von Christina Antoniadou
Das Kälteempfinden ist Ansichtssache. Gefühlte Temperatur ist nicht gleich gefühlte Temperatur. Beim Begriff Afrika denkt natürliche jeder an sengende Sonne, mörderische Hitze, aufgewirbelten Staub und an schweißtriefende Menschen. Auf die Idee, dass es auch kalt werden kann, kommt keiner, ebenso wenig, dass die Monate Juni, Juli und August auf der Südhalbkugel den Wintermonaten Dezember, Januar und Februar auf der nördlichen Erdhälfte entsprechen. Im Winter sinken die Temperaturen nachts leicht auf den Gefrierpunkt, zumindest in Johannesburg, weil es sich die Stadt auf 1.750 m Höhe bequem gemacht hat. Aber auch im Sommer ist es abends selten über 18-20 Grad warm, weshalb man immer eine Jacke dabei haben sollte, wenn man ausgeht.
Alles in Südafrika ist groß. Elefanten natürlich. Rhinozerosse und Flusspferde ebenfalls. Aber auch Autos, Straßen, Einkaufszentren – hier nennt man sie Malls –, Grundstücke und Häuser. Vor allem Häuser sind nach dem Motto my home is my castle groß angelegt, viele Schlafzimmer, viele Badezimmer, viele zusätzliche Kammern z.B. fürs Hauspersonal. Das alles will in den Wintermonaten geheizt werden, was ein Ding der Unmöglichkeit ist, denn die Wände sind schlecht oder gar nicht isoliert, Fenster und Türen zwar neu, aber von miserabler Qualität und sanierungsbedürftig. Kurzum, die Gebäude zeichnen sich in vielen Fällen durch eine extrem gute Luftzirkulation aus. Kontinentaleuropäisch betrachtet könnte man sie unter Umständen auch zugig nennen, denn der Wind, der durch Schiebefenster und unter Türen hindurch streicht, ist als Zugluft unangenehm spürbar, sodass es im Haus oft kälter als im Garten ist.
Bei einem Kälteeinbruch kann man weiße von schwarzen Südafrikanern meist an ihrer Kleidung unterscheiden, ohne die Hautfarbe gesehen zu haben. Während die dunkelhäutige Bevölkerung in dicke Mäntel, Stiefel und Winterpullover eingepackt ist, so als hätte es den Anschein, sie wären direkt aus Alaska eingeflogen, haben die Weißhäutigen nichts von dem Temperatursturz mitbekommen. Sie laufen auch weiterhin in Bermudas und kurzärmligen T-Shirts oder Karohemden, im besten Fall mit Flip-Flops, oft genug aber barfuß herum. Die hartgesottenen und abgehärteten weißen Südafrikaner kommen der Kälte eben auf eine ihnen eigene Art und Weise bei und scheinen ein anderes Kälteempfinden zu haben als die schwarzen Südafrikaner.
Erst wenn es zu Hause richtig kalt wird, ziehen sich die Südafrikaner – die weißen wohlgemerkt, denn die schwarzen mummen sich ohnehin gut ein – drei Pullover über und wenn Besuch kommt, werden einfach Wolldecken verteilt. Dann sitzt man sich im Wohnzimmer gegenüber, ohne die Arme benutzen zu können, da man wie ein Rollmops eingewickelt ist. Auch beim Friseur wird man in eine Wolldecke eingehüllt, bevor es an den Haarschnitt geht. Das höchste der Gefühle ist, einen heater anrollen zu lassen, der einem die linke Körperseite verbrutzelt, während sich an der rechten Seite Frostbeulen bilden. Auf die Frage, warum man denn beim Bau nicht an Wärmedämm-Fenster mit Doppelverglasung – oder gar Heizung samt Heizkörper – gedacht habe und statt dessen teure Kacheln und Armaturen aus Italien habe einfliegen lassen, kommt jedes Mal die Antwort: Für zwei Monate Kälte würden sich weder Aufwand noch Kosten lohnen. Aha!
Für Südeuropäer ebenfalls gewöhnungsbedürftig ist der Umstand, dass es in Johannesburg weder im Winter noch im Herbst regnet. Dafür schüttet es aber im Sommer und erst recht im Frühling. Und das täglich. Meist nachmittags nach fünf Uhr. Die Rede ist aber nicht von Regen der üblichen Form, weder nieselt oder rieselt es noch sprüht es, sondern es schüttet gewaltig und in Strömen. Ich mache die Erfahrung, dass es sich bei dem Begriff Wolkenbruch um eine Beschreibung handelt, die der Sache mit Sicherheit am nächsten kommt. Einen passenderen Begriff kann es gar nicht geben für den bevorstehenden Weltuntergang.
