18. Unser Gärtner Zondi - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

Zondi hat die Nachbarschaft unter Kontrolle, das kann man nicht anders sagen. Und das mit nur einem Auge. Zondis rechtes Auge ist nämlich zugenäht. Obwohl ich ihn fast jeden Tag sehe, bringe ich – im Glauben, dass eine Frage danach von Taktlosigkeit zeugen würde –, das Gespräch nie auf das zugenähte Auge und bin geflissentlich darauf bedacht, ihm beim Gespräch nicht auf die Narbe zu schauen. Eines Tages – ich muss wohl schon fast ein Jahr in Johannesburg leben – fragt er mich ohne Umschweife und ganz unverfänglich, ob ich denn nicht erfahren wolle, wie er sein Auge verloren habe. Etwas unvorbereitet auf eine so direkte Konfrontation, versuche ich ihm die Sache mit dem Takt und der Diskretion zu veranschaulichen, was nicht so recht gelingen will, bis mir schließlich aufgrund seines Gesichtsausdruckes nichts weiter übrig bleibt, als über meine Hilflosigkeit zu seufzen und – obwohl ich weiß, wie weitschweifig er erzählen kann – zu erwidern: Wenn er es mir erzählen wolle, dann könne er es gern tun. Genau so direkt wie er seine Frage gestellt hat, beginnt er mit der Wiedergabe des Geschehens. In Fourways lebe einer seiner Cousins – ich wisse doch, wo Fourways liege, oder? – ja, natürlich wisse ich das. Ich nicke und wundere mich insgeheim, dass seine unüberschaubare Verwandtschaft nun die Grenzen von Soweto gesprengt hat, um auch Fourways mit ihrer Anwesenheit zu beglücken. Dort also sei er vor zwei Jahren zwecks Besuches des Cousins gewesen und auf der Straße hätten ihn vier Männer überfallen und ihm das Handy weggenommen. Dabei hätten sie ihm dermaßen zugesetzt und ihn so arg verprügelt, dass er das rechte Auge verloren habe. Er pustet bei seinen Schilderungen einige landesübliche Laute wie „Eish“ und „Shoo“ aus, auch der Ausdruck „shame“ kommt dabei nicht zu kurz.

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Die Geschichte ist für meine Begriffe schon schockierend genug und ich würde eigentlich gern von einer detaillierteren Schilderung absehen, zu der Zondi gerade im Begriff ist auszuholen. Bestürzt von so viel Rohheit, zu der es nur eines mobilen Telefons wegen kommt, drücke ich ihm meine Anteilnahme aus, bekomme aber vor lauter Betroffenheit sonst kein Wort mehr über die Lippen. Zondi rettet mich aus der Verlegenheit und redet hastig weiter, um mir die Möglichkeit einer Operation und eines Glasauges mitzuteilen. Wie ich das denn fände? Erleichtert darüber, welche Wendung die Unterhaltung nimmt, kann ich mich diesem Vorschlag lediglich anschließen und mit Müh und Not ein klägliches amazing herauspressen. Eigentlich würde ich ihm gern die Vorteile eines operativen Eingriffes aufzählen, ihn von der Notwendigkeit einer OP überzeugen und ihm generell gut zureden. In diesem gelähmten Zustand bekomme ich nichts dergleichen über die Lippen – und schon gar nicht auf Englisch –, stelle jedoch alsbald verwundert fest, dass es gar keiner großen Überredungskünste bedarf. Er hat – so scheint es mir – schon einen Termin für die Operation ausgemacht und argumentiert damit, dass seine Frau sich außerordentlich darüber freuen werde, wenn er sie in Zukunft mit zwei Augen anschauen könne. That’ s cool! Ich pflichte ihm bei, obwohl ich genau weiß, dass das Glasauge die Sehfähigkeit nicht gravierend verbessern wird und sich im Endeffekt nichts daran ändern wird, wie er sie, sondern vielmehr wie sie ihn anschaut. Das einzige an englischem Vokabular, was ich noch völlig benommen hinzufügen kann, ist, dass er schließlich ein good looking young man sei. An dieser Stelle lächelt Zondi, bedankt sich für das Gespräch und wendet sich wieder der Pflege des Gartens zu.

