer Brause auf dem Kopf dar, egal in welchem Zusammenhang. Mein Taxifahrer mit dem griechischen Namen amüsiert sich köstlich und schlägt sich ununterbrochen auf den rechten Oberschenkel. Ich mobilisiere meine Fantasie und setze dem kleinen Dicken, den ich aus den Nachrichten kenne, einen runden Brausekopf auf die runde Glatze seines runden Schädels und schon haben wir ein vortreffliches Erscheinungsbild. Ich muss schmunzeln.

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Baruti ist dermaßen in Fahrt, dass er schon beim nächsten Künstler ist, der Zuma zur Zielscheibe gemacht hat. Brett Murray habe noch einen drauf gesetzt und Zuma in selbstgefälliger Lenin-Pose gezeichnet, aber mit offener Hose und heraushängenden Geschlechtsteilen. Der treffende Name des Werkes laute „The Spear“. Das habe man davon, wenn man polygam sei und der Vergewaltigung bezichtigt werde, schnaubt Baruti recht polemisch. Nicht zu fassen, was man so alles erfährt, wenn die Ampel nicht funktioniert. Die etwas steife Europäerin meldet sich zu Wort und gibt zu Bedenken, dass eine derartige Abbildung doch etwas zu weit gehe und alles andere als politically correct sei.

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Baruti bleibt das Lachen in der Kehle stecken, er dreht sich herausfordernd zu mir um und nagelt mich mit seinen kohlschwarzen Augen fest. Um seinem strengen Blick zu entkommen, lasse ich den meinigen sicherheitshalber in Richtung der Autodecke davonirren. Ob ich etwa auf Zumas Seite stünde? Aus Angst, womöglich den Rest der Strecke laufen zu müssen, vergesse ich die westliche politically correctness, die einem hierzulande nur Ärger einbringt. Wo denke er hin? Natürlich nicht! Mein Gesichtsausdruck verrät ihm offensichtlich, dass mir nichts ferner liegt als Zuma in Schutz zu nehmen, vor allem in so einem kleinen Gefährt, aus dem jeglicher Fluchtweg ausgeschlossen ist. Abgesehen davon stünde ich schon längst im Guinness-Buch der Rekorde, weil ich kontinentalweit die einzige Weiße wäre, die Zuma unterstützen würde. Noch dazu eine Europäerin. Wer soll einem diese Geschichte abnehmen?! Baruti, ich bitte dich!

Für kurze Zeit ist es still im Taxi, die Vermutung liegt nahe, dass der junge Fahrer nicht weiß, was er von mir halten soll. Eine Weiße, die Zuma in einem Atemzug mit dem Ausdruck politically correct nennt. Wo gibt es denn so etwas? Ich nutze die Funkstille, um die gerade erhaltenen Informationen zu googeln und finde die Karikaturen, von denen die Rede ist. Donnerwetter, sie haben es wirklich in sich! Look, Baruti! Ich bin auf dem Versöhnungstrip und halte ihm die Abbildungen unter die Nase. Der beste Taxifahrer von allen wirft mir einen Seitenblick zu, tut meinen politically-correctness-Spleen wohlmöglich als weißes Tussi-Gehabe ab und verzeiht mir noch einmal. Ich fasse zum Dank dafür die wichtigsten Informationen aus dem Netz zusammen: Der ANC habe den Künstler, also Brett Murray natürlich verklagt. Bei einer Ausstellung sei das Bild dann auch noch mit Farbe beschmiert worden, woraufhin Zapiro sich etwas Neues ausgedacht habe. Er habe sich Murrays Abbildung ausgeliehen, dem Zuma-Lenin eine Brause auf den Kopf geschraubt und die Geschlechtsteile gegen eine zweite Brause ausgetauscht. Von der Lenden-Brause fließen nun statt Wasser vier Begriffe: Sex Scandals, Corruption, Nepotism, Cronyism, also auch Vetternwirtschaft und Klüngelei sei vom Künstler gebührend bedacht worden. Ich scrolle etwas weiter und finde tatsächlich das im Artikel beschriebene Bild, auf dem oben rechts Zapiro die ausgeprägten sexuellen Bedürfnisse des Präsidenten wie folgt kommentiert: With apology to Brett Murray. No apology to President Zuma. Want Respect? … earn it! 

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Als ich Baruti auch dieses Bild stolz unter die Nase halte, bekommt er einen Lachanfall und steckt mich damit gehörig an. Und da Lachen bekanntlich gesund ist, stört es mich kein bisschen, dass wir seit einer halben Ewigkeit keinen Zentimeter vorwärts gekommen sind …

 

… FORTSETZUNG FOLGT …

 

 

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Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

 

Copyright 2019 Christina Antoniadou / All rights reserved 

 

Beitragsbild:www.vancouversun.com

 

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