von Christina Antoniadou
Man könnte behaupten, dass internationale Begriffe dazu beitragen, eine gemeinsame Basis zu schaffen, sodass lebenswichtige Wörter wie Demokratie, Philosophie oder Psychologie überall auf der Welt identisch sind und sich nur ein wenig in der Aussprache unterscheiden. Also kann ein gewisser Prozentsatz an englischen, französischen, italienischen, spanischen und griechischen Begriffen von den Völkern der entsprechenden Länder realisiert und verstanden werden, ohne dass eine zusätzliche Fremdsprache hinzugezogen werden muss. Theoretisch zumindest.
In Südafrika spricht man offiziell elf Sprachen, in Johannesburg verständigen sich jedoch die meisten Weißen in Englisch. Die Geschichte mit dem hiesigen Missverständnis, die ich nun berichten möchte, hängt mit meinen Schultern zusammen, die eine Vorliebe für alle möglichen Leiden haben. Die linke ist schon vor Jahren von einer Kaltfront befallen worden, sodass dieses Leiden den eindrucksvollen wissenschaftlichen Namen Frozen Shoulder trägt.
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Die rechte wollte es der linken nicht gleich tun und entschied sich für Verkalkung, was auch teilweise mit dem fortschreitenden Alter der Besitzerin beider Schultern einhergeht. Also habe ich seit geraumer Zeit rechts eine Kalkschulter, die ich mit einer Stoßwellentherapie behandeln lasse, was wie folgt abläuft. Die an der Schulter geschädigte Person, also ich, sitze auf einem Stuhl und der Arzt mit dem asiatischen Gesicht, der amerikanischen Aussprache und dem südafrikanischen Pass richtet sich zu majestätischer Größe auf – I promise you, er ist keine 1,48 m groß – und beschießt mit einem pistolenähnlichen Apparat eine Fläche Haut von 10×10 cm. Seine bloße Erscheinung erstickt jeden Widerstand im Keim und so nimmt er sich die Freiheit, mich ungefähr fünfzehn Minuten lang gnadenlos zu malträtieren, zwar ohne Munition, aber auch ohne Geschoss leide ich nicht unerheblich. Diese Tortur muss man insgesamt drei Mal über sich ergehen lassen und dann dürfte die Kalkablagerung in viele Teile zerfallen und irgendwie im Organismus abtransportiert werden, sodass sie den Betroffenen, in diesem Falle mich, nicht mehr stört.
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Zwei von diesen Sitzungen habe ich schon mit Bravour hinter mich gebracht. Nun steht mir die dritte session bevor, die ich für einen Dienstag angesetzt habe. Während ich mich gemächlich zum Aufbruch anschicke, um vor dem Shooting noch allerhand zu erledigen, ruft mich die Sekretärin aus der Klinik an und teilt mir mit, dass mich Dr. Shang heute nicht beschießen kann, denn … he will be in theatre. Sendepause. Da ich glaube, etwas falsch verstanden zu haben, bitte ich die Sekretärin um Wiederholung. Daraufhin folgt der gleiche Satz in etwas langsamerer Form, diesmal mit dem Zusatz the whole day. Ist schon allerhand, was für Prioritäten manche Leute setzen, aber diesen Gedanken behalte ich wohlweislich für mich. Stattdessen ringe ich um meinen dritten Termin: Na dann vielleicht … am Mittwoch? Nein, am Mittwoch müsse er auch ins Theater, ob ich am Donnerstag könne, denn da habe er kein Theater.
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Ich muss mich sehr zusammennehmen, um keinen ironischen Kommentar abzugeben. Was für eine Art Klinik soll das denn bitte schön sein, in der Proben oder Vorstellungen Vorrang haben, statt den Patienten den Kalk aus der Schulter zu schießen. Ganz abgesehen davon, dass dieser Termin ja nun schon vor einer Woche vereinbart wurde. Man sollte davon ausgehen können, dass der schauspielende Arzt eine hochentwickelte Persönlichkeit von scharf ausgeprägter Intelligenz ist und doch eigentlich im Voraus wissen müsste, an welchen Tagen er Proben hat, um erst gar nichts Unbedachtes zu vereinbaren oder gar Termine zu setzen. Jetzt muss gecancelt werden, sodass seine Unzuverlässigkeit erst recht auffällt. Er könnte seinen schauspielerischen Bedürfnissen doch mit Leichtigkeit nachgehen, ohne es auf diese ungeschickte Art und Weise in die Welt hinauszutragen! Zum Glück bin ich in diesem Moment so perplex, dass ich außerstande bin, meiner spöttischen Art freien Lauf zu lassen. Außerdem fehlen mir wort-wörtlich die Worte dafür, und zwar die englischen!
