von Christina Antoniadou
Die Weltstadt London soll für die nächste Zeit unser Zuhause sein. Also schicken wir uns an, eine passende Unterbringung zu finden und beginnen in Stadtteilen wie Hampstead, Kensington und Fulham mit der Suche nach einem möblierten 2 bedroom flat mit guter Verkehrsanbindung – was in London Nähe zur tube bedeutet – und das alles zu einem vernünftigen Preis. Es erweist sich in dieser Megastadt als schwieriges Unterfangen, eine Wohnung zu finden, die alle erwähnten Faktoren vereint, zumal wir törichterweise in Vierteln suchen, in denen Mieten alles andere als erschwinglich sind. Die Tatsache, dass wir obendrein ein mit Möbeln bestücktes Apartment benötigen, macht die Suche nicht einfacher. Im Gegenteil.
www.christiantate.co.uk
Das Problem hört auf den Namen Einrichtung und bezieht sich auf Qualität, Alter, Zustand und leider auch auf das Design der Möbel. Nach dem bekannten Motto „Über Geschmack lässt sich streiten“ sollte man eher das Gegenteil tun und sich auf keine Diskussion einlassen, denn Geschmäcker können tatsächlich von Land zu Land variieren, was an und für sich eine Bereicherung ist. Gleiches gilt für den Begriff „Wohnqualität“. Allein schon der Versuch einer Definition mag scheitern, weil jeder etwas anderes darunter versteht. Besagte Qualität hängt also von den Gewohnheiten, der subjektiven Wahrnehmung und den Ansprüchen des Betroffenen ab. Die Betroffene bin ich. Und somit auch meine bessere Hälfte.
Bei der Suche nach einer passenden Unterbringung in London erweitere ich mein Allgemeinwissen um einige wertvolle Details: Wohnungen bzw. zu mietende Zimmer in UK werden aus gutem Grund shoebox genannt und lassen somit wenig Raum für falsche Schlussfolgerungen. Meist sind sie weder besonders neu noch sonnendurchflutet – ein Begriff, der in dieser Stadt ohnehin weniger üblich ist –, geschweige denn großzügig angelegt. In London ist eher das Gegenteil der Fall, denn die meisten Gebäude wurden entweder im 18. Jahrhundert unter verschiedenen Monarchen, allesamt namens King George (I-IV) oder später im 19. Jahrhundert unter Queen Victoria errichtet, als es einen gewaltigen Bauboom nach dem anderen gab. Aufgrund der enormen Landflucht bekamen die Bauherren die Anweisung, auf möglichst wenig Raum möglichst viele Menschen unterzubringen. Diese knapp bemessenen Räumlichkeiten besichtigen wir Jahrhunderte später, angefangen bei Reihenhäusern – den sogenannten terraced houses – im georgianischen Architekturstil, die samt und sonders nicht nur durch ihren typisch braunen Backstein, sondern auch durch ihre hellhörige, renovierungsbedürftige, ja ich möchte fast sagen schäbige Beschaffenheit hervorstechen.
www.bleakhouse.london/blogs/news/hidden-hampstead-london
Als wir mit entsetztem Gesichtsausdruck fragen: Could you show us something … newer, please?, überspringt der Makler behände ein Jahrhundert und bietet uns „neuere Wohnungen“ zur Besichtigung an. Fassungslos stellen wir fest, dass bei diesen aus der Zeit von Queen Victoria ebenso erhebliche Mängel bestehen, von denen sowohl gehörig klemmende und quietschende Türen als auch knarrende Fenster, die sich allesamt nur mit vereinten Kräften öffnen lassen, zu den geringfügigsten zählen. Aufgrund des florierenden Londoner Wohnungsmarktes können es sich Hausbesitzer erlauben, solch inakzeptable und gewöhnungsbedürftige Wohnungsobjekte anzubieten. Warum sollten sie dafür sorgen, dass eine Wohnung in einem – sagen wir einmal – solideren oder auch sauberen Zustand ist, wenn sie sich auch ohne jegliche Modernisierungs- oder Renovierungsmaßnahmen und damit verbundenen Ausgaben problemlos vermieten lässt?
