von Christina Antoniadou
Solange ich in Europa lebte, musste ich immer wieder die Erfahrung machen, dass Polizisten eine besondere Zuneigung für meine Person und das Auto, das ich fuhr, hegten. Mit Entsetzen muss ich nun feststellen, dass sich meine enge Beziehung zu dem Exekutivorgan des Staates nicht nur auf die Europäische Union beschränkt. In Südafrika scheint es sich in Windeseile herumgesprochen zu haben, dass ich angekommen bin und somit warten die Polizisten gespannt darauf, wann ich vorbeifahre, auch wenn ich hier keinen auffälligen kirschroten PT Cruiser wie in Griechenland fahre. Dort habe ich immer gedacht, dass mich die Polizei deswegen so oft anhält, weil mein Hugo – wie ich meinen Wagen liebevoll nenne – wie ein Osterei so rund und so rot aus der Menge hervorsticht. In Joburg angekommen, würde ich nun gerne wieder einen PT Cruiser fahren, aber man rät uns sofort davon ab, einen solchen zu kaufen, da er auf der Liste der Autodiebe wohl ziemlich weit oben zu stehen scheint, angeblich weil er nicht nur mein Lieblingsauto, sondern auch das von schwarzen Damen der Mittelschicht ist. Darum bin ich nun im Besitz eines unscheinbaren Nissan Qashqai. In unauffälliger weißer Farbe. Größer kann der Wechsel vom heißgeliebten Hugo zu diesem unaussprechlichen Automodell kaum sein.
Die südafrikanische Polizei, die während der Apartheidzeit ausschließlich aus Weißen bestand, hat heute fast nur Schwarze im Dienst, was übrigens auch für den gesamten Beamtenapparat gilt. Es wäre nicht das erste Mal, dass in einem Land nach grundlegender Veränderung des politischen Systems radikale Umstrukturierungen vorgenommen werden, was die Gesamtheit der Beamten betrifft. In Deutschland hat dies zwei Mal stattgefunden: nach dem zweiten Weltkrieg und nach dem Fall der Mauer. Hierzulande ist es weniger eine Frage der Ideologie oder der Parteizugehörigkeit, sondern vielmehr eine Frage der Hautfarbe. Nicht dass die Zugehörigkeit zu Mandelas Partei ANC keine Rolle spielen würde, ganz im Gegenteil.
Die Polizei in Südafrika ist leider für ihre korrupte Vorgehensweise bekannt, wovon wir relativ schnell in Kenntnis gesetzt werden. Als ich anfangs noch Häuser zum Mieten besichtige, erzählt die Maklerin ganz nebenbei einer Kollegin, dass sie am Abend zuvor von zwei Polizisten angehalten worden sei, die in ihrer typischen Art Geld verlangt hätten und sie sich genötigt gesehen habe, ihnen 200 Rand auszuhändigen. Der Schock fährt mir in die Glieder und da ich gerade im Begriff bin, das Obergeschoss des Hauses zu inspizieren, stolpere ich vor Schreck die Treppe hinauf, statt – wie es sich gehört – Stufe für Stufe hoch zu schreiten. Während ich mein schmerzendes Knie begutachte und schon die blauen Flecken an demselbigen kommen sehe, wird mir bewusst, dass die Verkehrspolizei in diesem Land wahrscheinlich nicht mein Freund und Helfer sein wird – nicht dass sie es in Europa je gewesen wäre – aber zumindest landete mein durch die unzähligen Strafzettel kassiertes Geld beim Staat. Hier stecken es die schlecht bezahlten Polizeibeamten ein, deren Haupttätigkeit darin besteht, Autofahrer anzuhalten und durch indirekt eingefordertes Schmiergeld, dem sogenannten bribe, ihr Monatsgehalt aufzubessern und dadurch ihre Familie durchzubringen. Es kommen also heitere Zeiten auf uns zu.
Von allen Seiten sind wir schon vorgewarnt, wie wir uns beim Treffen mit der Polizeistreife zu verhalten haben. Faustregel ist, dass nicht jeder Polizeiwagen auch wirklich ein solcher ist, was für europäische Verhältnisse eine etwas bizarre Vorstellung sein mag. Vor allem verstärkt sich durch diesen Umstand das Gefühl der Sicherheit überhaupt nicht, eher wird ein Gefühl des Ausgeliefertseins vermittelt. Eine weitere wichtige Regel ist, nachts nicht anzuhalten, sondern bis zur nächsten Tankstelle weiterzufahren.