Darauf bin ich als Neuling in Joburg ja nun alles andere als vorbereitet und darum sitze ich ungeachtet dessen, was sich in der Außenwelt abspielt, an meinem Schreibtisch, gebe mich mit Elan meinem Privatunterricht per skype hin, stolz wie Oskar, dass ich meine Schüler trotz der 9.000 km, die zwischen uns liegen, weiterhin auf das Abitur vorbereiten und mit ihnen zusammen Homo Faber und Das Parfum analysieren darf. Es geht doch nichts über innovativen Unterricht und neue Medien, die Zukunft gehört dem Skype-Unterricht! Basta! So sehr steigere ich mich hinein, dass ich draußen die Wut des Gottes Zeus nicht realisiere, weder seine Blitze noch die Donnerschläge wahrnehme, was verwunderlich ist, wo doch die Fensterscheiben kaum dicker als Esspapier sind und bei jedem Einschlag gehörig mitschwingen.
Plötzlich ein ganz großer Knall, eine Explosion und es wird hell. Zumindest draußen, denn drinnen ist auf einmal alles stockduster. Kein Strom, kein Licht, geschweige denn PC, Monitor und Skype-Unterricht. Verschwunden ist das Gesicht der Schülerin, mit der ich noch vor Sekunden so nett den weniger netten Grenouille und sein ungewöhnliches Riechorgan analysierte. Und auf einmal höre ich es draußen trommeln und hämmern, tosen und rumpeln, da hat sich Zeus ganz eindeutig in der Geografie vergriffen, hat nicht nur seinen Olymp mit den mickrigen 1.750 m verwechselt, auf denen sich Johannesburg seit 1886 ausbreitet, sondern auch Länder und Kontinente durcheinander gebracht, aber gewaltig! Auf soviel Dunkelheit bin ich nicht vorbereitet und als Nicht-Raucherin habe ich nicht jederzeit ein Feuerzeug zur Hand, sondern nur wenn ich Tee trinke. Irgendwo müssen doch die Teelichter samt Streichhölzern stecken! Ich taste mich blind durch mein Arbeitszimmer, öffne Schränke und Schubladen, finde tatsächlich meine komplette Tee-Kultur und setze dem Kriechen auf allen Vieren ein Ende.
Wo genau der Blitz eingeschlagen hat, werde ich wohl nie erfahren, Tatsache ist, dass in dem Moment Router und Alarmanlage nebst vier Kameras ihren Geist aufgegeben haben, somit also weder die Sicherheit in diesem Haus gewährleistet ist noch der Privatunterricht fortgesetzt werden kann. Und das kurz vor der nächsten Klausur. Wunderbar! Aber es kommt noch interessanter, denn das nasse, wuchtige Trommeln und Hämmern auf dem Dach hat in dasselbe ein ansehnliches Loch geschlagen, durch das sich der Regen ungehindert seinen Weg in unser Schlafzimmer bahnt und ausgelassen auf dem Boden plätschert. So viele Eimer kann eine Hausfrau gar nicht haben, um diese Unmengen an Regenwasser aufzufangen. Nach zweieinhalb Stunden Sintflut hat Gott oder Zeus, oder wer auch immer, da oben genug gewütet und es ist wettermäßig wieder wie vorher, als wäre nichts gewesen. Sternenklarer Himmel und ein Halbmond, der gelangweilt herunterschaut, weil er aufgrund der schwarzen Wolkendecke nichts von dem disaster auf Erden mitbekommen hat.
Am nächsten Morgen weiß ich nicht, wen ich zuerst anrufen soll, Bevan wegen der Alarmanlage und der Kameras, Telkom wegen der Internetanbindung und des krepierten Routers, den Elektriker, den Dachdecker oder den Klempner Albert wegen des vielen Wassers im Schlafzimmer? Übers Handy kann man zum Glück alle erreichen und in der folgenden Woche habe ich wieder genauso viele Handwerker im Haus wie anfangs wegen der Möbellieferungen. Der Rekord sind an einem Donnerstag zehn Handwerker, die sich alle gleichzeitig im Haus tummeln und überall versuchen, irgendetwas irgendwie zu reparieren. Mittendrin in diesem Durcheinander putzt meine Perle Pamela aus Zimbabwe, die nicht weiß, wo sie zuerst wischen soll, weil 20 dreckige Schuhe besonders viel Spaß daran haben, auf den weißen Fliesen ihre Spuren zu hinterlassen. Was für ein unüberlegter innenarchitektonischer Einfall aber auch, den Boden mit weißen Fliesen zu verlegen! Anyway! Um 15.00 Uhr ist dann endlich auch der allerletzte Handwerker aus dem Haus und mein täglicher Bedarf an Männern ist dermaßen gedeckt, dass ich die Klingel am Gate geflissentlich überhöre und somit den Termin mit dem Alarmanlage-Fritzen in den Wind schreibe, einfach weil ich an diesem Tag genug hantierende Wesen um mich herum hatte. Es reicht. Leider kann Bevan erst wieder nach einer Woche vorbeikommen. Da keine einzige Alarmanlage seiner Kunden den thunderstorm überlebt und er Hunderte von Anrufen bekommen hat, muss ich also eine weitere Woche ohne security auskommen. Dann ist es halt so.
