von Christina Antoniadou
Ich habe kein Glück mit Handys. Ganz eindeutig mögen meine Handys bzw. Smartphones ihren Besitzer nicht. Sonst ist es wirklich nicht zu erklären, warum sich die mobilen Telefone in hübscher Regelmäßigkeit für immer und ewig von mir verabschieden. Dabei hege und pflege ich sie nach besten Kräften, umgebe sie mit Liebe und Sorgfalt, statte sie mit sündhaft teuren Etuis aus, lasse von Experten blasenfreie Displayschutzfolien auftragen, – ich selbst bringe zu meinem Leidwesen für solch eine Betätigung nicht die erforderliche Geduld auf – und achte peinlichst darauf, dass sie höchst selten zu Boden oder mit einem klatschenden Geräusch in die Toilette fallen. Letzteres soll vielen Nutzern an besonders schicksalsschweren Tagen aus purer Zerstreutheit schon gelungen sein. Meinen mobilen Apparaten ist dagegen eine lange Lebensdauer gesichert, weil ich liebevoll mit ihnen umgehe. Was wollen sie also mehr?
Bei einem Segeltörn mit Freunden soll das erste Handy Abschied nehmen. Es ist die Zeit, als ein Telefon der Marke Nokia noch etwas ganz Besonderes darstellt. Eins von der Sorte, das sich nur zum Telefonieren oder im besten Fall zum Versenden von Nachrichten eignet. Es ist die Zeit, als SMS nur dann verfasst werden, wenn wirklich ein Anlass dazu besteht und nicht aus purer Langeweile. Weit und breit kein Internet, geschweige denn social media, kein Facebook, kein Instagram, kein twitter. Die Menschen reden noch miteinander und schauen sich dabei an, ohne gebeugten Kopf, der über einem Display baumelt und auf denselbigen starrt. Ohne Handynacken.
Da von einer Segeltour die Rede ist, könnte der werte Leser auf den weniger abwegigen Gedanken kommen, dass sich das Unglück in der Ägäis ereignet, wo kleine und große Gegenstände aufgrund der starken Winde und des hohen Wellenganges leicht ins tiefe Wasser fallen könnten. Dem ist aber nicht so. Für besagten Segeltörn wird die Mecklenburgische Seenplatte ausgesucht, und zwar in einem Monat des Sommers, der heiß und drückend werden soll und nicht den leisesten Hauch von frischem Wind verspricht.
Die Kundigen unter Ihnen werden umgehend erkannt haben: Das einzige, was wir auf dieser Tour außerstande sind zu vollbringen, ist zu segeln. Richtig! Stattdessen legen wir die Strecke von Berlin bis nach Schwerin mit alleiniger Hilfe des Motors zurück. Wen kümmert es? Hauptsache wir haben eine handbreit Wasser unterm Kiel. Ansonsten ist alles an dieser Reise vortrefflich: Das rege Treiben an jeder Schleuse lädt zum Verweilen und Staunen ein.
Die Dörfer sind idyllisch. Das Essen in den verschlafenen Ortschaften mit den teilweise ungewöhnlichen Namen könnte leckerer nicht sein und die Soljanka-Suppe ist gar nicht so säuerlich, wie sie im Buch „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ beschrieben wird. Die Sonne scheint. Die Landschaft ist zauberhaft. Der Schilf am Ufer verbeugt sich geräuschlos und ehrfurchtsvoll, sobald wir uns nähern und richtet sich wie im Zeitlupentempo wieder auf, sobald wir vorbeigefahren sind.
Vor uns liegt die Müritz, laut Wikipedia der größte See Deutschlands, da man sich den Bodensee ja mit zwei weiteren Nachbarländern teilen muss. Gut gelaunt tuckern wir auf die Mitte des Sees zu, holen den Prosecco aus dem Kühlschrank und stoßen zur Feier des Tages an.
Was für eine Aussicht! Was für eine Ruhe! Entspannung pur! Am Horizont ist der Ort Waren zu erkennen, ansonsten um uns herum nur das Blau des Wassers und des Himmels. Keine einzige Wolke, kein Windhauch, der einem zu schaffen machen könnte. Ach, ist das Leben schön!