Während mein Ehemann und ich diese Regeln im Auto wie früher das Große Einmaleins aufsagen, winkt uns schon der erste Polizist zur Seite. Wir geraten dermaßen in Panik, dass wir erschrocken anhalten und sowohl jegliche Maßnahmen als auch alle einstudierten Verhaltensregeln einfach über Bord unseres Jeeps werfen. Die zwei Polizisten nähern sich uns von der rechten Seite und kommen ans Fenster des Fahrers. Als sie merken, dass wir Ausländer sind, setzt ein nettes Händeschütteln ein. Beide Polizisten geben uns beiden die Hand und fragen, woher wir kämen. Erleichtert teilen wir ihnen mit, dass wir vor einem Monat aus Europa nach Südafrika umgezogen seien, und sie lachen uns ein freundliches welcome entgegen, das von erneutem Händeschütteln und weißem Zahnpastalächeln begleitet wird. Sie hoffen, dass es uns hier gut gefallen werde und wünschen uns noch eine nette Zeit in diesem Land. Alle weiteren Fragen, die Polizisten normalerweise zu stellen pflegen, fallen rätselhafterweise weg. Als sie sich von uns verabschieden, geben sie uns wieder die Hand, insgesamt hat also jeder von uns in nur wenigen Minuten je drei Mal mit jedem Polizisten Händeschütteln geübt. Als sie freudestrahlend in ihrem Streifenwagen verschwinden, schauen wir uns angenehm überrascht an und wundern uns über die unzähligen Schreckensgeschichten, die man uns zur Einübung erzählt hat.
Wenige Abende später fährt uns eine Polizeistreife hinterher, aber dieses Mal wollen wir alles richtig machen, also hegen wir den gebührenden Argwohn und halten darum nicht an. Wir schalten die Alarmlichter an, um den Polizisten – wenn es denn solche und keine Betrüger sind – zu signalisieren, dass wir sie zwar gesehen haben, aber aus Angst, sie könnten keine Polizeibeamten sein, nicht anhalten. Wir fahren weiter und sie uns geduldig hinterher, bis wir vor unserem gate Halt machen. Der Polizist steigt aus und fragt uns aufgebracht, warum wir denn in Gottes Namen in dieser finsteren Gegend anhalten würden. We are living here, antworten wir naiv. Ungläubig schaut er uns an. Is this your home? Nicht ohne Stolz nicken wir eifrig und ernten dafür etwas, was wohl Au weia heißen muss, denn der Polizist schlägt sich recht unsanft die Hand vor die Stirn. Er klärt uns auf, dass das absolut Letzte, was man in diesem Fall tun sollte, vor dem eigenen Heim zu halten, sei. Gesetzt den Fall, sie wären Kriminelle, hätten sie vor dem Gartentor ein leichtes Spiel mit uns. Kleinlaut versuchen wir zu erklären, dass man uns aber doch in einem Seminar angewiesen habe, nicht anzuhalten, sondern weiterzufahren. Die Polizisten schauen sich vielsagend an, grinsen und schütteln beide den Kopf, ja aber doch nicht vor der eigenen Haustür, sondern vor der nächsten Tankstelle, wo es viele Leute und Licht gibt. Hier kann im Ernstfall kein einziger Mensch zu Hilfe kommen und stockduster ist es zu allem Überfluss auch noch. Why isn’t this area lighted enough? Wo ein Polizist Recht hat, hat er Recht, aber was seine Frage betrifft, sind wir völlig überfragt. Und die Tankstelle als Rettungshafen ist uns im Eifer des Gefechts völlig entfallen, denn Europäer suchen eine Tankstelle nur zu ganz bestimmten Zwecken auf und die Flucht vor Polizisten gehört meines Wissens nicht dazu. Wie zwei kleine Lausebengel, die etwas Schlimmes angestellt haben, schauen wir uns betreten an und lassen das Geschimpfe wort- und widerstandslos über uns ergehen. Aber nach unseren Papieren wird wieder nicht verlangt.