Später werde ich wohlwollend belehrt, dass ich, sobald sich ein thunderstorm zusammenbraut, sicherheitshalber alle Stecker aus der Steckdose ziehen sollte, um ein ähnliches disaster zu vermeiden. Danach einfach nur Kerzen anzünden, zur Weinflasche greifen und es romantisch werden lassen. Und während vor meinem geistigen Auge die pikanten Details dieses doch recht prickelnden Vorschlags Form annehmen, werde ich im gleichen Atemzug über den Grund der Häufigkeit der electric thunderstorms aufgeklärt. Eine riesige Ansammlung von Metallen, unter Anderem auch Gold, bildet unter Johannesburg einen Riesenkessel, der Blitze förmlich anzieht. Wenn man es sich während des Gewitters auf einer Anhöhe gemütlich macht, kann man Zeuge eines außergewöhnlichen Natur-Spektakels werden. Man sieht, wie die Blitze rhythmisch einschlagen und sich dabei grazil fortbewegen, d. h. jeder lightning schlägt ein bisschen weiter links oder rechts ein als der vorige. Auch sind Blitze zu beobachten, die nicht nur senkrecht in die Erde eindringen, sondern sich kilometerlang horizontal über dem Erdboden schlängeln.
Unter solchen Umständen kann es richtig spannend werden, weil man – öfter als es einem lieb ist – die Handwerker bestellen muss. Erschwerend hinzukommt das grundsätzliche Problem, dass nämlich die hiesigen Häuser von mittelmäßiger Qualität sind, sodass der Kontakt zu den Handwerkern umso regelmäßiger stattfindet, weil zu Hause das eine oder andere nicht funktioniert. Unser Haus ist ungefähr sieben Jahre alt, also für europäische Verhältnisse fast neu. Nicht so für Südafrikaner. Immer wenn etwas in die Brüche geht und ich mich laut darüber wundere, weil das Haus doch fast neu ist, kommt der Handwerker-Tenor, ja aber das Haus ist doch schon sieben Jahre alt, da dürfen Sie sich nicht wundern. Etwas als neu oder als alt zu befinden, ist eben Ansichtssache, genauso wie das Kälteempfinden …
Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Toll geschrieben!!
Ich freue mich auf jede Folge. Hoffentlich hast Du noch viel Themen!
Erika
Deine Geschichten aus Südafrika sind einfach super geschrieben. Warmherzig, liebevoll und genau auf den Punkt gebracht. Vieles habe ich genau so erlebt – aber diese Formulierungen, die du da „zu Papier“ bringst … einfach GENIAL. Du rückst Begebenheiten, die „einfach so sind“ (z.B. das mit der Wolldeckenverteilung) ins richtige Licht. Bekannte von mir haben nur noch: „es war immer kalt in Durban im Juli“ in Erinnerung. In Durban hatten wir keine Heizungen, sondern auch nur Wolldecken und Bettflaschen. Mit deinen Formulierungen sitze ich (leider nur in Gedanken) eingewickelt in die Wolldecke (wie ein Rollmops) bei meinen Freunden im Wohnzimmer. Danke! Du solltest diese Geschichten wirklich zu Papier bringen. <3
Ich habe bis jetzt alle deine Geschichten gelesen und muss immer wieder feststellen, wie viel Humor und Witz darin stecken, aber auch wie viel Liebe für dieses Land. Mach weiter Christina! Ich freue mich schon auf die nächste Geschichte.
Mal wieder super geschrieben!!!
Immer wieder herrlich! Super Geschichten von einem tollen Land.
Donnerwetter!
Das Bild zum Wetter-Spektakel ist wirklich faszinierend. Erstaunlich, was für ein „Gemälde“ die Natur ergeben kann!
Aber, dass ein 7jähriges Haus nicht mehr als ziemlich neu befunden wird, hätte ich mir auch nie denken können.
Mann, habe ich hier wieder lachen müssen. Die in Decken eingewickelten Leute in der afrikanischen Kälte sind ein Bild für sich.
Ich dachte am Anfang, dass ich so viele Informationen über Johannesburg bekomme, dass ich bestimmt nicht mehr hinfahren brauche!
Aber jede Geschichte, die noch mehr Informationen bringt, macht mich neugieriger auf
diese Stadt, das Land und die Leute. Ich warte auf die Fortsetzung!!
…Deine Beschreibungen trösten über manch kühles Wetter und Befinden in Deutschlands Klimazone hinweg!
Wow, ist das packend geschrieben!
Ich kann alles um mich vergessen und bin in Südafrika!