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Und dann passiert es: Innerhalb von Sekunden lässt sich eine Wolke auf dem Boot nieder und überzieht unser weißes Boot mit einer für Segelboote doch recht ungewöhnlichen Farbe. Wir sehen alle wort-wörtlich nur noch rot. Und zwar überall: Bug, Heck, Deck, Segel, Bojen, Tauwerk, Steuer, alles ist in ein auffallend kräftiges Rot getunkt! Sogar unsere Kleidung! Und unsere Sonnenbrillen! Es dauert geraume Zeit, bis wir realisieren, dass es sich um Tausende, was sage ich, um Millionen von Marienkäfern handelt, die womöglich keine andere Möglichkeit sehen, eine Pause einzulegen und sich darum scharenweise bei uns niedergelassen haben, sodass wir von der gepunkteten Käfer-Invasion bald selbst gepunktet sind. Bei näherer Betrachtung sieht man, dass diese kleinen, roten, kugeligen Winzlinge weniger neben-, sondern eher über- und untereinander sitzen bzw. krabbeln und sich die Sonne auf den roten Rücken mit den schwarzen Punkten brennen lassen.
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Uns bleibt nicht viel Zeit zum Überlegen, höchstens zum Wundern, denn aus der Ferne kommt die nächste Überraschung. Ein zweiter Schwarm nähert sich unserem Segelboot und kündigt sich durch ein eigenartiges Brummen an. Ehe wir die Proseccogläser abstellen können, werden wir von Tausenden, was sage ich, von Millionen von Wespen belagert, die es zwar nicht auf uns abgesehen haben, uns aber trotzdem zur Genüge terrorisieren, indem sie um uns herum schwirren. Wie soll man sich bitte schön solch eines Besuchs erwehren? Instinktiv wählen wir weniger friedfertige Methoden, um die ungebetenen Gäste weitestgehend zu vertreiben und schlagen mit allen verfügbaren Armen – mit oder ohne Proseccoglas – um uns. Einige greifen nach Servietten, so als könnten sie damit möglichen Wespenstichen vorbeugen. Panisch wedelnd versuchen sie, die Quälgeister fernzuhalten. Genauso wie die unerwünschten Eindringlinge aus dem Nichts erschienen sind, verschwinden sie plötzlich wieder und warden nicht mehr gesehen. Wir sehen der dunklen Wolke nach, wie sie davonschwebt und dabei der roten Marienkäfer-Wolke dicht folgt.
Dann schauen wir uns verwundert, perplex, fassungslos und wie man sich sonst noch nach so einem Übergriff fühlen kann, an. Ich trinke den Prosecco – oder was davon im Zuge des Manövers nicht auf dem Deck gelandet ist, bis zur Neige aus, stelle das Glas auf den Tisch ab und greife nach dem Handy. Zumindest versuche ich es. Es ist verschwunden, wie vom berühmt berüchtigten Erdboden verschluckt. Da hilft auch jegliches Bücken und auf allen-Vieren-Kriechen wenig. Ich lasse meinen Blick in die Runde wandern. Ringsum herrscht betretenes Schweigen, doch noch ehe ich eine Silbe geäußert hätte, beteuern mir mehrere Augenpaare, dass sie reinen Gewissens sind. Wie auf Kommando richten sich unserer aller Blicke ins Wasser. Vermutlich hat einer von uns – vermutlich ich, die ich am Nächsten sitze – zu wild mit den Händen herumgefuchtelt, um die Wespen zu verscheuchen und dabei dem Handy einen gehörigen Klaps gegeben, sodass es im hohen Bogen in die Müritz befördert wurde. Die Fische werden entzückt feststellen, dass sie nunmehr ihre entfernten Verwandten im Atlantik anrufen und sich nach ihrem Befinden erkundigen können.
Das zweite Handy, das Adieu sagt, ist ein uraltes iPhone 4, das ich in Südafrika absichtlich nicht durch ein neueres ersetze, weil es mir genügt, bei einem potentiellen Hijacking „nur“ um das Auto und nicht auch noch um ein neues iPhone erleichtert zu werden. Auf der griechischen Kykladen-Insel Folegandros angekommen, wird uns, also meiner Londoner Freundin und mir, die ich aus Johannesburg angereist bin, gleich der beste Strand angepriesen, der entweder mit einem Boot oder über einen holprigen Wanderweg zu erreichen ist. Letzteres schließen wir ohne jegliche Diskussion und aufgrund der sengenden Hitze aus. Katergo heißt der Strand und eigentlich sollte mich allein schon der Name aufhorchen lassen, denn übersetzt lassen die Begriffe „Galeere“ bzw. „Zwangsarbeit“ tatsächlich auf nichts Gutes schließen.