www.pinterest.co.uk
Liebhaber dieser Bauweisen mögen mich nun nach dieser grausigen Schilderung einen Architektur-, vielleicht sogar einen Kulturbanausen schimpfen, womit sie vermutlich sogar Recht haben dürften. Zugegebenermaßen sind die Fassaden dieser Gebäude schön anzusehen. Aber muss ich darum gleich darin wohnen? Täglich komme ich an Hunderten solcher Architekturwunder vorbei und kann mich daran satt sehen, bis sie mir im schnelllebigen Londoner Alltag nicht mehr weiter auffallen werden. Wer eine Vorliebe für schräge oder gar schiefe Wände hat und für Böden, die bei jedem Schritt mitschwingen, der wird sicherlich Gefallen an diesen Gebäuden finden und die Güte haben, vor lauter eigenem Glück meinen Hang zum Praktischen zu verzeihen.
www.hiveminer.com
Nach zwei Wochen Marktforschung kann ich die erste Schlussfolgerung ziehen und diese lautet wie folgt: Von allen Zimmern in London ist nach meinem kontinentaleuropäischen Empfinden das Badezimmer mit Abstand der Raum, der die meisten Fragen aufwirft. All die Jahre bin ich davon ausgegangen, dass es wirkliche Mysterien auf der Welt gibt, die ungelöst bleiben, wie beispielsweise die Existenz von Atlantis, die Konstruktion der Pyramiden oder der undurchsichtige Tod von Marilyn Monroe. Doch die Besichtigung von mehreren Londoner Wohnungen stellt all diese Rätsel unwiderruflich in den Schatten. Die geehrte Leserschaft wird hiermit gebeten, das Augenmerk auf folgenden Bestandteil des UK-Badezimmers zu richten und gemeinsam nach einer Erklärung zu verlangen: Warum werden in britischen Haushalten zwei getrennte Wasserhähne verwendet – einer für kaltes und einer für warmes Wasser? Interessant ist die erstaunte Reaktion der Briten, wenn man sie daraufhin anspricht, gefolgt von der ebenso verwunderten Frage: Ja, wie sollen Wasserhähne denn sonst sein? Beim Versuch einer Erklärung für etwas, was für kontinentaleuropäische Verhältnisse keiner Erklärung bedarf, kommt man nicht umhin, sich fassungslos an den Kopf zu greifen und sich obendrein gehörig zu wundern. Hat man seit der Ära Queen Victorias tatsächlich noch nichts von der Erfindung der Mischbatterie mitbekommen, die warmes und kaltes Wasser problemlos zusammenführt und die Haut sowohl vor Verbrennungen als auch vor Frostbeulen bewahrt? Die Antwort des Einheimischen ist meist: Ach die Küchenwasserhähne, die manche eigenartigerweise haben! Das freudige Kopfnicken des Kontinentaleuropäers lässt auf die Illusion einer geglückten Verständigung schließen: Genau! Nur eben überall im Haus! Des Briten weit aufgerissene Augen, gepaart mit einem Blick, der ein einziger Vorwurf ist, lässt nur eine Vermutung zu, dass man nämlich gerade eben als „verzogene Göre“ eingestuft wurde: Im GANZEN Haus?! Wozu das denn?
www.reddit.com
Auf der ganzen Welt hat sich diese bewährte Vorrichtung erfolgreich verbreitet, außer eben in diesem Königreich. Die Logik, die sich angeblich dahinter verbirgt, erschließt sich mir keinesfalls, soll es doch einerseits an den drucklosen Warmwasserspeichern auf dem Dachboden liegen, andererseits an dem zu niedrigen Wasserdruck. Folglich handelt es sich um Mängel, die in einem Land, das zu den G7 gehört, ohne nennenswerten Aufwand behoben werden können, vorausgesetzt der Wille dafür wäre da. Vielleicht liegt es jedoch einfach nur an der britischen Angewohnheit, die Badewanne volllaufen zu lassen, statt zu duschen. Folglich wird nach dem gleichen Prinzip das Wasser in das Waschbecken eingelassen, in dem dann die Hände gewaschen werden. Oder etwa auch das Gesicht? Nach dem Motto „Long live the Queen!“ hält man hierzulande auch weiterhin gerne an Traditionen wie diesen fest.
