von Christina Antoniadou
Die Spanier lassen sich mitnichten in die Gruppe der Sprachgenies einordnen! Aber was übersieht man nicht alles, wenn man in einem so wunderschönen Land ist! Man muss einfach nur als Nicht-Spanier mit Geduld und Fantasie gewappnet sein. Und da meine zwei reizenden Töchter und ich über viel Fantasie verfügen, brechen wir auf, um Barcelona zu erkunden. Die Altstadt ist ein Gedicht, voller kleiner Bars und eine davon hat es uns durch die vielen Gegenstände, die überall herumstehen oder an den Wänden hängen, besonders angetan. Die Bar ist wahrhaftig wie ein kleines Museum, das man besser nicht bei Tageslicht betrachten sollte, denn es ist ein Ding der Unmöglichkeit, diesen Raum samt seiner unzähligen Staubfänger tatsächlich sauber zu bekommen. Insgeheim hoffe ich, dass der Staub um uns herum nicht aus der gleichen Zeit wie die Musik aus den Boxen stammt, nämlich aus den Siebzigern.
Darum versuche ich, auf andere Gedanken und mit dem Besitzer der Bar ins Gespräch zu kommen und ganz nebenbei zu checken, ob wir aufgrund der aufgelegten Musik gleich alt sind, ich aber dank meines häufigeren Aufenthaltes in staubfreierer Umgebung etwas jünger aussehe. Der Dialog verläuft folgendermaßen:
Ich: Do you speak English?
Barbesitzer: Un pochito. (Er zeigt mit Daumen und Zeigefinger, wie wenig Englisch er spricht, indem er zwischen den zwei Fingern einen Zentimeter Freiraum lässt, der tatsächlich nicht viel Platz für englischen Wortschatz bietet.)
Ich: How old are you?
Barbesitzer: Pedro.
Ganz eindeutig ist die aufkommende Kommunikationsbarriere und der abrupte Ausgang der Konversation einzig und allein mein Verschulden, denn nach den Regeln des Savoir-vivre fragt man zuerst nach dem Namen und dann nach dem Alter, um die Leute nicht zu irritieren, die schließlich nach einer bestimmten Methode Fremdsprachen lernen, ganz abgesehen davon, dass es sich um einen groben Fauxpas handelt, überhaupt nach dem Alter zu fragen. Geschieht mir ganz recht, wenn ich mich in Barcelona nicht verständigen kann! Warum stelle ich auch solche Fragen, noch dazu in einer falschen Reihenfolge?
Barcelona ist die bezaubernde Hauptstadt Kataloniens mit viel Sonne, Unterhaltung und Flair, aber auch mit Gebäuden, die eine eigene Form des Jugendstils, Modernisme Català genannt, vorweisen. So gesehen, handelt es sich um eine Stadt mit doppeltem Gaudi, also sowohl voller guter Laune als auch voller Bauwerke des berühmten Architekten, der zu Recht den Anspruch erhebt, als etwas Besonderes gewertet zu werden. Seine Art, Gebäude zu verzieren und zu verschnörkeln, ließe sich als ausgefallen bezeichnen und ist nicht unbedingt jedermanns Sache, aber Stil hat Herr Gaudi, seinen eigenen nämlich, das muss man ihm lassen. Und solange kein Grund dafür vorliegt, diesen doch etwas gewöhnungsbedürftigen Stil zu übernehmen, ist es zweifellos eine nette Abwechslung, extravagante Dekors an fremden Wänden, Decken und Fußböden zu bewundern.
source: barcelonaguidebureau.com
Irgendwann hat es sich ausgegaudit und wir wollen als Nächstes ins Juan Miro-Museum. Kunstbanausen gegenüber sei erwähnt, dass es sich um den modernen Künstler handelt, der farbenprächtige Formen geschickt zusammensetzt und diese mit schwarzen Strichen versieht, damit sie nicht ineinander verlaufen, so dass sie am Ende eine große Ähnlichkeit mit Kinderzeichnungen aufweisen. Und da sich seine Bilder großer Beliebtheit erfreuen, muss man Schlange stehen, wie Ende August überall in Barcelona. Schlange stehen ist fast Teil der Sightseeing-Tour, weil es überall brechend voll ist, was infolge der lähmenden Hitze zur reinsten Tortur ausarten kann. Genau in dieser unkommoden Situation befindet sich der junge Mann vor uns, der vermutlich aufgrund seiner nicht unbeträchtlichen Leibesfülle – er ist immerhin an die zwei Meter groß und Bodybuilder – das Bedürfnis hat, Wasserflaschen im 3-Minuten-Takt auszutrinken. Fasziniert beobachte ich, wie schnell das hochwertige Nass – immerhin sind die Kosten für so viele Wasserflaschen in der Nähe eines Museums nicht unerheblich – sich in Schweiß verwandelt, den Ausweg aus seinem Körper findet und in unregelmäßigen Bächen von seiner Stirne rinnt.