Einige Tage später steht er vor mir und lacht mich mit seinen weißen Zähnen an. Donnerwetter! Der Unterschied zwischen dem gesunden und dem gläsernen Auge fällt nur unwesentlich auf. Ich gratuliere ihm und freue mich für ihn. Zondi bedankt sich bei mir für mein gutes Zureden, denn ohne mich hätte er sich nie dazu entschlossen. Cool! Jetzt werde ich aber langsam hellhörig und hake nach, wie er das denn meine. Er besteht darauf, dass er den Schritt nie ohne diese Unterhaltung gewagt hätte und er mir sehr dankbar dafür sei, dass ich darauf bestanden hätte. Die OP habe übrigens so und so viel Rand gekostet, schließt er das Gespräch ab und schaut mich erwartungsvoll an. Was soll ich nun davon halten? Zondi hat sofort die Lösung zur Hand und erklärt, dass ich ja schließlich diejenige gewesen sei, die ihn zu der OP überredet hätte, also müsste er jetzt auch einen Teil der Kosten von mir erstattet bekommen. So so, denke ich und staune über so viel Raffinesse! Gar nicht cool finde ich das!

Drei Wochen später ist Zondi verschwunden. Auf und davon. Da mir weder Gärtner noch Putzfrauen aus der Nachbarschaft persönlich bekannt sind, welche – und da gehe ich jede Wette ein – bestimmt wissen, wo Zondi geblieben ist, knöpfe ich mir seine Frau Soyaphi vor, die ja nun seit einigen Monaten auch im Häuschen next to us wohnt und immer nur schüchtern lächelnd vorbei schleicht, ohne ein Wort zu sagen. Auf die Frage, wo denn ihre bessere Hälfte sei, erwidert sie etwas in fließender Bantusprache, was ich erwartungsgemäß außerstande bin zu verstehen. Do you speak English, Soyaphi?, versuche ich es bei Adam und Eva. Wieder kommt ein vermutlich perfekt strukturierter Satz in ihrer Muttersprache, von dem ich ebenso wenig begreife. Ich gebe auf. Bis jetzt war ich noch nie in die Verlegenheit geraten, mit ihr zu sprechen, da Zondi ja immer da war und kein wirklicher Anlass dazu bestand.

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Am nächsten Tag klopft es an der Haustür, was nur Zondi und Pamela zu tun pflegen, denn sie kennen den Code des großen Eingangstors. Alle anderen müssen erst einmal am Tor schellen. Vor mir stehen Zondis Frau Soyaphi und ein junger Mann, der sich als ihr Bruder vorstellt und der englischen Sprache mächtig ist, sodass mich endlich jemand über die Gründe für Zondis Abwesenheit aufklären kann. Zondi habe plötzlich nach Hause fahren müssen, weil sein Onkel gestorben sei und nur er – also Zondi – die Beerdigung und noch vieles mehr organisieren könne. Dafür brauche er drei Wochen. Allerdings könne er – also der Schwager – in der Zwischenzeit im Garten nach dem Rechten sehen, und somit Zondis Arbeit übernehmen. Auf die Frage, warum mir Zondi nicht Bescheid gesagt habe, kommt keine präzise Antwort, nur eine knappe Zusammenfassung des vorher dürftig Formulierten, dass nämlich dieser Onkel das Zeitliche gesegnet habe. Es entzieht sich meiner Kenntnis, wie eine Bestattung in Malawi durchgeführt wird. Der einzigen Beisetzung außerhalb Europas habe ich in Nepal beiwohnen dürfen, wo es sich um eine Angelegenheit von wenigen Stunden handelt. Auch wenn die Fahrt von Südafrika nach Malawi kein Kinderspiel ist, sehe ich nicht ganz ein, wozu Zondi drei Wochen benötigt. Aber das wird er mir hoffentlich erklären, sobald er wieder strahlend vor mir steht.

