1. Erster Kontakt mit locals - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

Wir sind erst knapp drei Wochen in Johannesburg und wohnen noch im Hotel, die Vorbereitungen für den Umzug in unser zukünftiges trautes Heim laufen jedoch auf Hochtouren. Meine bessere Hälfte lässt mir eines Morgens den Firmenwagen da, damit ich alles schneller und bequemer erledigen kann. Und bei der Gelegenheit soll ich dann auch gleich volltanken, lässt er mich ganz nebenbei wissen, bevor die Tür ins Schloss fällt. Kaum etwas deutet an diesem sonnigen Tag daraufhin, dass ich mich alsbald in einer nicht gerade kommoden Situation wiederfinden werde.

Johannesburg ist nicht die übersichtlichste aller Städte. Einer der Gründe dafür liegt darin, dass sich die Menschen hier vor über 130 Jahren nicht aufgrund eines Sees, eines Flusses oder einer windgeschützten Bucht niedergelassen hatten, wie es auf der ganzen Welt sonst üblich ist, sondern weil es damals vor Gold nur so starrte. Diese mangelnde Hilfestellung seitens der Natur erschwert die Orientierung heutzutage erheblich, weswegen ich mich in der Megastadt auch nach drei Wochen immer noch nicht auskenne. Das ist mir bis jetzt in keiner anderen Großstadt passiert. Und ausgerechnet hier will ich die nächsten drei Jahre leben. In allen anderen Großstädten bin ich sonst – mit dem Stadtplan in der Hand – mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß unterwegs und habe spätestens am dritten Tag die Stadtmitte so gründlich erkundet, dass ich auf keine Karte mehr angewiesen bin. In Joburg, wie Johannesburg von seinen Bewohnern liebevoll genannt wird, kann ich dieses Konzept allerdings über Bord werfen. Zu Fuß gehen geht gar nicht und vor Bus- und Bahnnutzung wird gleich bei der Ankunft in diesem Land aufgrund der hohen Kriminalitätsrate dringlichst abgeraten. Wie soll man unter diesen Umständen seine zukünftige Wahlheimat kennenlernen?

Außer einer einzigen Route, nämlich der zwischen Hotel und zukünftiger Bleibe, ist mir alles andere in Joburg alles andere als bekannt. Und da es sich um meine erste, sozusagen meine jungfräuliche Autofahrt in dieser Stadt handelt – im ungewohnten Linksverkehr, noch dazu mit einem linksgelenkten Wagen –, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich auf mein iPhone und die entsprechende app maps zu verlassen. In Ermangelung eines Navis samt dazugehöriger netter Stimme, die einen idiotensicher zu jedem Ziel führt, muss ich nun mein ganzes Koordinationsvermögen aktivieren. In die Praxis umgesetzt bedeutet dies, dass mein rechtes Auge auf die Fahrbahn gerichtet ist und mein linkes versucht, den beweglichen blauen Punkt auf dem Display im Visier zu behalten, denn schließlich schlängelt er sich nicht umsonst so lasziv am schwarzen Strich entlang und signalisiert mir somit auf eine pulsierende Art und Weise, wo ich mich im Moment befinde. Über kurz oder lang würde ich auf diese Art und Weise sicher noch heute an mein Ziel gelangen, wenn mir die wiederholt aufleuchtende Zapfsäule direkt hinter dem Steuerrad nicht zu verstehen gäbe, dass ich mich endlich zur nächsten Tankstelle zu begeben habe. Schon baut sich eine vor mir auf, ich biege ab und lasse volltanken, ohne auch nur einen Finger krumm oder mir die Hände schmutzig zu machen; ein Genuss, der mir in Deutschland nie beschert war.

Wie ich das Selbertanken in Deutschland verabscheue! Dabei muss ich unwillkürlich an die weiße Hose und die beigen Wildlederstiefel denken, die ich ausgerechnet immer dann trage, wenn mir die verhasste Zapfsäule auf dem Armaturenbrett entgegenblinkt und mich daran erinnert, dass ohne Benzin bald gar nichts mehr läuft und ich mich umsonst in Schale geworfen habe. Unwirsch und mit unverhohlenem Abscheu halte ich kurze Zeit später die schwere, schmierige Zapfpistole mit spitzen Fingern und versuche mit der freien Hand, den staubigen Tankdeckel zu öffnen, was sich meistens als schwieriges Unterfangen erweist. Ziemlich unbeholfen stehe ich vor dem Rätsel, ob ich im oder gegen den Uhrzeigersinn schrauben soll. Wenn auch dieses Problem gelöst ist, gilt mein einziger Gedanke der noch weißen Hose und den noch unbefleckten Stiefeln und ich konzentriere mich vollends darauf, nicht mit dem dreckigen Schlauch in Berührung zu kommen.

