12. Links eröm - Rächs eröm * - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

Eine große Umstellung für jeden Kontinentaleuropäer bringt das Leben in London und Johannesburg mit sich, wenn es um den Verkehr geht, weil plötzlich lang eingeübte Bewegungsautomatismen nicht mehr gelten. In London hat man das Problem weniger als Autofahrer, weil man aufgrund der U-Bahn selten in diesen Genuss zu kommen braucht. Die Schwierigkeit ergibt sich vielmehr für den Fußgänger, der täglich der Gefahr ausgesetzt ist, angefahren zu werden. Beim Überqueren der Straße beachtet der Festland-Europäer zwar die gut gemeinte Aufschrift look right und die wohlweislichen Pfeile auf dem Asphalt, nichts desto trotz geht der meist in der Kindheit antrainierte kurze Blick in die linke Fahrtrichtung, die in London die falsche ist. Die Gefahr droht nämlich von der anderen Seite. Permanent setzt der Nicht-Brite instinktiv beim in-die-falsche-Richtung-Schauen auch einen Fuß auf die Fahrbahn, den er blitzschnell wieder einzieht, sobald er die Spiegelverkehrtheit der Straße realisiert.

Während es für einen Kontinentaleuropäer ausgeschlossen ist, in Johannesburg als Fußgänger an- oder überfahren zu werden, ist die Wahrscheinlichkeit, als Fahrer frontal mit einem anderen Wagen zusammenzustoßen, umso größer. In dieser Stadt geht man nämlich als Angehöriger der weißen Bevölkerung nicht zu Fuß. Und zwar nicht aus Gründen der Überheblichkeit, sondern aus Angst, überfallen und bestohlen zu werden.

Das Problem mit dem Linksverkehr ergibt sich nicht erst durch das ungewohnte Fahren auf der falschen Fahrbahn, sondern schon beim Einsteigen. Wie oft muss ich – während sich meine linke Hälfte noch außerhalb des Autos befindet – mein rechtes Bein samt rechter Pobacke wieder aus dem Auto schwingen, die Autotür schließen und auf die andere Seite des Autos gehen, weil ich gewohnheitsmäßig von der europäischen Seite ins Auto einsteigen will, Steuer samt Pedalen sich jedoch auf der britischen, bzw. südafrikanischen befinden. Und auch das Öffnen der Autotür von innen ist für einen Kontinentaleuropäer nicht ohne, weil man den Körper automatisch nach links dreht, versehentlich nach der Gangschaltung greift, die eigentlich im Weg ist, und damit die Tür öffnen will, die sich auf der anderen Seite befindet. Beim Fahren eröffnen sich dann ganz neue Dimensionen für die unvorbereitete Kontinentaleuropäerin.

Da man als Weißer – wie schon erwähnt – keine Massenverkehrsmittel benutzt, bietet sich die einzige Fortbewegungsmöglichkeit in Form des Autos an, wodurch – ehe man es sich versieht – ein ernsthaftes Abhängigkeitsverhältnis entsteht und zwar für den Festland-Europäer in zweierlei Hinsicht. Einmal kommt es zur Abhängigkeit vom eigenen Auto, auf das man nicht mehr verzichten kann, und zum anderen vom Auto, das auf der Fahrbahn vor einem herfährt und dem man – wohlgemerkt als Festland-Europäer – einfach nur hinterherzudackeln braucht, um sicher zu sein, dass man sich auf der richtigen Spur befindet. Solange man auf der Fahrspur artig dem Vordermann hinterherfährt, kann nicht viel passieren, es sei denn, man stellt sich extrem ungeschickt an.

Kritisch wird es am robot, wie man hierzulande zu sagen pflegt. Selbst Amerikanern oder Briten fällt es schwer, hinter dem Begriff robot die Verkehrsampel zu erahnen. Eine Amerikanerin erzählte mir, dass sie am Anfang ihres Joburger Aufenthaltes auf einer Halloween-Party eingeladen war, wo jede Gruppe unter einem bestimmten Verkleidungs-Motto stand. So kam es, dass sie und ihre Freunde sich als robot verkleiden sollten. Also gab sie sich beim Zusammenkleistern von Pappe und Kartons besonders große Mühe und erschien stolz wie Oskar als metallener Roboter in grau-blauer Farbe. Statt der erwarteten Begeisterungsrufe und Komplimente erntete sie nur irritierte Blicke und Zurechtweisungen seitens ihrer Gruppe. Erst peu à peu konnte sie nachvollziehen, warum sie nur die Farben rot, gelb und grün hätte benutzen dürfen, während alle anderen Farben völlig fehl am Platz waren!