source: moma.org
Als wir es nach geraumer Zeit aufgeben, die von dem Muskelprotz konsumierten Wasserflaschen zu zählen, sind wir schon fast am Ziel und kommen in den Besitz der heiß ersehnten Eintrittskarten. Doch es wartet die nächste Schlange auf uns, diesmal stehen wir für head phones an. Endlich an der Reihe teile ich der Angestellten mit, dass ich gern zwei Kopfhörer in deutscher und einen in englischer Sprache hätte. Bei dem Wort „german“ zeige ich ihr zwei Finger und beim Wort „english“ einen Finger, so wie es Kinder im Vorschulalter zu tun pflegen. Überaus nett und höflich ist sie, als sie mir die drei Kopfhörer überreicht, die ich an die Familienmitglieder verteile. Erwartungsvoll werden sie aufgesetzt, doch schon nach einigen Sekunden schauen wir uns ratlos an. Weder Deutsch noch Englisch, sondern Französisch ist bei allen dreien zu hören. Mir ist es völlig unbegreiflich, wie man als Angestellte eines weltberühmten Museums nicht nur die internationalen Begriffe „english“ und „german“ missverstehen, sondern auch die Zeichensprache und mit ihr zusammen die gespreizten Finger missdeuten kann. Leicht gereizt, weil nicht nur der Tag, sondern auch alle Schlangen lang waren, bringe ich die drei Kopfhörer samt französischsprechenden Stimmen zurück und wage einen zweiten Versuch. Zugegebenermaßen nicht besonders freundlich verlange ich nach den zwei deutschen und dem einen englischen. Mit den richtigen head phones ausgestattet geht es nun durch die letzte Kontrolle, wo uns eine – wohlbemerkt – junge Angestellte auf Katalanisch daran hindert weiterzugehen. Ich verstehe nicht, was gemeint ist und frage auf Englisch. Sie antwortet mir im flüssigsten Katalanisch. Erneut versuche ich, ihr zu erklären, dass ich dieser Sprache nicht mächtig bin.
source: fmirobcn.org
Unweigerlich muss ich daran denken, dass man in Griechenland mittlerweile mit genau dem entgegengesetzten Problem zu kämpfen hat. Je touristischer ein Ort, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass man kaum auf Griechisch angesprochen wird, obwohl man Grieche ist. Eine nicht Englisch sprechende griechische Oma ist in ihrem touristischen Heimatort einfach verloren, da die Organisatoren der kundenfreundlichste Drang aller Zeiten überkommen hat und Kaffee oder Pizza meist nur auf Englisch bzw. auf Russisch oder Serbisch bestellt werden können. Kellner und Verkäufer werden aus den Herkunftsländern der Touristen eingeflogen, Speisekarten in deren Muttersprache übersetzt und gedruckt. Keine Chance, als Grieche in Griechenland etwas auf Griechisch zu bestellen! Selbst in Supermärkten scheint die Muttersprache der Einheimischen weniger zum Einsatz zu kommen. Die Branche will es den Touristen aus den jeweiligen Ländern recht machen und sie nicht in die Verlegenheit bringen, ein paar Brocken Englisch oder gar Griechisch sprechen zu müssen. Die Griechen als potenzielle Kunden werden dabei völlig außer Acht gelassen.
source: blueberrierestaurant.com
Und als wäre es nicht schon schlimm genug, dass sich in der Heimat für die Muttersprache keine Anwendung findet, lassen sich nun auch im Ausland mit Müh und Not erlernte Fremdsprachenkenntnisse nicht praktizieren. In Barcelona stehen wir nämlich nunmehr vor dem anderen Extrem: Der Tourist, also meine Wenigkeit, spricht drei Sprachen, aber eben nicht die der Museums-Angestellten, die noch nicht einmal auf Spanisch, sondern auf Katalanisch mit mir redet und da soll einem nicht der Kragen platzen? Schon öfters erwähnte ich in anderen Episoden, dass ich zwar über Fantasie, allerdings nur geringfügig über Geduld verfüge. Freunde von mir wissen, dass ich unter gewissen Umständen äußerst ungenießbar werden kann und mit genau so einem Umstand haben wir es just zu tun. Ich vergreife mich gehörig im Ton, den ich mit einem giftigen Blick paare, um sie zu fragen, wie sie denn an diesen Job gekommen sei, so ganz ohne Fremdsprachenkenntnisse, da scheint ja jemand Vitamin B ohne Ende gehabt zu haben und so weiter und so fort. Dabei vergesse ich ganz, dass alle Worte an ihr abprallen, denn sie ist ja – wie schon erwähnt – der englischen Sprache nicht mächtig. Meine reizenden Töchter sehen sich genötigt, mit einem „Mama, was soll das?“ einzugreifen und die weniger reizende und peinliche Mutter, die sich in einem völlig desolaten Zustand befindet, in Richtung Kinderzeichnungen zu ziehen, wo ihr nicht das Fell, dafür aber die Kopfhörer über die Ohren gezogen werden, damit sie vorerst Ruhe gibt. Denn schließlich ist Juan Miro ein vortrefflicher Künstler. Und eindeutig beruhigt er die Gemüter mit seinen Werken!
source: sfmoma.org
Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Das kann man sich ja wirklich bildlich vorstellen. Und dabei natürlich laut lachen! Schön geschrieben. Ich genieße es, auf deinem Blog von Land zu Land reisen zu dürfen.
Ich glaube, diese Geschichte wird zu meiner zweitliebsten. Genossen habe ich alle, doch bei dieser musste ich viel lachen und konnte mir die tobende Mutter und die zwei Töchter, die sich in dieser peinlichen Situation befanden, bildhaft vorstellen.
Wirklich köstlich ist auch diese Geschichte, Christina! Da muss man einfach lachen!
Situationskomik gepaart mit einem Schuss Selbstironie – herrlich! Habe mich köstlich amüsiert!
Da kann man wirklich aus der Haut fahren! Zum Glück hast du – zumindest im Nachhinein – deinen Humor nicht verloren. Mein Tipp: Lerne noch eine vierte Fremdsprache!!!!!
Eins steht fest: Richtige Fremdsprachengenies sind die Albaner. Kaum sind sie in GR und schon nach einigen Monaten sprechen sie perfekt Griechisch, in einer Saison lernen sie von den Touristen Russisch, Serbisch oder Rumänisch und das ohne ein Buch aufzuschlagen! Barcelona möchte ich auch gerne besuchen (nach der Geschichte erst recht) und mich mit Händen und Füssen verständigen!!