Nach diesen traumatischen Erfahrungen in good old Germany lobe ich mir diesbezüglich doch jetzt Südafrika. Kaum hält man an der Tankstelle, werden first world problems dieser Art fachmännisch gelöst. Es besteht überhaupt kein Anlass dafür auszusteigen, denn ein junger, hilfsbereiter Mann eilt herbei und will einfach nur wissen, wie viel Benzin in den Tank soll. So auch an diesem Tag. Während ich also dem Tankwart großzügig ein fill it up please zurufe und hoffe, damit „volltanken“ richtig übersetzt zu haben, sitze ich im Jeep hoch zu Ross und gehe noch einmal die Sicherheitsregeln durch. Ich darf mich auf keinen Fall vom Auto entfernen, solange mein Schlüssel an dem dreckigen Deckel baumelt. Außerdem ist meine Tasche da, wo sie im Joburger Auto hingehört, nämlich im Kofferraum, also muss ich aussteigen, um den Geldbeutel zu holen. Nach langem Suchen stelle ich mit einigem Unbehagen fest, dass der Geldbeutel entweder aus dem Kofferraum gefallen oder gestohlen ist oder ich ihn einfach nur im Hotel habe liegen lassen. Aber der Tank ist schon zur Hälfte voll und das macht bei einem Jeep umgerechnet sage und schreibe 90,- Euro aus. Der junge Mann versteht sofort die aufgeregte Ausländerin, die einige Male hintereinander stop ruft. Ich erkläre ihm, dass ich weder Bargeld noch eine Kreditkarte hätte, da mein Geldbeutel im Hotel liege. Den Begriff „wahrscheinlich“ lasse ich dabei sicherheitshalber weg. Er zuckt nur mit den Achseln und verweist mich an seinen Supervisor, dieser ist zwar ebenfalls sehr nett und zuvorkommend, zeigt auch großes Verständnis für meine Aufregung, kann mir aber nicht weiterhelfen und holt darum den big boss. Ein Weißer. Der einzige Weiße an der Tankstelle.

Als sich der big boss nähert und ich sein Gesicht in allen Einzelheiten betrachten kann, begreife ich, dass Gott einen doch recht eigenartigen Humor hat und – wohl zum Zeitvertreib und aus lauter Langeweile – sich mit einigen Menschen ziemlich unfaire Späßchen erlaubt. Dem big boss dagegen scheint jeglicher Sinn für Humor abhanden gekommen zu sein, was augenblicklich daran zu erkennen ist, dass er die an seiner Tankstelle gestrandete Europäerin mit einem wütenden Blick durchbohrt. Kein Zweifel, ich habe mir seine ewige Ungnade zugezogen und da hilft es wenig, dass ich ihm einen heiteren Gruß zurufe. Bei Geld hört der Spaß bekanntlich auf und diese Unbekannte mit der eigenartigen Aussprache schuldet ihm jetzt nicht nur eine beträchtliche Geldsumme, sondern gibt auch noch zu, diese nicht bezahlen zu können. Ich schlage ihm vor, dass ich schnell zum Hotel fahren könnte, um das Geld zu holen und in zwanzig Minuten wieder da zu sein, aber ich habe eher den Eindruck, dass dieser nette Versuch wie Öl an ihm abgeleitet. Und tatsächlich fährt mich der Mann mit dem unmöglichen Gesicht mit überraschender Unverblümtheit an. Was ich mir denn dabei denken würde und ob ich wisse, wie viele sich diesen Scherz schon bei ihm erlaubt hätten und auf Nimmerwiedersehen verschwunden seien. Er schickt noch einige Sätze hinterher, deren Verständnis mir äußerst große Schwierigkeiten bereitet. Später erfahre ich, dass es sich um die Sprache Afrikaans handelt. Mindestens drei schwarze Augenpaare, nämlich die der jungen Tankwarte, sind erwartungsvoll auf mich gerichtet und warten gespannt auf meine Antwort. Ich frage mich, ob das zu den hiesigen Gepflogenheiten gehört, eine Dame von Welt eines solchen Betrugs für fähig zu halten, behalte meine Gedanken allerdings wohlweislich für mich und schweige lieber.

