von Christina Antoniadou
Wie gesagt, die Deutschkenntnisse meiner Schülerinnen sollen sich bis Mai so weit verbessern, dass dem Praktikum in Stuttgart nichts mehr im Wege steht. Und was gibt es Wichtigeres für einen Schüler, der sich längere Zeit in Deutschland aufhalten wird, als sich die Fertigkeit anzueignen, über das Wetter zu sprechen? Zusammen mit den Himmelsrichtungen gilt es also, wetterrelevante Ausdrücke zu festigen.
Die Windrose im Lehrbuch zeigt alle Himmelsrichtungen mit den bekannten Buchstaben N, S, W und O und kombiniert sie mit Abbildungen, die bestimmte Wetterverhältnisse darstellen. Widriges Wetter wie Regen, Schnee, Wind oder Hagel überraschen die Figuren im Buch, die nicht gewappnet zu sein scheinen und sich vor Wettereinflüssen nicht zuverlässig schützen können. Starker, fast sturmähnlicher Wind wird mithilfe eines zerzausten, aber ansonsten eleganten Herrn dargestellt, der dem Wind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein scheint. Besagter Herr könnte ohne weiteres der Serie „Mit Schirm Charme und Melone“ entsprungen sein.
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Er wird so gehörig vom Wind durchgepustet, dass sein Stockschirm, der nicht allzu hohe Windstabilität aufweist, total versagt, den Nordwind nicht übersteht und umschlägt. Der umgestülpte Regenschirm scheint unwiderruflich beschädigt, die Speichen mehrfach geknickt und verbogen zu sein. Eigentlich sollte er sich nach dem nächsten Mülleimer umschauen, denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass dieser Gebrauchsgegenstand wieder funktionstüchtig wird.
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Soviel zur phantasievollen Darstellung des windigen Nordens. Der Süden wartet dagegen mit weniger Vorstellungskraft auf. Das Lehrbuch bedient sich hierfür typischer Motive: Eine rudimentär bekleidete, am Strand liegende Schönheit kaut gelangweilt an einem Strohhalm. Ihre Haut ist so unnatürlich braun, wie sie es seit dem Ozonloch eigentlich nicht mehr sein sollte, doch scheint die Dame es darauf anlegen zu wollen und lässt die Sonne gnadenlos auf sich herabscheinen.
Als Lehrerin stehen einem mehrere Methoden offen, das Vokabular der Schüler zu aktivieren, ich greife in Ermangelung blühender Phantasie zu der einfachsten: Sie sollen in einem Rollenspiel die Szenen nachspielen und die Personen im Buch interviewen. Na dann macht mal, denke ich und warte ab. Keine der drei Schülerinnen scheint allerdings auch nur annähernd motiviert zu sein, um das, was ich im Sinn habe, in die Praxis umzusetzen. Etwas an den Abbildungen muss sie wohl irritieren. Vermutlich haben sie nicht auf Anhieb verstanden, worum es geht, also setze ich zu einer Erklärung an und schildere die üblichen europäischen Wetterverhältnisse: Der Norden Europas kann extrem kalt, der Süden dagegen sehr warm sein. Gleiches gilt für Nord- bzw. Südwind. Um das Ganze zu veranschaulichen, erwähne ich noch, wie in Griechenland Autos, Straßen und Balkone manchmal mit einer gelben oder roten Schicht überzogen sind, weil der Südwind Sand aus Nordafrika direkt nach Griechenland geweht hat. Dieses nach Sand knirschende Bild setzt dem Ganzen die Krone auf. Der Groschen will partout nicht fallen.
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Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Spieß umzudrehen und – so gut es geht – meine eigene Unzurechnungsfähigkeit hierzulande darzustellen. Ich erzähle ihnen, dass mich in Südafrika nicht nur die Jahreszeiten völlig aus dem Konzept bringen, sondern auch die Himmelsrichtungen. Osten und Westen haben hier auf der südlichen Weltkugel zwar ihre Merkmale beibehalten, nicht jedoch Norden und Süden. Ich versuche ihnen beispielsweise zu erklären, dass ich am Boden zerstört bin, als ich feststelle, dass unser Haus nach Norden schaut, denn ich stelle mir vor, wie kalt es im Winter wird, wenn der Nordwind durch die undichten Fenster und die dazugehörigen Fensterritzen pfeift.
Und da ich bekannt dafür bin, dass ich gern aushole, füge ich noch Cape Town hinzu, wo mir mein Denkfehler bewusst wird: Kurz nach Weihnachten, also in Südafrikas Hochsommer, weht uns ein eiskalter Wind um die Nase und an der Waterfront peitscht das Wasser gegen die Promenade, sodass ich mich genötigt sehe, mein englisches Vokabular um den Ausdruck summer, my ass zu erweitern. (Letzteres lasse ich aus verständlichen Gründen natürlich weg!) Ein Bekannter klärt uns darüber auf, dass es bei Südwind immer so kalt ist, denn schließlich kommt dieser direkt von der Antarktis geweht. Das leuchtet natürlich ein, vorausgesetzt man dreht die Weltkugel innerlich auf den Kopf. Nur dann begreift man, warum das Meer in Camps Bay oder Kalk Bay nicht nur zu dieser Zeit eisig kalt ist. Durch den Temperaturanstieg schmilzt das antarktische Eis, vereint sich mit dem Meereswasser und wird von den Strömungen bis nach Cape Town getragen, wo die sonnenanbetenden Urlauber zwar in der Sonne brutzeln, sich aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht ins Wasser trauen. Erst als ich meine Zehen ins Wasser tauche und nach Sekundenbruchteilen wieder herausziehe, weil sie sich wie Eisklümpchen anfühlen, leuchtet es mir auch in der Praxis ein.
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Den Mädels fehlt es womöglich an genau diesem praktischen Bezug mit den vereisten Zehen in Cape Town, denn nichts von meinen Ausführungen scheint sie zu beeindrucken. Sie sitzen am Tisch und schauen mich nur verständnislos an. Na wartet ab, bis ihr in Stuttgart landet, denke ich mir frustriert und durch die Ausführungen ziemlich außer Atem. Dann werdet ihr schon sehen, wie sich die verkehrte Welt anfühlt. Und mit einem kleinen Schuss Schadenfreude füge ich noch in Gedanken hinzu: Vor allem, wenn ihr versucht, die erworbenen Deutschkenntnisse bei den Schwaben anzuwenden …
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Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Na so ebbes, i han so glacht!!!! Danke!!
Interessant wie immer!! Na dann können sich die Mädels auf etwas gefasst machen, ich komme auch aus dem Schwabenland