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Als ich auflege, ebbt mein Missmut etwas ab und macht Platz für eine Art Bewunderung. Dieser eher kleine Mensch beschießt nicht nur Menschen von eher hohem Wuchs, sondern steht auch auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Unglaublich, dieser Pimpf! Hätte ich ihm gar nicht zugetraut, dass er so ein Hobby hat und auch noch so viel Zeit dafür investiert. Was für Rollen er wohl bekommt? Unwillkürlich muss ich daran denken, wie ich vor Jahren Hangover im Kino sah – keine Ahnung, welche der drei sequels es war – und der ganze Saal vor Lachen bebte, als der skurrile Asiate wie wild herumhüpfte, ohne Ende Grimassen schnitt und sich selber unablässig mit seinem grotesken Verhalten überbot. Ob mein Arzt wohl die Rolle so einer Schießbudenfigur bekommen hat? Denn den Casanova wird er wohl schwerlich abgeben können. Trotzdem imponiert mir dieser Knirps von Arzt immer mehr, auch wenn seine Arbeitsmoral ja nun wirklich zu wünschen übrig lässt. Es ist sicherlich nicht die feine Art, Patienten zu versetzen und vielleicht sogar langfristig zu vergraulen, nur um auf der Bühne zu stehen. Das könnte man sich in Europa nicht leisten. Aber schließlich sind wir in Südafrika, da läuft so manches anders …
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Abends kommt mein Mann heim und beim Abendessen unterhalten wir uns ausgiebig über die Geschehnisse des Tages. Also erzähle ich ihm unverzüglich, dass Dr. Shang Schauspieler ist und für eine Vorstellung proben muss und dass ich ihn nächstes Mal fragen werde, wo er denn spielt, damit wir uns von seinem schauspielerischen Talent aus der Nähe überzeugen können. Mein Gatte ist ein hervorragender Mensch mit unzähligen Stärken, jedoch hat er einen Makel. Egal was er gesagt bekommt, sicherheitshalber bezweifelt er es erst einmal. Seine Lieblingsreaktionen sind je nach Ereignis „Kann doch nicht sein! – Das ist ausgeschlossen! – Bist du sicher?“. Als ein von mir überzeugter Mensch reagiere ich meist etwas ungehalten auf seine Kommentare, was in keinster Weise meinem Selbstbewusstsein, dafür aber meinen Nerven schadet, denn ich gehe in schöner Regelmäßigkeit in die Luft, wie das cholerische HB-Männchen von früher.
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Er beharrt dieses Mal mehr auf seiner Meinung als normal. Wann mir dieser Arzt das denn erzählt habe, will er mit tadelndem Unterton wissen. Gar nicht erzählt hat er es mir. Die Sekretärin hat angerufen und den Termin für heute abgesagt, weil er zum Theater muss. Und am Mittwoch genauso, darum habe ich einen Termin für Donnerstag bekommen.
Der hervorragende Mensch mit dem Makel schaut mich für Sekunden an und bricht in schallendes Gelächter aus. Mein Blick dagegen ist ein einziger stummer Vorwurf. Als er mich darum bittet, den Satz zu wiederholen, den mir die Sekretärin mindestens drei Mal durchs Telefon geflötet hat, klärt er mich auf. In Südafrika und in UK ist theatre die Entsprechung für Operationssaal oder Operation, während man für Theater show benutzt …
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Mein Blick spricht Bände … Zum Glück habe ich meinen Arzt nicht nach Freikarten gefragt. Wie peinlich das wieder gewesen wäre …
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Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Beitragsbild:www.mbtskoudsalg.com
Vielen, vielen Dank für diesen schönen Bericht, der mir sicherlich noch einmal sehr nützlich sein wird. Nicht auszudenken, ich meldete mich für „theatre“ an, etwa „Die Schöne und das Biest“, kunstinteressiert wie ich bin, und landete auf dem OP-Tisch, wo dann der Arzt je nach Einschätzung mich in das eine oder andere verwandelte…
Hahaha super!!! Ich hätte gerne das Gesicht des Ehemanns gesehen in diesem Moment! Sehr lustig, super erzählt, wollte unbedingt erfahren, was passiert ist! Passend hier…lost in translation 🙂
Ist ja lustig, dass auch dir Weltenbummlerin so etwas passieren kann. Es hätte den Arzt sicher erheitert, wenn du ihn nach Theaterkarten gefragt hättest.
Wirklich toll erzählt Christina. Habe mich schier totgelacht als du meintest, das nächste Mal müsstest du ihn nach Freikarten fragen.
Aber zum Glück hast du es für dich behalten und es erst deinem Mann erzählt. Welche Unannehmlichkeiten sind dir erspart geblieben…..?
Im antiken Drama gab es Tragödien und Komödien. Beide Gattungen wurden auf der Theaterbühne aufgeführt. Dasselbe geschieht auch heutzutage. In zwei Ländern, wie du schreibst, ist mit dem Wort Theater der Operationssaal gemeint, wo es meistens um Tragödien geht. In deiner Geschichte lernt man aber nicht nur eine neue Bedeutung des Wortes Theater, sondern man lacht auch spontan und laut wie es nur in einer gelungenen Komödie geschieht.
Zwei Karten für mich bitte … wenn es möglich ist.?? Danke für die schönen Geschichten!
So ein Theater!
Ich habe mich totgelacht! Was allerdings die Auskunft der Sekretärin betrifft, hätte ich genau das gleiche wie du verstanden.