Ich solle mein iPhone als Pfand dalassen. Aufgrund seines groben Tones etwas irritiert wage ich ihm nur entgegenzuhalten, dass ich ohne mein iPhone, viel mehr aber ohne die app maps das Hotel nie finden würde, geschweige denn den Weg zurück zur Tankstelle. Er lässt sich in keinster Weise von meinem Drama beeindrucken und gibt nur ein trockenes Phhh von sich, begleitet von dem Vorschlag, dass ich mir dann eben etwas anderes einfallen lassen müsse, wie z.B. einen Bekannten anrufen. In diesem Moment stelle ich mir vor, wie sich die Situation wohl entwickeln würde, wenn ich einen Baseballschläger griffbereit hätte, um dem Burschen denselbigen auf seinem burischen Schädel zu platzieren. Da mir aber im gleichen Moment klar wird, dass sich im Kofferraum alles Mögliche außer besagtem Schläger befindet, verwerfe ich dieses Szenario schleunigst wieder, genauso wie den Wunsch, den Abdruck meiner Handfläche auf seiner linken Wange zu hinterlassen. Stattdessen erwidere ich, dass ich zwar über eine Menge Bekannte und Freunde verfüge, törichterweise aber eben nicht auf diesem Kontinent. Unter seinem erbarmungslosen Blick wiederhole ich zaghaft, dass ich gerade vor wenigen Wochen nach Johannesburg gezogen sei und sich mir noch keine Gelegenheit zur Knüpfung sozialer Kontakte geboten habe. Dass ich nicht unbedingt vorhabe, damit ausgerechnet an dieser Tankstelle anzufangen, behalte ich wohlweislich für mich, genauso wie die Existenz eines Gatten. Ihn anzurufen, würde sich als äußerst müßig erweisen, da er ständig in irgendwelchen meetings steckt und mich erst nach Feierabend abholen könnte. So lange gedenke ich nicht hier zu bleiben. Die Unterhaltung findet an dieser Stelle ihr jähes Ende und ich bin mir unsicher, wie ich diese Situation bewältigen soll. Der big boss führt ein sehr lautes Selbstgespräch auf Afrikaans, dem ich nicht folgen, dessen Inhalt ich mir jedoch sehr gut zusammenreimen kann. Da fällt mein Blick auf den netten jungen Mann, der es innerhalb weniger Sekunden geschafft hat, für 90,- Euro Benzin in den Tank zu füllen. Und was ist, wenn ich diesen lieben Kerl einfach mit ins Hotel nehme, sozusagen als Garantie dafür, dass ich wiederkomme, lege ich dem big boss nahe. Einverstanden!

Ehe ich mich versehe, sitzt der Tankwart glückselig im Firmenjeep und in wenigen Sekunden riecht das Auto penetrant nach Benzin. Hingerissen von den Ledersitzen und dem Armaturenbrett beteuert er mir, it has always been my dream to drive a car like this. Dabei kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er mir verschwörerische, ausgesprochen schelmische Blicke zuwirft, bei denen mir nicht ganz wohl zumute ist und es dämmert mir, dass ich einen wildfremden Mann in mein Auto eingeladen habe. Noch dazu in Johannesburg, einer gefährlichen Stadt per se. Hat man uns nicht in einem Seminar vor der hohen Kriminalität in dieser Stadt gewarnt? Soll man nicht ständig awaresein, in dieser Stadt ohne Orientierungshilfe? Soll man den europäischen Leichtsinn nicht in Europa zurücklassen und schleunigst umdenken? Ich bereue es, heute das Bett überhaupt verlassen zu haben! Nichts dergleichen wäre passiert, wenn ich mir im Hotel einen schönen Tag gemacht hätte. Aber für derartige Gedanken ist es nun endgültig zu spät, also geht es schnurstracks zum Hotel, und zwar mit Beifahrer, der von Verlegenheit keine Spur zeigt und auch meiner Verlegenheit keinerlei Beachtung schenkt, stattdessen munter drauflos plaudert.