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Nach fast vier Wochen steht er tatsächlich wieder strahlend vor mir, charmant lachend gibt er den Blick auf sein cooles weißes Gebiss frei, das ohne weiteres aus einer Zahnpasta-Werbung stammen könnte. Es gehe ihm gut, flötet er, trotz des Todesfalles, sein Onkel sei eine wichtige Person in der Familie gewesen, fast so wie ein Vater. Eine Bitte habe er, nämlich ob er einen Vorschuss in Höhe von umgerechnet 1.000 Euro bekommen könne, denn die Kuh, von deren Milch die ganze Familie lebe, habe das Zeitliche gesegnet und außerdem müsse das Dach der Hütte repariert werden, weil es momentan in den Innenraum hineinregne. Und da er der einzige in der Sippschaft sei, der einen festen Job habe, müsse er für alles sorgen, was die Familie betreffe. Wir zeigen Mitgefühl und Anteilnahme und geben ihm den gewünschten Betrag, den er, nachdem er sich überschwänglich bedankt, angeblich noch am gleichen Tag mit einem der unzähligen Cousins, die in Soweto oder Fourways wohnen, in die Heimat zwecks Rettung der Familie schicken will.

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Nur zwei Tage später fährt Zondi mit einem Motorrad durch das Tor und pfeifend an mir vorbei. Als das Motorrad auch nach einer Woche immer noch vor seiner Haustür geparkt steht, spreche ich Zondi darauf an und er erklärt mir, dass er sich das Motorrad für ein paar Tage von einem Cousin (noch einer!) geliehen habe, weil das so praktisch sei. Um mich seines Wortschatzes zu bedienen: it is cool, aber ich gehe dieses Mal davon aus, dass er damit praktisch meint. Auf meine Frage, ob die Familie in der Heimat nun eine neue Kuh und ein regenfestes Dach habe, nickt er lachend, ohne ins Detail zu gehen.

Die Wochen und Monate gehen ins Land und das Motorrad ist fester Bestandteil von Zondis Haustür geworden, er parkt es direkt neben der Fußmatte, auf der er sich die Schuhe abwischt, bevor er hineinmarschiert. In jeder freien Minute hockt Zondi vor seinem Liebling, putzt und poliert das Ding, als würde er es für den nächsten Schönheitswettbewerb vorbereiten. Nie wieder frage ich Zondi nach der Kuh und nach dem Dach, ebenso wenig wie ich mich danach erkundige, wie der Cousin die ganze Zeit ohne sein Motorrad zurechtkommt.

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Je länger ich in diesem Haus wohne, desto undurchschaubarer wird mir Zondi. Ich wage nicht, Pamela nach ihrer Meinung zu fragen, denn mit einem unglücklich formulierten Kommentar könnte ich mehr Schaden anrichten als Dinge klären, zumal ich außerstande bin abzuschätzen, wie fest die Freundschaft zwischen den beiden wirklich ist. Ohne die Kenntnis der Sprache lässt sich nur schwer beurteilen, ob es sich um dicke Freunde, um gute Bekannte, oder nur um eine kollegiale Beziehung handelt. Mein bisheriger Eindruck ist jedenfalls, dass sich die beiden gut verstehen und Pamela auch mit Zondis Frau Soyaphi befreundet zu sein scheint, denn in ihrer Mittagspause geht sie gern zu ihr hinüber und bleibt manchmal länger als es ihr laut Vertrag erlaubt ist.

Zondi und Pamela unterhalten sich oft und dabei gibt es stets viel zu lachen. Es beginnt morgens immer wie folgt:

–Kunjani, Zondi!

–Ngiyaphila!