Die Wochen gehen ins Land und wir wundern uns, warum wir in Südafrika ständig nur Negatives über die Polizisten hören, wo die Erfahrung uns doch lehrt, dass sie hilfsbereit, zuvorkommend und sogar belehrend sind. Zumindest zu uns Ausländern. Eines Abends fahren wir ans andere Ende der Stadt zu einem Konzert von Georg Dalaras, einem griechenlandweit bekannten Sänger, zu dessen Konzert ich mich in meiner Heimat eigentlich nicht unbedingt hinbemühen würde, aber so weitab vom Geschehen geht man halt auch Kompromisse ein. Auf der Heimfahrt findet die dritte Begegnung, diesmal dritter Art statt. Mittlerweile haben wir Übung und gehen die Sache im Glauben an unseren ausländischen Pass erfahrener und selbstsicherer an. Außerdem besteht kein Grund zur Sorge, denn bisher haben wir wirklich nur die Bekanntschaft von netten Polizisten gemacht.
Der Polizist fragt sehr höflich nach dem Führerschein und als er ihn in der Hand hält, versucht er die Begriffe auf der ersten Seite zu lesen, was ihm nicht gelingen will, denn er scheitert schon am fettgedruckten Oberbegriff Führerschein und hat dabei nicht nur mit dem Umlaut Schwierigkeiten. Es ist ein Führerschein aus Europa, versuchen wir nachzuhelfen, das D steht für Deutschland, ergänzen wir lässig. Er lacht und schlussfolgert, das Phänomen der Globalisierung gänzlich ignorierend, dass meine bessere Hälfte also aus Deutschland komme, um im Besitz eines deutschen Führerscheins zu sein und spinnt den Faden fleißig weiter, indem er fragt, für welche Mannschaft er denn in der Bundesliga sei. Sein Gedankengang ist so falsch nicht, trotzdem bedarf seine Hypothese einiger Korrekturen, was sichtlich für Irritation sorgt, als ich ihm vorlaut – und eigentlich auch ohne gefragt worden zu sein – erkläre, dass wir keine deutsche Lieblingsmannschaft hätten, weil wir keine Deutschen sind. Dass Fußball nicht gerade mein Steckenpferd ist, verschweige ich, weil das die schwarzen Fußballfans von Südafrika als Argument nicht durchgehen lassen. Die Weißen würden vollstes Verständnis dafür zeigen, da sie Rugby-Fanatiker sind, aber das gehört jetzt nicht dazu.
Als Nächstes fragt er meinen Mann logischerweise, woher er denn komme, wenn nicht aus Deutschland, und wir erwarten, dass er bei der Antwort Griechenland völlig den Faden verliert und die Sache unangenehm für uns ausgehen wird. Dem ist jedoch nicht so und die nächste Frage kommt dafür umso überraschender, nämlich ob er Panathinaikos- oder Olympiakos-Fan sei. Der junge Mann flößt uns einen gewissen Respekt ein, denn die Tatsache, dass er am anderen Ende der Welt lebt und trotzdem über griechischen Fußball im Bilde ist, kann ihm nur eine gehörige Portion Bewunderung unsererseits entgegenbringen. Denn am südlichen Ende Afrikas ist es nicht unbedingt gesagt, dass jemand Griechenland kennt, geschweige denn griechische Fußballmannschaften. Die Atmosphäre wird lockerer und übermütig teilt ihm mein Guter mit, dass er eine dritte Fußballmannschaft aus Thessaloniki lieber mag.
Unvermittelt findet der Beamte zum Thema zurück und fragt, warum er denn dann einen deutschen Führerschein habe. Er will es genau wissen. Meine bessere Hälfte nennt ihm einige Details aus seinem Lebenslauf, die den deutschen Führerschein zwar plausibel machen, dem Polizisten allerdings nicht genügen. Er scheint ein gewisses Misstrauen gegenüber Griechen oder Deutschen oder Europäern oder Weißen generell zu hegen und erwidert, dass mein Guter, da er doch jetzt in Südafrika lebe, einen internationalen Führerschein haben müsse, denn das hier – und er wedelt damit in der Nacht – mag ja ein europäischer sein, aber er selber sei nicht in der Lage und auch nicht dazu verpflichtet, ihn lesen und verstehen zu können, und überhaupt, wer sage ihm, dass es sich wirklich um einen Führerschein handle, es könne ja auch alles andere sein, zum Beispiel ein Krankenschein, ein Rentenschein oder so. Wir weisen ihn auf den Begriff driving licence hin, der ganz unten auf der ersten Seite steht, ich zeige ihm sogar mit Hilfe meines Smartphones und meiner Übersetzer App, die mir schon so oft im Lande dienlich war, dass der Begriff driving licence in der deutschen Sprache tatsächlich mit dem langen unaussprechlichen Wort auf diesem rosa Blättchen übersetzt werde, das mit F beginne und diese Pünktchen auf dem zweiten Buchstaben aufweise, aber er ist einfach nicht zu überzeugen. Hartnäckig besteht er darauf, dass er es nicht kontrollieren könne und findet einen neuen Haken, nämlich das Ablaufdatum. Er glaubt uns nicht, dass europäische Führerscheine bis ins hohe Alter nichts an ihrer Gültigkeit verlieren, sozusagen bis dass der Tod uns scheidet.