Vermutlich verspürt er große Lust, Kontakt aufzunehmen und stellt die üblichen Fragen, wie where are you from, since when do you live in Joburgund ich erzähle ihm, woher, wann und wie und dass wir in wenigen Wochen wieder nach Europa flögen, um dort mit unseren Verwandten Weihnachten zu verbringen. Er wirkt aufrichtig erstaunt und kann es nicht glauben, dass die Europäer auch Weihnachten feiern: Christmas in Europe? Bis jetzt dachte er wohl, dass die Geburt Christi eine afrikanische Erfindung sei. Ich versuche, meinem Beruf als Lehrerin alle Ehre zu machen und schildere in anschaulichen Einzelheiten, wie, wann und wo die christliche Religion zuerst ihre Anhänger fand und sich erst dann und sehr viel später auf den Weg nach Südafrika machte. Ungläubig starrt er mich an und donnert mir ein entsetztes Rrrrrreally? entgegen, dass das „r“ am Anfang des Wortes nur so rollt.

And how do you celebrate Christmas in Europe? will er wissen, wieder mit vielen rollenden „r´s“. Seine Wissbegier imponiert mir und ich erzähle ihm von den Weihnachtsmärkten, den dekorierten Schaufenstern, dem Nussknacker, dem Glühwein, der nur dann richtig schmeckt, wenn es richtig kalt ist, von den niedrigen Temperaturen und von dem Schnee, auf den alle hoffen und der, wenn er dann kommt, gar nicht mehr wieder weg will. Als er von den eisigen Temperaturen erfährt, reißt er die Augen weit auf, die dann noch runder als vorher wirken. Snow and cold at Christmas? Noooooo! Dieses Mal lässt er mehrere „o“ hintereinander ertönen. Warum soll es das nicht geben? frage ich zurück. Offenbar findet er die Vorstellung, dass der Weihnachtsmann von Schnee umgeben ist, äußerst amüsant, bricht in ein nicht enden wollendes Gelächter aus, steigert sich in dieses weiße, kristallkalte, schneebedeckte Bild hinein und schlägt sich wiederholt auf den rechten Schenkel, aber mit einer Wucht, die mich wie eine Tsunamiwelle erreicht, sodass mir mein eigener Oberschenkel fast weh tut.

Nie zuvor wäre ich je auf die Idee gekommen, dass jemandem die Tatsache, dass es in irgendwelchen Winkeln der Welt zu Weihnachten eisig kalt sein soll, unfassbar erscheint. Ich frage mich, ob er schon einmal etwas von Lappland gehört haben mag, kann mir die Frage aber eigentlich selbst beantworten. Und da man nie auslernt im Leben, erfahre ich, dass gelungene Weihnachten in Südafrika mit der Vorstellung verbunden werden, dass man bei mindestens 25 Grad nur dürftig bekleidet am Strand sitzt. Neulich – erzählt mir mein neuer Freund – habe es doch nachts so heftig gestürmt, dass die shacks, also die Wellblechhütten in den Elendsvierteln, den sogenannten squatter camps oder shanty towns – offiziell heißen sie informal settlements –, nur so durch die Luft gewirbelt worden seien und sich alle am nächsten Tag gefragt hätten, was das wohl für ein Weihnachtsfest geben werde! 18 Grad! So kalt sei es ja noch nie zu Weihnachten gewesen! Christmas with 18-20 degrees is no real Christmas, konstatiert er mit ernsthaftem Gesichtsausdruck! Na wenigstens in dem Punkt sind wir uns ja einig! Und zumindest wünscht er mir nicht wie Wochen später die Physiotherapeutin kurz vor meiner Weihnachtsreise nach Griechenland: Enjoy Greece! During Christmas time you drink a lot of sangria and dance flamenco, don’t you? Um voreiligen Urteilen zuvorzukommen, möchte ich an dieser Stelle bemerken, dass die Dame von englischer Art ist und somit sowohl über eine durchsichtig weiße Haut als auch über einen Hochschulabschluss verfügt. Geografie ist eben nicht jedermanns Sache!