–Ngiyaphila kunjani lawe!

Ich habe mir erklären lassen, dass das in etwa zu übersetzen ist mit:

–Wie geht es dir, Zondi?

–Mir geht es prima, und dir?

–Mir geht es auch gut!

Manchmal werde ich auch dazu gerufen, als beispielsweise Pamela auf ihrem Smartphone Fotos von zu Hause, also von Zimbabwe zeigt. Pictures from home. Ihr Bruder, der eine Art Häuptling im Dorf ist und irgendwo im Land einen großen Goldbrocken gefunden hat, errichtete kurz vor Weihnachten ein neues Grab für ihre Eltern, welches sage und schreibe 36.000 Rand gekostet hat. Zu dieser Feierlichkeit ist Pamela mit ihrem Jüngsten nach Zim gefahren. Auf den Fotos tragen die meisten Frauen und Kinder, aber auch einige Männer, ein weißes Gewand mit einem blauen zusätzlichen Schulterüberwurf, ein isembatho, das man üblicherweise sonntags in der Kirche trägt. Während auf den Fotos einige übermütige Frauen mit ihrem geschmacklich streitbaren Äußeren haarscharf am Barbie-Kitsch vorbeizuschrammen drohen, zeugt Pamela in ihrem dezenten, figurbetonten Kleid und den passenden Schuhen von einer solch vornehmen Noblesse, dass ich nur anerkennend zum Lob ausholen kann. Pamela, you look amazing! Gut gelaunt und über das ganze Gesicht strahlend bedankt sie sich bei mir für das Kompliment und zeigt noch mehr Fotos von daheim. Auch Zondi kommentiert die Fotos in ihrer für mich unverständlichen Bantusprache, sodass ich mich leider nicht wie Pamela darüber amüsieren kann. Überhaupt scheint Zondi über einen außerordentlich ausgeprägten Sinn für Humor zu verfügen, in dessen Genuss ich allerdings aus welchen Gründen auch immer nie komme.

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Eines Tages komme ich vom Supermarkt zurück und Zondi und Pamela wischen gemeinsam die Fenster. Pamela drinnen, Zondi draußen. So ist es im Vertrag vorgesehen. Howzit Zondi?, frage ich ihn durch das Autofenster hindurch, während ich den Wagen durch das enge Garagentor hineinmanövriere, wohlbedacht darauf, Autotüren und Kotflügeln nicht mit Schrammen zu versehen. I am fine, thank you! How are you? erwidert er Freude strahlend und ich antworte mechanisch Good, good, obwohl mich dieses verflixte Garagentor nervt. Jedes Mal wenn ich vom Supermarkt komme, bringe ich meiner Perle Pamela gerne etwas mit, denn ich weiß, dass sie eine sehr hohe Miete zahlen muss und nur schwer über die Runden kommt. Wenn die Entscheidungsgewalt bei mir läge, wäre Pamela schon längst mit ihrer Familie in das kleine Gärtnerhäuschen gezogen. Oft erwähnt Pamela, wie gut es doch Zondi hat, der keine Miete zu zahlen braucht, und ich meine, eine gehörige Dosis Trauer, vielleicht auch Neid herauszuhören.

Dieses Mal bringe ich zwei große Torten mit, also auch für Zondi eine. Ich zeige ihnen die Torten und frage sie, wer gern welche haben wolle. Zondi möchte Pamela den Vortritt lassen und schon hole ich aus, ihn für seine Kavalierstat zu loben, da sagt er doch tatsächlich, dass Mama Vorrang habe, weil sie schließlich älter sei. Ziemlich überrascht von der Begründung und auch davon, dass sich Pamela nicht sonderlich daran stört, versuche ich, beiden zu erklären, dass es in Europa bzw. in der westlichen Welt generell Usus ist,  – und zwar unabhängig vom Alter – den Frauen Vorrang zu lassen. Das Alter einer Frau zu erwähnen, sei in Europa absolut kein Kompliment, sondern könne eher als Beleidigung aufgefasst werden. Keiner von beiden versteht meinen Einwand auch nur annähernd, denn in ihrer Kultur geht es hauptsächlich darum, Älteren Respekt zu zollen und nicht Frauen die Türe aufzuhalten. Auch hat es wenig Zweck, zu erklären, was für eine Stimmung man in westlichen Ländern fördern würde, wenn man alle volljährigen Frauen „Mama“ nennen würde.