Wir müssen ihm den Beweis dafür erbringen, dass das rosa mitgenommene Ding immer noch gültig ist, was aufgrund des zerfetzten Zustandes tatsächlich kein einfaches Unterfangen ist. Er wiederholt zum fünften Male, dass der europäische Führerschein zwar für Europa in Ordnung sei, aber außer der englischen Übersetzung driving licence alles andere darauf auf Deutsch zu lesen sei und er diese sechs Seiten keineswegs verstehe und wir diesen Fetzen Papier deshalb schon längst bei der Botschaft hätten übersetzen lassen müssen. Egal was für Argumente wir vorbringen, er weist sehr freundlich, aber bestimmt darauf hin, dass er weder dazu verpflichtet sei noch es in seinem Aufgabenbereich liege, europäische Schreiben zu lesen und zu verstehen und zweifellos gehöre ein europäischer Führerschein auch zu den europäischen Schreiben. Wir sind ihm ausgeliefert. Dieser Dialog will einfach nicht enden und führt auf eine superfreundliche Art und Weise nirgendwohin. Wir haben das Gefühl, dass er auf Schmiergeld aus ist, damit er uns endlich fahren lässt. Doch es genügt, ihm hoch und heilig zu versprechen, dass wir demnächst das rosa Ding übersetzen lassen und endlich dürfen wir weiter, ohne dass wir ihm Geld zugesteckt hätten. Dafür wissen wir jetzt zur Genüge, was nicht genau in seinem Aufgabenbereich liegt. Übersetzt ist der Führerschein übrigens immer noch nicht.
Eine weitere Begegnung mit den südafrikanischen Freunden und Helfern findet wieder nachts statt. Überhaupt frage ich mich, wo die Burschen tagsüber stecken. Wir wollen dieses Mal nicht wie üblich über die Oxford Road nach Hause fahren, denn dort befinden sich die ganzen Polizeikontrollen, also biegen wir in eine Seitenstraße ein, um denselbigen zu entgehen. Keine einhundert Meter weiter wartet der Beweis dafür, dass man spätestens seit Ödipus dem Schicksal nicht entgehen kann, vor allem dann nicht, wenn dieses auch noch über ein Blaulicht verfügt, um seine Präsenz deutlicher zu machen. Geduldig warten die Polizisten am Straßenrand auf ihre Opfer und auf die Aufbesserung ihres Gehaltes. Wir sind nunmehr fast ein Jahr in Joburg und der landeskundlichen Eigenarten und Gewohnheiten kundig und somit jeder polizeilichen Kontrolle gewachsen. Glauben wir zumindest.
Der Polizist, der uns weder die Hand zum Gruß reicht, noch nach unserer Herkunft fragt oder uns willkommen heißt, auch kein Fußballfan zu sein scheint und uns schon gar nicht im Sinne der südafrikanischen Verkehrsregeln umzuerziehen versucht, verlangt trocken nach dem Führerschein, den er kaum eines Blickes würdigt. Ohne Umschweife stellt er direkt die Frage nach Alkoholkonsum. Mein Gatte gibt zu, ein Glas getrunken zu haben. So you are drunk! – Mit einem Glas ist man doch nicht betrunken, empört sich mein Mann. –Yes, you are. – No, I am not. – Yes, you are. – No, I am not. Dieser tiefschürfende Dialog erinnert mich an das Lied Anything you can do, I can do better aus dem Musical Annie Get Your Gun, aber die beiden Männer haben in diesem Moment sicherlich anderes im Sinn.