www.keepcalm-o-matic.co.uk
Aus hygienischen Gründen dürfte mir auch das nächste bemerkenswerte Detail im Londoner Bad aufgefallen sein, nämlich der Bodenbelag. Untrügliches Zeichen dafür, dass man sich in Großbritannien befindet, ist der Teppichboden in einem Raum, in dem sonst fast überall auf der Welt aus guten Gründen Fliesen verlegt werden. Völlig fassungslos blicke ich auf die kaleidoskopische Hässlichkeit, die sich mir zu Füßen ausrollt und bei deren Anblick jedem Betrachter, der über einen halbwegs akzeptablen Geschmack verfügt, die Augen wehtun müssten. Ich versuche, rein praktische Gründe für diese Entscheidung zu finden und kann beim besten Willen als einziges Argument nur die Wärme durchgehen lassen. Aber selbst dann sind die verwegenen Farbkombinationen der Blumen- und Schottenmuster, Geometriegewitter und Girlanden – um nur einige phantasievolle Gebilde zu nennen – nicht plausibel erklärbar. Vor allem nicht im Hinblick darauf, dass der Besitzer sich diese Geschmackslosigkeit freiwillig antut oder eventuell noch schlimmer, Verschnörkelungen jeglicher Art auf dem Boden als äußerst apart empfindet …
www.tartancarpets.co.uk
Während wir also nach zwei Wochen immer noch keine 60-70 qm große Wohnung gefunden haben, die unseren Vorstellungen in etwa entsprechen könnte, mache ich die Erfahrung, dass diese alten und abgenutzten Behausungen sündhaft teuer sind, was je nach Lage 300,- bis 600,- £pro Woche für ein 2 bedroom flat bedeuten kann. Vermutlich wird die Höhe der Miete aus gutem Grund wöchentlich genannt. So braucht der potenzielle Mieter nämlich – je nachdem, wie es um seine mathematischen Fähigkeiten bestellt ist – einige Zeit, bis er den Betrag mit vier multipliziert und somit die wahre Summe berechnet hat. Erst dann bekommt er den großen Schock bezüglich der Miete, die er zu entrichten hat. Die Makler klären mich über das Nächstliegende auf, dass nämlich Wohnungen aufgrund dieser unerhörten Preise meist nur mit vereinten Kräften bezahlbar sind. Folglich wohnen Briten und in London lebende Ausländer – derer es Millionen aus aller Welt gibt – meist in einer WG, und das nicht nur als Studenten, sondern oft genug noch Jahre später. Im Laufe meines Aufenthaltes in dieser Mega-City soll ich wiederholt Leute – und zwar auch ältere Jahrgänge – kennenlernen, die nur furnished flats mieten – also über keinerlei eigene Möbel verfügen – und vielleicht auch deswegen eine besonders ausgeprägte Umzugsfreudigkeit an den Tag legen.
www.homely.com.au
Folgende Variante ist mir jedenfalls schon des Öfteren so oder so ähnlich zu Ohren gekommen: Alle sechs Monate zieht der Mieter um, indem er seine paar Habseligkeiten in 4 Kartons steckt und zu wildfremden Menschen zieht, die er sechs Monate später mit just den gleichen Kartons wieder verlässt, um mit den nächsten wildfremden Menschen Küche und Badezimmer und oft genug auch das Bett zu teilen. Jawohl das Bett! Und zwar weder aus sexuellen noch aus sonstigen Gründen, die ein etwas engeres Zusammenleben begünstigen. Tatsächlich ziehe ich ernsthaft in Erwägung, einen Ohrenarzt aufzusuchen, als ich Zeuge der Schilderung einer begeisterten Frau werde, die nicht nur im übertragenen Sinne ganz aus dem Häuschen ist, weil ihr neues Zimmer über eine superweiche Matratze verfügt. Der Umstand, dass sie sich Zimmer, nebst hervorragender Matratze mit einer anderen Partei teilen muss, scheint sie nicht weiter zu stören. Wer in London lebt, der muss sich notgedrungen auf mehr Nähe zu seinen Mitmenschen einstellen. Tuchfühlung ist nicht nur in der tube angesagt, sondern offensichtlich auch Zuhause.