Jeder robot in Johannesburg stellt gleichzeitig den Arbeitsplatz für mehrere Menschen dar. Bettler, fliegende Händler, die allerlei unnötige Staubfänger feilbieten, Kinder und Jugendliche mit Putzlappen und Glasreiniger, die ihr Ziel darin sehen, jede Windschutzscheibe mit Streifen und Schlieren zu versehen und junge zerlumpte Gestalten ohne Schuhwerk, dafür aber mit großer Plastiktüte. Letztere tragen sehr dazu bei, dass Fahrer, die am Messie-Syndrom leiden und über eine weniger konsequente Vorstellung von Sauberkeit und Ordnung verfügen, ihr Gefährt nicht völlig zumüllen. Auf diese Art und Weise entsorgen die Fahrer ihren Müll, den die Ärmsten der Armen dankend entgegennehmen und in ihre Plastiktüte stecken. Alles was davon wiederverwertbar ist, bringen sie zu der Recyclinganlage, wo es gewogen und entsprechend vergütet wird. Solange die Ampel auf Grün steht, fühlt man sich von ihnen nicht weiter bedroht. Man hält sich ohnehin an die Anweisungen, die man in Seminaren – eigens für expats – eingebläut bekommen hat und alle nur im Dienste der Vorbeugung stehen und vor Kriminellen warnen sollen.

Unter diesen Umständen konzentriert man sich als Expat mit besonderer Intensität auf die im Seminar vorgegebenen Regeln, vor allem wenn man am roten robot steht, wo sich Bettler, Händler, Fensterputzer und Recycling-Jungs vor einem aufbauen und mit herzzerreißender Mimik und Gestik auf Armut und Hunger hinweisen. Ihr Argument ist auf Pappkartons geschrieben: Please help me not to become a criminal! Übrigens sind ganz selten auch Weiße unter diesen Armen der Ärmsten, die Hilfe brauchen, um nicht zum Verbrecher zu werden. Das Verweilen an der unerwünschten roten Ampel ist stets mit der Hoffnung verbunden, nicht überfallen, bestohlen und um sein Handy erleichtert zu werden. Übrigens lege ich mir genau aus diesem Grund kein neues Handy zu, ich weiß nämlich, dass es früher oder später nicht mehr mir gehören wird. In solchen Gedanken versunken kann es dann schon einmal vorkommen, dass man vor lauter Erleichterung und Freude, dieser Ampel heil und weiterhin im Besitz seines Hab und Guts entkommen zu sein, schnell losfährt, abbiegt, aber aufgrund fehlenden Vordermannes, mangelnder Konzentration und jahrelang eingeübter europäischer Fahrpraxis auf die Straßenseite für den Gegenverkehr, also auf die falsche Seite gerät.

Es ist eben Ansichtssache, welche Straßenseite die richtige und welche die verkehrte ist. In insgesamt 59 Ländern, zu denen auch Großbritannien und seine ehemaligen Kolonien gehören, ist die linke Seite die richtige. Basta! Und es ward mir beschert, in den letzten Jahren ausgerechnet in Ländern mit Linksverkehr zu leben. Was sich das Schicksal doch für Spielchen ausdenkt! Wieder einmal muss ich verwundert feststellen, dass Dinge, die ich schon jahrzehntelang auf eine gewisse Art und Weise handhabe, und die von der überwiegenden Mehrheit um mich herum für richtig befunden werden, hier mit einem Male ungültig und nichtig sind.

