6. Haarige Geschichten - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

In Johannesburg könnte ich den Kassiererinnen im Supermarkt stundenlang zuschauen, wie sie auf geschmeidige und sanfte Art und Weise alltägliche Vorgänge abwickeln. An der Kasse sitzen ausnahmslos junge Afrikanerinnen, deren Augenbrauen oft ratzekahl rasiert sind. An ihrer Stelle wird morgens vor dem Spiegel nach Gutdünken ein schwarzer Strich gezogen – vermutlich mit einem Kajalstift – und ich frage mich jedes Mal, warum frau sich die Augenbrauen wegrasiert, wenn doch ohnehin wieder etwas Ähnliches hingemalt wird.

Der Blick bleibt nicht lange an den Brauen haften, sondern wandert zur wahren Augenweide, nämlich zum afrikanischen Haar. Die Frauen hierzulande lassen sich allerlei einfallen, um sich nicht mit ihren stark gekrausten, nach allen Seiten abstehenden dichten Locken, also im Afro-Look der späten 60er Jahre zu zeigen. Diesen üppigen Busch auf dem Kopf habe ich bis jetzt nur bei Models auf einer Modenschau gesehen, als die bildhübschen, geschmeidigen Gazellen mit den langen Beinen anmutig über den Laufsteg liefen und die wallende Mähne bei jedem Schritt federte. Eigenartigerweise legt sich keine normale Sterbliche diese Frisur zu. Und immer wenn ich nach dem Grund frage, erwidert frau, dass es aufgrund der enormen Hitze unter dieser Stacheldrahthaube nicht auszuhalten sei. Außerdem seien die Sechziger und die damit verbundene Hippiebewegung ein für alle Mal passé.

Wer sich also seiner lästigen Buschpracht auf dem Kopf entledigen möchte, dem stehen mehrere Möglichkeiten offen. Als da wäre die einfachste von allen, nämlich es den Männern gleichzutun und sich den Schädel kahl zu rasieren, so dass eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Deoroller nicht von der Hand zu weisen ist. Vor allem ältere Jahrgänge zeigen entschieden geringeres Engagement für ihr Äußeres, sodass der weniger aufwendige Griff zur Rasierklinge und die daraus resultierende pflegeleichte Glatze den Alltag um einiges vereinfacht. Die Stahlwolle lassen sie sich höchstens 2 cm wachsen und dann wird wieder kurzerhand rasiert und gut ist. Vermutlich haben sie nach drei, vier Kindern genug von lustig und wollen nur noch ihre Ruhe haben. Man kann es ihnen nicht verübeln.

Auch von jüngeren Frauen wird die Methode des Rasierens praktiziert. Meist sind sie es, die sich mit ihrer Frisur mehr Mühe geben, sodass die Glatze als Grundlage für eine nette Perücke dienen kann. Die meisten Frauen sind sogar im Besitz mehrerer Perücken, sodass sie die Möglichkeit haben, ihren Stil zu verändern und damit ihr Umfeld stets aufs Neue zu beeindrucken. Diese künstliche Haarpracht ist in verschiedenen Güteklassen erhältlich und deren Qualität variiert je nach Geldbeutel. Die Palette reicht von Perücken, die aus sündhaft teurem Echthaar angefertigt sind bis zu preisgünstigeren, in jedem Supermarkt erhältlichen Kunststoffimitationen. Bei der billigen Variante fällt das Kunsthaar nicht etwa geschmeidig, sondern steht etwas widerwillig und steif vom Kopf ab. Nicht nur am verräterischen Glanz, sondern auch am Scheitel kann man in diesem Fall leicht erkennen, dass es sich um eine borstige Supermarkt-Perücke handelt, denn ein Durchblick auf die Kopfhaut ist nicht möglich.

Trägerinnen dieses Haarersatzes sorgen oft für herzzerreißend komische Szenen, wenn sie sich beispielsweise rechts am Kopf kratzen, was Auswirkungen auf den linken Teil der Perücke hat, der in genau entgegengesetzte Richtung wie durch eine Geisterhand mittanzt. Herrlich! Eine Bekannte erklärt mir, wie es zu solch einer Blamage kommen kann. Sie klebe sich die Perücke nicht auf den Kopf – was eigentlich üblich sei – sondern setze sie einfach nur auf, because glue is itching like hell.