Der Polizist zückt das Blasröhrchen und hält es dreißig Zentimeter weit weg vom Mund meines Ehemannes und aus dieser Entfernung soll er nun pusten, was ein Ding der Unmöglichkeit sein dürfte, trotzdem besteht der Polizist darauf. Also gehorcht meine bessere Hälfte und bläst in Richtung Röhrchen, muss sich dabei allerdings sehr beherrschen, um nicht vor Lachen loszuprusten. Sogleich schaut sich der Polizist das Röhrchen aus der Nähe an und stellt fachmännisch fest, dass sich zu viel Promille im Blut befindet. Schon setzt meine bessere Hälfte zur Beschwerde an und will ihm in einer Mister-Know-it-all-Manier die Lächerlichkeit dieser Situation bewusst machen, doch der Polizist lässt nicht mit sich spaßen und droht ihm, dass er aufgrund seines alkoholisierten Zustandes die Nacht hinter Gittern verbringen wird, und zwar in Alexandra. Beim Begriff Alexandra stockt uns das Blut in den Adern und allen Unkundigen und der Geografie weniger Bewanderten sei gesagt, dass es sich um den gefährlichsten Stadtteil Johannesburgs handelt, ein township, wo es vor crime nur so wimmelt und in dessen Gefängnissen der harmloseste aller Inhaftierten wahrscheinlich nur den Mord an seiner Freundin auf dem Gewissen hat. Und genau dahin will er uns nun verfrachten!
Unweigerlich müssen wir an einen Bekannten denken, der uns vor kurzem den Rat gab, bei Verkehrskontrollen einen ordnungsgemäßen Strafzettel zu verlangen, auf dem das Vergehen dokumentiert wird. Ein weiterer Tipp bestand darin, demjenigen Polizisten, der einen abführen will, Bereitwilligkeit zum Mitkommen zu signalisieren, so als hätte man nichts weiter dagegen, eine Nacht im Knast zu verbringen. Der Bekannte bestand darauf, dass keiner von den korrupten Brüdern einen Strafzettel aushändigen, geschweige denn, sich die Mühe machen würde, jemanden für eine Nacht ins Gefängnis einzuweisen. Aber weder ich noch mein Mann sind in diesem Moment imstande, den Mut, die Ruhe oder die Kaltblütigkeit zur Befolgung dieser Ratschläge aufzubringen. Lieber flüstere ich meinem Guten zu, dass er ihm einen Hunderter zustecken soll, denn sonst sehe ich uns schon so ganz ohne Schlafanzug und Zahnbürste ausgestattet mit mindestens einem Dutzend wenig netten Kriminellen die Zelle teilen. Meinem Gatten wird der Ernst der Lage ebenfalls klar und er zückt darum einen Schein aus dem Portemonnaie.
Beim Anblick des Hundert-Rand-Scheins, was umgerechnet ungefähr 7,- Euro sind, wird der Herr Polizist nicht gerade freundlicher, sondern fährt uns an, gefälligst das Licht auszuschalten. Gleichzeitig schaut er sichtlich gestresst in die Richtung seines Kollegen, der ein paar Meter weiter ein anderes Auto und dessen Fahrer inspiziert und diesen gegebenenfalls auf die gleiche Art und Weise terrorisiert bzw. filzt. Er zieht eine kleine Taschenlampe aus dem Nichts hervor und richtet ihr punktuelles Licht auf den Geldbeutel, bezichtigt uns dennoch des Bestechungsversuches So you think I am corrupt for 100 Rand? Erschrocken stellen wir fest, dass wir für diesen Fall nicht gewappnet sind und uns auch keiner darauf vorbereitet hat. Im Jeep wird es immer enger und immer wärmer, während der punktuelle Schein auf dem Portemonnaie halt macht. Der Beamte weiß genau, wie wir uns fühlen und spannt uns noch ein paar Sekunden auf die Folter, indem er uns streng anschaut. Ok, give me 200!
Danach dürfen wir aufatmen und schwitzend weiterfahren. Im Jeep ist es still, aber wir denken wohl beide das Gleiche. Der Begriff „korrupt“ ist also auch eine Sache der Definition und hängt vorwiegend von der Höhe des Betrags ab! Heute ist übrigens der 21.3.: Human Rights Day! Wie passend! Im Jahre 1960, just an diesem Tag, ereignete sich im Township Sharpeville ein Massaker, bei dem 69 Demonstranten erschossen wurden. Es gilt als ein Wendepunkt in der Geschichte Südafrikas. Und ausgerechnet an diesem Nationalfeiertag der Menschenrechte zahlen wir dem Polizisten Schmiergeld, um nicht die Nacht im Gefängnis verbringen zu müssen!