www.unsplash.com
Nach der dritten Woche haben wir genug von Wohnungsbesichtigungen in Hampstead, Kensington, Fulham und Umgebung. Eine rasche, klare Entscheidung, wie sie erwachsenen Menschen ansteht, ist dringend geboten. Folglich tauschen wir den traditionellen, den typisch britischen Westen Londons gegen seinen Osten aus, der nur in Ansätzen daran erinnert, in welcher Stadt wir tatsächlich leben. Und siehe da … schon befinden wir uns in einer nagelneuen Wohnung in einem nüchternen, langweiligen Gebäude, das die heutigen Bedürfnisse eines zeitgenössischen Kontinentaleuropäers pragmatisch befriedigt. Nichts von der viktorianischen, geschweige denn von der georgianischen Zeit ist bis hierher vorgedrungen und selbst wenn, geht es zwischen den vielen Hochhäusern verloren. Wir lassen uns glücklich und zufrieden in einem schlichten, weniger ansehnlichen und unspektakulären Hochhaus mit Blick aufs Wasser nieder und zwar in … Canary Wharf.
www.cityam.com
Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
Copyright 2018 Christina Antoniadou / All rights reserved
Beitragsbild:www.keepcalm-o-matic.co.uk
Informativ, unterhaltsam, humorvoll wie gehabt, liebe Christina. Weiter so!!
?
Diese Geschichte ist eine Bestätigung der Horrorgeschichten, die ich von Freunden und von meiner Tochter gehört habe. Aber deine Geschichte ist humorvoll, informativ und so unterhaltsam … Das Foto mit der Plastikflasche, in der warmes und kaltes Wasser angeblich gemischt wird, finde ich spitze. Danke Christina.
Vom heimischen Sofa aus macht deine Wohnungssuche besonders viel Spaß!
Durch deine Wohnungssuche haben wir immerhin Einblick in die intimsten Sphären der Engländer bekommen. Infomativ und lustig zugleich. So ähnlich ist übrigens die Situation auch in Amsterdam. Ich kann mir vorstellen, wie du mit Grauen auf dem nassen Teppichboden im Bad stehst!
Mich ekelt es schon allein durch die Beschreibung. Ich kann mir vorstellen, wie du dich gefühlt hast. Es ist jedoch für jemanden, der das nie hat durchmachen müssen, sehr informativ. Darüber hinaus ist es so wundervoll und humorvoll von dir erzählt, dass man Spaß hat, von zu Hause aus dabei zu sein. Man ist fast schon dankbar, dass es in England so vor sich geht bei der Wohnungssuche, damit du Stoff zum Schreiben hast.?
Also, ehrlich gesagt, Christina, nur die Gespenster-Wohnungen hast du hier nicht erwähnt, sodass wir auch ein bisschen Angst bekommen. Irgendwie musste ich bei der Lektüre von quietschenden Türen an die englischen Gruselfilme aus den 70er Jahren denken.
Glücklicherweise habt ihr das Matratzeteilen und die köstlichen Teppichböden meiden können.
Aber dass europaweit ein ganzes Land im 21. Jahrhundert über getrennte Wasserhähne für Warm- und Kaltwasser verfügt, darauf wäre ich nie gekommen – wieder was dazugelernt. Und das dazugehörige Patent-Bild bringt einen wirklich zum Lachen!
Sehr humorvoll beschrieben! Mich wundert es nur, dass ich mich kaum an solche Einzelheiten erinnere oder gar nicht beachtet habe!! Toll, du registrierst einfach alles!!!