Wir zwängen uns mit … mindestens 87 Dutzend sommerhungrigen Touristen auf den nächsten Kutter und lassen uns an besagten Galeeren-Strand bringen. Schon von weitem lädt uns das türkisfarbene Wasser zum Schwimmen ein und wir steigen erwartungsvoll aus. Schnellstmöglich wird an der Felsenwand die beste aller Stellen ausgesucht, um sich der Badetasche samt des Inhaltes zu entledigen. Schatten spenden soll das Fleckchen Erde, das wir so gekonnt ausgesucht haben, und tatsächlich kann dort eine Person von maximaler Größe eines halben Meters – also ein Neugeborenes – von den Strahlen der unbarmherzigen Sonne Zuflucht suchen. Schattenspendende Spots zu finden, ist um die Mittagszeit in diesen geografischen Längen und Breiten nun einmal ein schwieriges Unterfangen. Nichtsdestotrotz beschäftigt uns in diesem Augenblick etwas viel Wichtigeres als ein Sonnenstich in Spe, nämlich, so schnell wie möglich ins kristallklare griechische Meer zu springen. Zu lange haben wir auf diesen Moment warten müssen. Darum lassen wir alles sorglos im Sand liegen und wenden uns dem kühlen Nass zu. Ich kann es vor Freude kaum fassen. Das griechische Meer ist das allerbeste der Welt. Nichts kann den Kykladen das Wasser reichen! Im wahrsten Sinne des Wortes nicht. Zu diesem Schluss komme ich, nachdem ich das Vergnügen und das Glück hatte, schon in vielen Gebieten auf dem Globus schwimmen zu dürfen.
Wie wir ausgelassen im türkisblauen Meer plätschern und erzählen und kichern und genießen, und dabei dummerweise den Strand im Visier und den Horizont im Rücken haben, kommt von hinten etwas, was man eine böse Überraschung nennen könnte: Eine hohe Welle, buchstäblich aus dem Nichts, wie Jahre zuvor der Marienkäferschwarm gefolgt von dem Wespenschwarm. Sie reißt uns mehrere Meter weiter in Richtung Strand mit, lässt uns, die nach Luft japsen, auf halber Strecke im Meer zurück und schwappt allein weiter auf den Strand zu, frisst sich berechnend durch den Sand und erreicht alle Badematten, Badetaschen, Flip Flops, kurzum, alles was am Strand nicht niet- und nagelfest ist – und was ist das schon am Strand? Auf ihrem bedächtigen Weg zurück nimmt die Welle – nunmehr ihrer Energie beraubt – kurzerhand alles mit in den Schoß der Tiefe, was sich mitnehmen lässt und nur einige große Taschen bleiben triefend auf dem nassen Sand liegen. Zu schwer sind sie, als dass sie vom Wasser, das wieder zurück nach Hause will, mitgenommen werden könnten.