Als wir unseren Freunden in Südafrika diese letzte Geschichte erzählen, kann sich einer von ihnen ein breites Grinsen nicht verkneifen, das er mit der Behauptung untermalt: Man kann eben bei der Auswahl der Nationalfeiertage nicht vorsichtig genug sein. Da diese Formulierung auf allgemeines Unverständnis stößt, muss er vor versammelter Runde erklären, dass er zwar auch öfters das Vergnügen einer Polizeikontrolle gehabt habe, aber fast jedes Mal ungeschoren habe davon kommen dürfen, was er einzig und allein seinem Geburtsdatum zu verdanken habe. Er sei nämlich auf den Tag genau am Youth Day geboren, am Tag des Soweto uprising, des Schüleraufstandes. Die Polizisten seien immer sehr beeindruckt, wenn sie in seinem Führerschein das Geburtsdatum 16.6.1976 bemerken würden und da sei es auch nicht weiter von Belang, dass sich der Geburtsort ganz weit weg, nämlich in Europa befinde. Dabei mimt er einen Polizisten, der den Führerschein in der Hand hält, überrascht das Datum entdeckt, die Augen aufreißt, ihn respektvoll anlächelt und mit tiefer Stimme feststellen muss: „Oooooh! You are born on Youth Day!“ Danach lassen sie mich weiterfahren, als wäre ich Hector Pieterson persönlich. Schallendes Gelächter bricht aus, nur ich habe erneut die Pointe verpasst. Auf meinen fragenden Blick hin erklärt er, dass es sich dabei um einen Schüler handle, der an dem besagten Tag bei einer friedlichen Kundgebung von weißen Polizisten des Apartheid-Regimes erschossen worden sei. Es sollten noch fast 700 folgen.
Glücklicherweise gehören diese dunklen Zeiten schon seit über einem Vierteljahrhundert der Vergangenheit an. Und um das Thema von der Politik abzulenken, ergänzt er: Er habe als gebürtiger Grieche an einem südafrikanischen Nationalfeiertag Geburtstag, während seine südafrikanische Frau an einem griechischen Nationalfeiertag, nämlich am 28.10. geboren worden sei. Wenn das kein Zeichen dafür ist, dass wir zusammen passen! Es ist tatsächlich immer wieder erstaunlich, was es für Zufälle auf der Welt gibt.
Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Sehr spannende und lehrreiche Geschichte. Hier zu Lande sind die Dinge grundverschieden. In 4 Jahren Abu Dhabi wurden wir nicht einmal von der Polizei angehalten.
Es gibt keine Zufälle…nichts existiert ohne Ursache. So ein schöner Text, liebe Christina!
Richtig toll geschrieben und anschaulich erzählt. Es ist in der Tat an der Zeit, dass die Südafrikaner mit der hausgemachten Korruption im Land aufräumen – es wäre so einfach und wir (Touristen) hätten ein weit besseres Gefühl. Bei Alkohol gilt übrigens die Regel: trinke wenigstens soviel, dass Du es nicht mehr weißt. Wenn ein Polizist fragt, sollte dafür bereits ein Schluck reichen.
Es bleibt immer spannend.
Was für Erfahrungen!!!
Man lernt nie aus.
Freu mich auf die nächste Episode
Man hält regelrecht den Atem an. Wie immer spannend und humorvoll erzählt.
Wr warten auf die nächste Geschichte!
Die eine Geschichte besser als die andere. Man hat bei dieser den Stress in den Situationen richtig miterlebt. Du hast wirklich eine tolle Begabung, dem Leser die ganze Stimmung nahezubringen. Bravo!!! Mach weiter so.
Lebendige, humorvolle Erzählweise, die informativ und zugleich unterhaltsam ist.
Spannend, humorvoll und gut geschrieben! Bravo!
Ein sehr schöner Text!! Nationalfeiertage sind auch dazu da, um bestimmte Ereignisse
nicht zu vergessen: Wir haben am 28.10. (griechischer Nationalfeiertag) geheiratet!
Ich bin und bleibe dein Fan, schon allein wegen der Leichtigkeit, mit der du schwierige Situationen zu meistern verstehst.