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Das sind nur einige wenige Beispiele von den netten gemeinsamen Momenten mit Zondi und Pamela im Haus, jedoch beschleicht mich der Verdacht, dass sich etwas geändert haben muss, denn Pamela scheint Zondi mit demonstrativer Nichtachtung zu strafen. Es finden keine Unterhaltungen mehr statt, geschweige denn, dass gelacht wird. Die Gründe, die sich dahinter verbergen, werden mir bewusst, als Pamela eines Morgens ganz verstört ankommt und mich bittet, sofort wieder nach Hause zurückgehen zu dürfen. Auf meine Frage hin, was denn los sei, erklärt sie mir, dass sie ihr Handy zu Hause auf dem Tisch habe liegen lassen und dass sie ihren zwei Untermietern nicht über den Weg traue. Also rennt sie los und kommt eine Stunde später erleichtert wieder. Schon am Eingangstor winkt sie mir mit dem Handy.

Von Anfang an habe ich Pamela meine Bedenken dazu erörtert und halte auch heute noch daran fest, dass sie sich mit diesen jungen Burschen, die sich bei ihr zu Hause einquartiert haben, ein gehöriges Kuckucksei ins Nest gesetzt hat. Schnellstmöglich sollten sie vor die Tür gesetzt werden, denn schließlich sind es weder Freunde noch Verwandte, sondern Unbekannte, die ihr und ihren Kindern zu nahe kommen könnten. Auch habe ich Angst, dass sie Pamela auf ihrem Weg zur Arbeit verfolgen und somit schneller als es Pamela lieb ist, mit ihr durch das Eingangstor hineingelangen und somit auch für uns gefährlich werden könnten. Man hört ständig solche Geschichten und darum sehe ich in den Untermietern nicht nur für sie, sondern auch für uns eine Gefahr, deren Tragweite weder ich selbst noch Pamela ermessen können.

Ungeachtet der Gefahr, der sie sich aussetzt, ist ihr Argument stets mit dem finanziellen Faktor verbunden und um ihrem Einwand Nachdruck zu verleihen, reiht sie mir zum wiederholten Male die Ausgaben für ihre drei Kinder und das Enkelkind auf. Außerdem hätten sie und ihre Familie genug Platz in dem einen Zimmer und könnten somit gut und gerne auf das zweite Zimmer verzichten. Ich schäme mich in dem Moment, so viele Zimmer in diesem Haus und keinen einzigen Untermieter zu haben. I don’t trust them, sagt sie mir immer wieder und wohl auch zurecht, denn bei der hohen Kriminalitätsrate in diesem Land muss man wirklich auf der Hut sein. Schon seit geraumer Zeit ärgert sich ihr Mann, aber auch sie sich über diese jungen Untermieter, die abends rauchend und trinkend im Zimmer sitzen, obwohl ihr Mann es ihnen, noch bevor sie eingezogen waren, strengstens untersagt hatte.