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Wieder zu Atem gekommen schauen wir sprachlos dem Desaster zu, versuchen in panischer Hast hinaus zu schwimmen, zu laufen, zu kraulen, zu krabbeln. Aber es ist wie im Albtraum, in dem man zwar glaubt zu laufen, sich aber in Wirklichkeit nicht von der Stelle bewegen kann. Sie kennen dieses Gefühl, nicht wahr? In diesem unbeholfenen Zustand werden wir Zeuge der zweiten Welle und ihres erbarmungslosen Triebes, der auf Zerstörung gerichtet ist. Auch sie ist nicht aufzuhalten, auch sie macht sich über unsere kostbaren Taschen her, bewässert sie nach allen Regeln der Kunst und lässt sie auch dieses Mal ermattet und schlaff im Sand zurück. Als wir kurze Zeit später, aber eindeutig zu spät, über die Steine holpern, die uns am Rande des Strandes den Weg versperren, und endlich zu unseren Badetaschen finden, dieselbigen öffnen, um den Inhalt zu inspizieren, müssen wir bleich und wenig gefasst feststellen, dass unserer beide iPhones gerade ihren letzten Atemzug getan haben. Und da hilft auch keine Mund-zu-Mund-Beatmung mehr. Gut gemeinte Ratschläge von internationalen Sonnenanbetern setzen wir am Abend sogleich in die Tat um und versuchen es nach dem Motto „Was haben wir schon zu verlieren?“ mit drei Kilo Reis, den wir im Supermarkt erstehen. Die nassen mobilen Telefone lassen wir für den Rest des Urlaubs im Reis versinken, in der Hoffnung, dass sie wieder ein Lebenszeichen von sich geben werden, ein Piep, ein Kling, ein Ding-Dong, ein etwas. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
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Dem Leser dürfte aufgefallen sein, dass eine gewisse Steigerung zu erkennen ist, was den Wert des Handys und somit auch den Schaden an sich angeht. Diesbezüglich lässt sich folgende Episode nur schwerlich toppen …
Zu Weihnachten schenkt man seinen Liebsten gern etwas und gönnt sich dann auch einmal ganz nebenbei Dinge, die man schon länger benötigt. Beispielsweise ein neues iPhone, weil das alte nicht genügend Speicherplatz hat. Was für eine einfältige Vorstellung aber auch, Herr Steve Jobs, mit 16 GB aufzuwarten, die spätestens nach einem Enkelkind und einer Fernreise aufgebraucht sind. Trotz icloud und google photos ist mein iPhone nur noch bedingt gebrauchstüchtig und bringt mehr Ärger als Freude … Langer Rede, kurzer Sinn: Ich lege mir eine neues mobiles Telefon unter den Weihnachtsbaum und tue beim Auspacken ganz entzückt: Was für eine große Überraschung, lieber Weihnachtsmann! Genau das habe ich mir schon soooo lange gewünscht! Bussi, bussi! Dem Speicherplatz dieses vortrefflichen iPhones können weder Zwillingsenkelkinder noch Weltreisen etwas anhaben. Hervorragend ausgestattet geht es also nach Mexiko. Olé! Sagt man das überhaupt in Mexiko? Egal …
Nachdem unser Jetlag nach besten Kräften überwunden ist, brechen mein Mann und ich in Mexico-City zum historischen Zentrum, zum zentralsten Platz der Stadt namens Zócalo, auf, um uns als Allererstes den Templo Mayor anzuschauen, den wichtigsten und größten Tempel der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlán oder was auch immer davon übrig geblieben und dem spanischen Destruktionstrieb entkommen ist.
Ungeheuerlich, wie die Spanier vorgingen, wie viele Menschenleben die Eroberung dieser religiösen und politischen Stätte forderte und ebenso unsensibel Hernán Cortés danach anordnete, aus den Trümmern an Ort und Stelle eine Kathedrale zu errichten, übrigens die größte und älteste des amerikanischen Kontinents.
Tief beeindruckt von den Trümmern, aber auch von den Modellen, die nachgebaut wurden, um die verschiedenen Baustufen zu veranschaulichen, bewundern wir die zwei Schreine auf seiner Spitze, die dem Kriegs- und Sonnengott Huitzilopochtli und dem Gott des Regens, des Wassers und der Fruchtbarkeit Tlaloc geweiht waren. Auch das sich anschließende Museum wird gebührend bestaunt und hier und da werden Fotos gemacht, schließlich will man sich ja auf Facebook und Instagram keine Blöße geben.
Nachdem der Templo Mayor abgehakt werden kann, geht es zur nächsten Sehenswürdigkeit, die wir laut Liste abarbeiten wollen. In unmittelbarer Nähe befindet sich der Palacio Nacional, der offizielle Sitz der Regierung, wo der Maler Diego Rivera im Inneren seine berühmten Murales, die Wandmalereien, zur Geschichte Mexikos schuf. Zur Einstimmung haben wir uns kurz vor dem Abflug den Film „Frida“ angeschaut, in dem der vitale Frauenheld seine Version von mexikanischer Geschichte an diese Wände malte. Ich kann es kaum erwarten, alles aus nächster Nähe zu bewundern.