Es befremdet mich immer wieder, wenn ich um mich herum beobachte, wie Fahrer – auch Frauen – nicht nur bei offenen Fenstern unterwegs sind, sondern Bettlern Geld zustecken, sie grüßen, nach ihrem Befinden fragen und sich mit einem Faustgruß von ihnen verabschieden, als wären sie Kumpel. An jeder Kreuzung sind tatsächlich immer die gleichen Leute anzutreffen, die sich die Ampeln untereinander aufgeteilt zu haben scheinen, um ihrem Job nachzugehen, wodurch ein gewisses Vertrauen seitens der Autofahrer entstehen und sich sogar eine Art Stammkundschaft bilden mag. Im Laufe der Zeit wird mir bewusst, dass ich Bettler nie als aufdringlich oder gar als bedrohlich empfinde. Sie gefährden eher sich selber als die Fahrer, weil sie immer zwischen zwei Fahrspuren stehen und somit riskieren, angefahren zu werden. Ähnliches gilt für die dunklen Gestalten, die nachts betteln und bei schwacher Beleuchtung kaum zu sehen sind.

In solchen Momenten frage ich mich, was genau mit diesen Seminaren bezweckt werden soll, außer mir Angst vor Johannesburg einzuflößen und mir ganz by the way einige schlaflose Nächte zu bereiten. In jedem Cabriolet, das neben mir an der Ampel steht, auf Grün wartet und dessen Fahrer lässig den – wohlbemerkt – rechten Arm im Takt der lauten Musik aus dem offenen Fenster baumeln lässt, glaube ich mittlerweile ein rebellisches Zeichen zu erkennen. Der Drang nach Freiheit scheint die Joburger hinter hohen Mauern und electric fences erfasst und am Wachtposten vorbei auf die Straße gespült zu haben, wo sie in einem Fahrzeug mit fehlendem Dach versuchen, dieses Bedürfnis nach westlichem Vorbild auszuleben.

Und warum verbarrikadiere ich mich dann in meinem vehicle, statt bei offenem Fenster das herrliche Wetter Joburgs zu genießen? Warum breche ich bei jeder roten Ampel in Schweiß aus und sehe in jedem Bettler einen potenziellen Dieb, statt ihn mit ein paar Rand glücklich zu machen, mir dafür ein God bless you zu verdienen und mein Gewissen zu entlasten? Warum heißt es, dass Vorsicht geboten ist, sobald man den Ring der Stadt Johannesburg verlässt? If you are out of the ring you are on your own! schallt es anfangs bei jeder Reise ins Inland von Südafrika in meinen Ohren, wo ich doch nie das Gefühl habe, in ernsthafter Gefahr zu sein und außerdem die nettesten Kontakte mit der schwarzen Bevölkerung gerade da geschlossen werden, nämlich außerhalb des Rings. Warum hat man von Anfang an mit solcher Vehemenz auf die Gefahren im Land und auf den Schrecken der Kriminalität hingewiesen, sodass ich nur den Ausdruck be aware im Sinn habe und dabei die Schönheit des Landes, die märchenhaften, fliederfarbenen Jacaranda-Bäume und die netten Menschen übersehe? Irgendetwas stimmt hier doch nicht!

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Und während ich in Gedanken über tiefschürfende Dinge wie richtig und falsch bzw. Sinn und Unsinn von Regeln philosophiere, sehe ich plötzlich fassungslos mehrere Wagen, die allesamt auf keinen anderen als mich zukommen und in dem Moment schlüpfe ich in die Rolle des Autofahrers, der im Radio hört, dass auf der Autobahn ein Geisterfahrer umherirrt und man sich doch bitte vorsehen soll, woraufhin sich der Betroffene wundert und leicht irritiert fragt, Wieso einer? Hunderte!!!!! Ich darf mich mit dieser Hauptfigur aus dem Witz identifizieren, was zum Glück glimpflich abläuft, von dem nach oben gestreckten Mittelfinger der Fahrer und dem dazugehörigen Geschimpfe, das ich zwar nicht hören, mir aber lebhaft vorstellen und an den Lippen ablesen kann, abgesehen.