Irgendwie bringt mich mein Beifahrer etwas durcheinander, zumal mir die beschriebenen herumwirbelnden Hütten größere Sorgen bereiten als die Temperaturen zu Weihnachten. Vielleicht ist es aber auch nur eine Frage der Gewohnheit, schließlich bin ich noch nicht einmal drei Wochen in Südafrika. Er erzählt von den Hütten mit den fliegenden Dächern, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt und ich versuche mir das Leben unter solch menschenunwürdigen Verhältnissen vorzustellen, was mir nur bedingt gelingt. Ob ich ihn wohl nach seinem Wohnort fragen sollte? Womöglich haust er auch in so einer Wellblechhütte. Wäre die Frage politically correct? Oder ihm einfach nur peinlich? Oder wäre mir die Antwort vielleicht peinlicher? Gesetzt den Fall, er lebt in einem township oder sogar in einem squatter camp, wäre das die Erklärung dafür, dass er über die Temperaturen auf der nördlichen Erdballkugel nicht unterrichtet ist? In den europäischen Nachrichten wird doch auch jedes Jahr gezeigt, wie Weihnachtsmänner in Australien auf dem Surfbrett ankommen und den dürftig bekleideten Sonnenanbetern die Geschenke überreichen. Sollte man hierzulande nicht umgekehrt genauso wissen, dass das im Norden nicht möglich ist, es sei denn man will sich auf Teufel komm raus den Tod holen? Andererseits fragen mich meine Freunde in Europa beim Skypen ja auch als Erstes, warum ich im November ein kurzärmliges T-Shirt trage. Man sollte dabei anmerken, dass besagte Freunde nicht wenig in der Welt herumgekommen sind.

All diese Gedanken kann mein temporärer Beifahrer nicht ahnen. Ich überlege mir, was ich ihm zuerst vermitteln soll, den Unterschied zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre oder die Geschichte von Betlehem und die dazugehörigen geografischen Kenntnisse? Und dabei fällt es mir wie Schuppen von den Augen, dass Jesus ja eigentlich auch nicht in Schnee und Eis hineingeboren wurde, sondern bestimmt in moderate Temperaturen, ähnlich denen in Südafrika. Und auch wenn er im berühmtesten Stall der Welt im Futtertrog lag und Maria und Josef ihn in jenem Winter mit Heu aufzuwärmen versuchten und auch Ochs und Esel eine bestimmt ausschlaggebende Rolle dabei spielten, indem sie ihm warme Luft zupusteten, kann es im damaligen Galiläa nicht so kalt wie im Norden Finnlands gewesen sein. Klimawandel hin oder her. Die Wetterverhältnisse im Ursprungsland des Weihnachtsfestes sind denen in Südafrika sicher ähnlicher als denen in Lappland. Beim Versuch, eine gewisse geografische und klimatologische Ordnung in die Weihnachtsgeschichte zu bringen, muss ich an die dazugehörigen Geschenke denken. Dabei fällt mein Blick auf das Äußere des jungen Tankwarts. Vermutlich wäre es völlig unangebracht, auf die Masse an Geschenken, die zu diesem Anlass in Europa den Besitzer wechseln, einzugehen oder – noch schlimmer – danach zu fragen, was diesbezüglich in seiner Familie üblich ist. Das schallende Gelächter meines Beifahrers, das immer noch den Temperaturunterschieden gilt, bringt mich wieder auf den Boden der Realität zurück. Wir sind da.

Nachdem mir das Weihnachtsfest auf der ganzen Fahrt gehöriges Kopfzerbrechen bereitet hat, betrete ich nun unter dem erbarmungslosen Blick der Rezeptionistin etwas stürmisch und mit dem Tankwartjungen im Schlepptau die Empfangshalle. Sofort wird mir die Zweideutigkeit und Peinlichkeit der Lage bewusst. Darum raune ich dem Tankwartjungen ein unmissverständliches pleasestay here zu, bevor ich in Sieben-Meilen-Schritten ins Zimmer stürme und das Portmonee genau da vorfinde, wo es den ganzen Vormittag nicht sein sollte, nämlich auf dem Tisch. Schnell schnappe ich mir auf dem Rückweg meinen vermeintlichen Gigolo, der unterdessen mit einem Ohrensessel verwachsen ist und von demselbigen aus die Dekoration der Empfangshalle gebührend bestaunt.

An der Tankstelle angekommen liefere ich Tankwartjungen und Geldbetrag ab und werde nun nicht mehr wegen Zechprellerei steckbrieflich gesucht. Erleichtert fahre ich neuen Abenteuern entgegen, sehe im Spiegel, wie mein neuer Freund mir wehmütig nachschaut und weiß in dem Moment noch nicht, dass einige weißhäutige Südafrikaner später beim Erzählen dieser Geschichte ganz entsetzt die Augen aufreißen und mich in fürsorglicher Absicht schelten werden, weil ich dieses große Risiko eingegangen bin, einen jungen Schwarzafrikaner mit ins Auto zu nehmen! Ein Wunder, dass ich noch am Leben bin!

 Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

Copyright 2017 Christina Antoniadou / All rights reserved

error: Content is protected !!

By continuing to use the site, you agree to the use of cookies. more information

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close