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Pamela setzt nun an, vom gestrigen Abend zu berichten, an dem sich etwas Einschneidendes ereignet zu haben scheint und bekommt selbstverständlich meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Gestern Abend seien sie doch tatsächlich so dreist gewesen, ihre Freunde mitzubringen und sich in ihrem, also Pamelas Wohnzimmer, niederzulassen, dort zu rauchen und Alkohol zu trinken. Mit scharf die Luft zerschneidenden Gesten erzählt sie, wie ihrem Mann letztendlich der Kragen geplatzt sei und er ihnen gekündigt habe, also müssten sie Ende des Monats ihre Siebensachen packen und die Wohnung auf Nimmerwiedersehen verlassen. Und weil es gestern Abend durch den Streit spät geworden sei, habe sie heute früh verschlafen und durch die Hektik, trotzdem rechtzeitig bei mir zu erscheinen, ihr Handy zu Hause gelassen. Erleichtert atme ich auf, doch Pamela gibt keine Ruhe, sondern fährt wutschnaubend fort: We are Christians! We don’t drink alcohol and we don’t smoke cigarettes. And every Sunday morning we are going to church. Da für die fromme Pamela Trinken und Rauchen des Teufels sind, beurteilt sie Menschen danach, ob sie rauchen, trinken und sonntags in die Kirche gehen. So aufgebracht sehe ich sie selten.

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In ihrer Aufregung verrät sie mir dann ohne es zu wollen: Zondi is also drinking alcohol. Oh my Goodness, he drinks a lot. Entsetzt schaue ich sie an. Ebenso entsetzt schaut sie mich an und hält die Hand vor ihren Mund. Diese unbedachte Äußerung ist ihr ganz offensichtlich herausgerutscht, und nun tut es ihr Leid, Zondi verraten zu haben, obwohl sie ihm damit vermutlich kein großes Unrecht tut. Nach einer endlosen Schweigepause und nachdem vor meinem geistigen Auge einige Bilder von Zondi Revue passieren, ergreife ich das Wort. Ich erzähle ihr, dass ich Zondi an einem Sonntag wegen einer Kleinigkeit in den Garten gerufen hätte, und er in einem arg alkoholisierten Zustand den Weg aus seinem Häuschen kaum gefunden habe. In derart gelöster Stimmung, vom Alkohol angewärmt habe er vor mir gestanden und torkelnd und taumelnd Laute von sich gegeben, die ich beim besten Willen nicht imstande gewesen sei, zu interpretieren. Ich sei entsetzt gewesen, zumal ich Zondi einer neuen Nachbarin empfohlen hätte und sie vor ein paar Tagen ausdrücklich nachgefragt habe, ob er trinke und ich vehement dagegen gehalten hätte. Was für eine heikle Angelegenheit! Wie Schuppen fällt es mir nun von den Augen. Wie naiv bin ich eigentlich, dass mir vorher nie etwas aufgefallen ist? Pamela hört mir zu, ohne jegliche überraschte Regung zu zeigen und lässt nur durchblicken, dass das wohl eher der Normalfall bei Zondi sei. Am Ende meiner Ausführungen vermutet sie ganz trocken, dass Zondi am Tage darauf relativ freimütig eingestanden habe, dass er nur eine Kleinigkeit getrunken habe, weil sein Cousin Geburtstag gehabt habe. Pamela, how do you know? Genau so ist es nämlich tatsächlich am nächsten Tag gewesen.

Pamela sieht erst gar nicht die Notwendigkeit ein, mir Erklärungen geben zu müssen und stellt mir stattdessen eine Frage: Ob ich wisse, dass sein Auge vom vielen Trinken abhanden gekommen sei. Nicht bei einer Schlägerei? wage ich ungläubig zu fragen, unfähig dabei meine Irritation zu verbergen. Obwohl es eher zum Weinen ist, lacht Pamela bitter und schüttelt dabei entschieden den Kopf. Offensichtlich will sie nun dazu beitragen, dass ich mir über bestimmte Dinge Klarheit verschaffe und setzt mit sorgenvoller Miene zu einer Aufklärungsstunde an. Ob ich mich nie darüber gewundert hätte, warum seine Frau nun hier wohne und nicht mehr in Malawi. Ich zucke mit den Achseln und hatte das bis jetzt auf eine liebevolle Beziehung und auf das Bedürfnis nach Zweisamkeit zurückgeführt. Pamelas Antwort klingt allerdings nicht nur durch ihr verächtliches Schnauben realistischer: Na weil er ständig Frauen nachstelle, egal ob in nüchternem oder trunkenem Zustand.