Was Verkehrsampeln angeht, besteht ein ganz großer Vorteil darin, dass sie sich – wie übrigens auch in den Staaten – auf der gegenüberliegenden Straßenseite befinden. Somit ist kein Anlass zum Halsverrenken gegeben, sobald man ein paar Zentimeter zu weit gefahren ist, wie es in Europa nicht selten der Fall ist. Wie oft half auch die gewagteste Zirkusnummer nicht, um feststellen zu können, ob die Ampel endlich auf Grün gewechselt hat, sodass man auf das Hupen der anderen Verkehrsteilnehmer hinter sich angewiesen war.

Ampeln können sich allerdings auch als äußerst annoying erweisen, vor allem dann, wenn sie nicht funktionieren, was in Joburg öfters vorkommt. Die hiesigen Fahrer sind daran gewöhnt und meistern den Stromausfall mit dem weltweit bekannten Reißverschlussverfahren, das disziplinierter und vorbildlicher als in Südafrika nicht vollzogen werden könnte. An den fourways – so heißen hier die Kreuzungen – warten die Fahrer aus allen vier Richtungen geduldig darauf, one by one an die Reihe zu kommen und wer sich nicht an dieses System hält, wird laut ausgehupt, wo doch Hupen in diesem Land sonst kaum zu hören sind. Mir ist bis jetzt eigentlich noch keiner aufgefallen, der sich nicht respektvoll daran gehalten und sich statt dessen vorwitzig vorgedrängelt hätte! Ein einziges Mal hat es jemand gewagt. Darum weiß ich auch, dass der seltene Sünder mit einem Hupkonzert bestraft wird. But I promise you: Ich hatte es wirklich sehr eilig an diesem Tag! Außerdem wollte ich aus schon erwähnten Gründen meinen Vordermann nicht aus den Augen verlieren.

Was für Kreuzungen ohne funktionierende Ampeln gilt, ist ebenfalls für den Kreisverkehr in Südafrika gültig, der sich als nicht minder gefährliche Falle entpuppen kann. Während das Reißverschlussverfahren auch am roundabout mit bewundernswerter Diszipliniertheit eingehalten wird und vorzüglich funktioniert, kann man als unbedarfter Festland-Europäer ein ganz schönes Durcheinander anrichten. Und zwar von jetzt auf gleich. Letzteres ist mir zwar noch nicht gelungen, aber ich mache dafür mehr den Zufall als meine Fahrkompetenz verantwortlich. Nicht auszudenken, was ich noch anstellen könnte, wenn wir uns nicht für ein Auto mit ASG entschieden hätten und ich auch noch mit links die Gangschaltung betätigen müsste. Sicher ist, dass ich statt den ersten Gang einzulegen, die Autotür öffnen würde.

Je länger ich in dieser Stadt lebe, desto weniger werde ich das Gefühl los, dass meine Schwierigkeiten, die so eine Umstellung aus verkehrstechnischer Sicht mit sich bringen, bei den Einheimischen nicht gerade auf großes Verständnis stoßen. Ein gemütlicher Abend bei Freunden belehrt mich, dass sich das Verständnis eher in Grenzen hält. Bei einem Glas Wein erzählt einer der Anwesenden vor versammelter Runde, wie ein gewissenloser Fahrer ihm neulich fast frontal hineingefahren wäre. Er sei doch tatsächlich auf der falschen Straßenseite gefahren. Man ist sich mehr als einig, dass es sich um ein unverständliches, ja in keinster Weise zu entschuldigendes Verhalten handle, das streng bestraft gehöre. Ich schaue nur unschuldig in die kopfschüttelnde Runde und traue mich nicht, darauf hinzuweisen, dass einem Festland-Europäer so etwas zwar nicht passieren sollte, jedoch durchaus passieren kann!

Die kommenden Ferien in Europa stellen dann die nächste Herausforderung dar. Alles Falsche, was ich mir monatelang mühsam abzugewöhnen versuche, ist dann plötzlich wieder richtig. Und kaum habe ich mich auf das Alte und ursprünglich Gewohnte umgestellt, muss ich wieder dahin zurück, wo das Richtige falsch und das Falsche richtig ist!

* Links eröm – Rächs eröm: Links herum – rechts herum. Eins der erfolgreichsten Alben der Kölner Mundart-Musikgruppe De Bläck Fööss.

 

 

Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

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