Nun leuchtet mir endlich ein, warum ich schon mehrmals Zeuge von drolligen Begebenheiten wurde, wie beispielsweise, dass sich der fremde Skalp, the whole wig, um 45 Grad nach links verschiebt und der Pony plötzlich das Ohr kitzelt. Die Peinlichkeit besteht darüber hinaus darin, dass der Trägerin dieselbige in Ermangelung eines Spiegleins zwar selten, der restlichen Welt dafür umso mehr auffällt. So wie dieser Bekannten die Kopfhaut juckt, genauso juckt es mir als zu Scherzen aufgelegte Beobachterin in den Fingern, den Perückentest zu machen und einem vorbeieilenden Fräulein einfach das Ding vom Kopf zu zupfen. Bei dieser Gelegenheit ließe sich nur unschwer herausfinden, ob die Perücke mit Klebstoff befestigt ist und für den Fall, dass die wutschnaubende junge Frau zum Angriff übergehen sollte, könnte man ihr als Ablenkungsmanöver und Wink mit dem Zaunpfahl einfach eine Klebetube überreichen. Witz komm raus …

Wenn ich die ganzen Deoroller so an mir vorbeiflanieren sehe, frage ich mich, wie so ein rasierter Kopf wohl auf Männer wirkt, wenn es dann mal zur Sache Schätzchen geht, vor allem wenn die Perücke beim Höhenflug den Besitzer wechseln sollte. Vermutlich alles andere als erregend, aber vielleicht liege ich in dieser Hinsicht auch völlig falsch. Im Eifer des Bettgefechts ist frau wahrscheinlich außerstande, sich auf das Haar, ganz zu schweigen auf eine sich frei um die eigene Achse drehende Perücke und den korrekten Sitz derselbigen zu konzentrieren. Das gleiche Leid tragen wohl auch betagtere Männer der westlichen Welt mit ihren Toupets, wenn diese in den ungünstigsten aller Momente verrutschen und den Blick auf die Halbglatze freigeben. So ein falscher Wilhelm kann sich in Europa als genau so embarrassing herausstellen wie eine Kunsthaarperücke in Afrika.

Unabhängig davon, wie frau es mit dem Kleber hält, gibt es für Insider eine raffinierte Lösung, seine Billigperücke echt wirken zu lassen, was sich gerade dann anbietet, wenn frau sich glatte Haare zulegen will. Die Tochter unserer Nachbarin klärt mich diesbezüglich auf, als sie auf einen Sprung vorbeikommt, um mir mitzuteilen, dass unser gemeinsames gate wieder einmal seinen Geist aufgegeben hat. I am so sick and tired, beginnt sie und ich kann ihr nur beipflichten, denn das schwere Tor manuell zu öffnen ist für zarte Hände wie die ihrigen nun wirklich mehr als eine Zumutung. Ich verspreche ihr hoch und heilig, am nächsten Tag den Handwerker kommen zu lassen und mache ihr noch beim Hinausbegleiten ein Kompliment, was ihre Haarpracht angeht. Sie schaut mich ungläubig an, bringt ein ausdrucksschwaches thank you hervor und dann die gequälte Frage über die Lippen: Don’t you know that this is not my real hair? Meine Irritation nur schwer verbergend verneine ich und füge noch entschuldigend hinzu, but it looks real!

Kurzerhand klärt sie mich auf, indem sie mir ihren Scheitel zeigt und betont, dass ihre Kopfhaut zu sehen sei. You see? Ich nicke kleinlaut, verstehe aber trotzdem nicht ganz, worauf sie hinaus will. Der Trick besteht nun darin, dass frau sich beim Rasieren die Haarsträhnen um den Scheitel herum ausspart und glatt föhnt. Nun platziert frau die einzelnen, vorher im Handel erworbenen Haarteile darunter so, dass der Scheitel Einblick auf die eigene Kopfhaut erlaubt und somit den Eindruck vermittelt, dass es sich um das eigene Naturhaar handelt. Die wenigen Strähnen, die der Rasur entkommen sind, werden fein säuberlich über die fremden Haarteile glatt gestrichen, sodass zu Scherzen aufgelegte Beobachter des Tricks nur bei sehr genauem Hinsehen gewahr werden und darum die Gelegenheit zu einem geschmacklosen Streich verpassen.