source: https://theslaymagazine.com/blog/tell-the-truth-and-lets-be-honest

Aber dieses hormongesteuerte Treiben scheine in der Familie zu liegen und man könne ihm wohl keinen Einhalt gebieten, gibt Pamela etwas abwertend zu bedenken. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen und vermutlich bildet sich nun auf meiner Stirn diese verhasste senkrechte Falte, die mehr oder weniger die Frage wiederspiegelt, die ich mir gerade stelle: OMG, was bekommen meine Ohren heute noch zu hören? Tatsächlich kommt es schlimmer: Ob ich wisse, was einer seiner Cousins für einen Beruf habe. Ich zucke erneut die Achseln. He is a hyena man. Ich komme nicht umhin, zu fragen, warum jemand auf die Idee kommen sollte, Hyänen zu züchten. Pamela lacht und schüttelt den Kopf über so viel Ignoranz und Begriffsstutzigkeit. Als sie dann mit einer ausführlichen job description zu erklären versucht, welche Aufgaben einem hyena man anvertraut werden, traue ich meinen Ohren nicht. Es handle sich um einen Mann, der dafür bezahlt werde, junge Mädchen direkt nach der ersten Menstruation zu entjungfern, sozusagen ein Sexarbeiter der ganz besonderen Art. It’s a tradition in southern Malawi. Mit diesem „Ritual der Reinigung“ solle der Übertritt ins Erwachsenenalter markiert werden. Sofort wird mir allerdings klar, dass sich in Wirklichkeit ein verheerender Aberglaube dahinter verbirgt, denn Pamela erklärt mir, was die Menschen dort glauben. Angeblich würde nicht nur der Familie sondern dem ganzen Dorf alles Unheil dieser Welt drohen, falls sich ein Mädchen weigern sollte, mit dem hyena manzu schlafen. Meine Perle wartet mit noch mehr Informationen auf: There is also the practice of „widow cleansing“, when a widow must have sex after her husband dies. Sonst könne der Verstorbene nicht beerdigt werden. Auch Frauen, die eine Abtreibung hinter sich hätten, müssten dieses Ritual über sich ergehen lassen.

Nach diesen detaillierten Ausführungen ist mir die Lust auf afrikanische Traditionen und Rituale einstweilen vergangen. Da hier zwei Welten aufeinander prallen, möchte ich vorerst mit meinen Gedanken allein sein und bitte darum Pamela, den Teppich auszuklopfen. Sie macht sich sofort an die Arbeit. Apathisch schaue ich ihr zu, wie sie den Teppich zusammenrollt, nach draußen bringt, ihn über die dafür vorgesehen Stange hängt und ohne nennenswerten Elan ausklopft. Ich weiß nicht, was in diesem Moment in mich fährt, aber wie in Trance gehe ich hinaus, nehme ihr den Teppichklopfer aus der Hand und murmele so etwas wie, du musst dir vorstellen, da hängt jemand, auf den du überhaupt nicht gut zu sprechen bist und bevor sich Pamelas Fantasie regt, dresche ich schon auf den Teppich ein, als wäre er an allem schuld. Pamela schaut mir sichtlich perplex zu und versteht offensichtlich die Welt nicht mehr. Immer fester klopfe ich und Gedanken über Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten schwirren in meinem Kopf wild durcheinander, bis ich mich dermaßen hinein steigere, dass der Teppichklopfer in zwei Teile bricht.

source: https://www.chroniclelive.co.uk

 

Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

 

Copyright 2018 Christina Antoniadou / All rights reserved

 

Beitragsbild:https://www.gaiahealthblog.com/2013/09/25/ron-finley-the-gangsta-gardner-he-plants-food-and-gardens-in-vacant-lots-in-south-central-l-a/

 

 

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