Ich bin beeindruckt von soviel Ideenreichtum und auch davon, dass sie meine Perücke-vom-Kopf-zerren-Idee durchschaut zu haben scheint. Jedenfalls bin ich persönlich außerstande zu begreifen, was diese Frauen gegen ihre Naturhaarpracht auszusetzen haben, von der Hitze einmal ganz abgesehen. Der Afro-Look zeugt meines Erachtens von einer starken Persönlichkeit und sieht zudem blendend aus. Schließlich lassen die Mannequins den Haaren nicht umsonst ihren natürlichen Wuchs. Irgendwie erinnert mich das Ganze an die schon fast zwanghafte Mentalität der Südländerinnen, sich trotz dunklen Teints blondieren zu lassen.

Eine andere junge Frau, Verkäuferin in einem Geschäft, in dem ich öfters die Auslagen bewundere, hat eine komplizierte Flechtfrisur und ich lasse es mir nicht nehmen, auch ihr diesbezüglich ein Kompliment zu machen. Mit aufgerissenen Augen versichere ich ihr, wie sehr ich diese Art von Frisur bewundere, ja sie sogar für das reinste Kunstwerk halte. Sie fasst sich an die geflochtenen Haare: You mean the braids? Mir ist der Begriff nicht geläufig, aber wenn sie behauptet, die Dinger heißen so, dann wird das schon seine Richtigkeit haben. Sie versucht mir an ihr eigenes Haar fassend zu erklären, dass diese braids-Frisur aus vielen dünnen Zöpfen bestehe und mit zusätzlich eingeflochtenem Kunsthaar, sie nennt diese Strähnen extensions, beliebig verlängert werden könne. Do you like the colour? fragt sie mich strahlend und schwingt ihren langen, aus Dutzenden von Zöpfen bestehenden Pferdeschwanz hin und her. Das Brünett ist sicher gefärbt und vermutlich ist es genau das, worauf sie so stolz ist. Mostly young women wear this kind of braids, right?, vermute ich tatsächlich richtig, denn sie nickt mir lachend zu.

You see mamma there? fragt sie mich und deutet auf eine ihrer Kolleginnen, die mindestens doppelt so alt ist wie dieser Backfisch vor mir. That’s her own hair. Ältere Jahrgänge, setzt sie ihre Schilderung fort, ließen meist keine zusätzlichen extensions, sondern die eigenen Haare als sogenannte cornrows flechten. Was für ein gelungener Name, denke ich mir und stelle fest, dass bei dickem Haar die Zöpfe wirklich wie Maiskolben aussehen, die eng an der Kopfhaut anliegen und einzelne Reihen bilden. Beim Muster seien der Fantasie keine Grenzen gesetzt und je feiner geflochten werde, desto mehr Reihen, gibt mir die junge Frau noch als Information mit auf den Weg.

Mit solchen Kenntnissen ausgerüstet, werde ich die Frisuren der Afrikanerinnen nunmehr mit ganz anderen Augen sehen, fast fachmännisch. Ich bedanke mich bei ihr für das aufschlussreiche Seminar und dieses Mal ist sie es, die mir ein Kompliment macht. Oh my God, you look wonderful! I love your hair! Und dabei befühlt sie eine meiner Locken und ist ganz hingerissen von meinem weichen Haar. Wie gut, dass ich meinem widerspenstigen, zerfransten Wuschelhaar tags zuvor eine Schönheitspackung, eine sündhaft teure Masque Therapiste, gegönnt habe und heute damit eine Liebeserklärung – wohlgemerkt von einer Frau – bekomme. Eine Südafrikanerin, die von meinem Haar mehr hält als ich es tue. Verstehe einer die Frauen! Sie sind immer von dem fasziniert, was sie selber nicht haben.

 

 

Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

Copyright 2017 Christina Antoniadou / All rights reserved 

 

 

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