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Auf der sehr kurzen Strecke, die man als Tourist zurücklegen muss, um dorthin zu gelangen, kommt man unweigerlich an exotisch anmutenden Gruppen vorbei, die einen rhythmischen Tanz vollführen. Mit dem monotonen Schlagen ihrer Trommeln veranstalten sie ein unüberhörbares Spektakel, das mit Rasseln, die die Tänzer sowohl in der Hand halten als auch an ihren Fußgelenken angebracht haben, zusätzlich ergänzt wird.
Es sind die Conchero-Tänzer, die nur rudimentär mit einem Lendenschurz bekleidet sind, einen prächtigen federgeschmückten Kopfputz tragen und im Gesicht teilweise furchterregend bemalt sind. Dabei kommt ihr Körperbau vollends zur Geltung: Sowohl derer, die über eine bewundernswerte als auch jener, die über eine weniger ansehnliche Statur verfügen.
Ungeachtet des Schönheitssinnes bilden die Conchero-Tänzer einen Kreis um den Altar, den sie auf dem Boden aufgebaut haben. Es handelt sich meist um eine Tischdecke, auf der Früchte und Gemüse in farbenfroher Vielfalt platziert sind. Auch wenn der Ursprung dieses Tanzes sicher einen spirituellen Hintergrund hat, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich hier lediglich um einen Tourismusmagneten handelt. Nichts desto trotz halte ich an, um mit meiner Kamera die touristengerechten Bilder zu machen und muss sogar länger als geplant an Ort und Stelle verweilen, da ich Zeuge eines Ereignisses werde, das mich doch sehr stutzig werden lässt.
Es hat sich in kürzester Zeit eine Schlange vor einem dieser Tänzer gebildet, der sich zu majestätischer Größe aufgerichtet hat und seinen ganzen Ehrgeiz darin setzt, die Gläubigen in eine weihrauchähnliche Wolke einzuhüllen und auf sie einzureden, während diese ihre Hände vor das Gesicht halten, sich bekreuzigen und zur Steigerung des Effekts sogar auf die Knie gehen.
Während ich es für notwendig befinde, auch dieses Ereignis gebührend zu verewigen, bemerke ich in keinster Weise, wie sich jemand meine momentane Konzentrationsschwäche zu Nutze macht und sich intensiver mit meiner Handtasche beschäftigt, als er eigentlich befugt ist. Es ist einige Zeit vonnöten, ehe ich die Situation erfasse und bleich feststellen muss, dass mein nagelneues iPhone den Besitzer gewechselt hat. Und zwar unwiderruflich. Im Nachhinein ist es mir unbegreiflich, wie jemand in Sekunden das Handy in diesem Wust, der sich Tascheninhalt nennt, gefunden hat, wo ich doch selbst jedes Mal unter Aufbringung meiner ganzen Geduld Minuten brauche und dabei mich und meine grotesken Taschenkäufe verwünsche, um das mobile Telefon in der Dunkelheit dieser grausamen Tasche zu identifizieren und herauszufischen. Ich komme nicht umhin, besagten „Taschendieb“ mit einem Fluch zu belegen und wünsche ihm diverse Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die samt und sonders dazu führen, dass er an unerträglichen Schmerzen in der Bauchgegend leidet und sich darum genötigt sieht, seine wertvolle Zeit an einem gewissen stillen Örtchen des Hauses zu verbringen. Am besten von jetzt auf gleich. Und für längere Zeit. Beispielsweise für immer.
Es ist müßig, zu weinen, sich die Haare zu raufen, sich an die Brust zu schlagen und generell dem iPhone nachzutrauern. Dank der modernen Technik besteht nun durchaus die Möglichkeit, durch die App „Find my iPhone“ sein teuer bezahltes Telefon zu lokalisieren. Ob das in Mexico-City eine empfehlenswerte Idee ist, sei dahingestellt. Man sollte sich einmal die Situation vor Augen führen, wenn die naive Europäerin mit Hilfe der App den potentiellen Taschendieb in einem der gefährlichsten Stadtviertel ausfindig macht und ihn mit einem freundlichen Lächeln anspricht: Er möge doch bitte so nett sein und ihr das iPhone aushändigen, also das, was er ihr vor einigen Stunden entwendet habe. Natürlich nur, wenn es ihm keine Umstände bereite. Nicht auszudenken, was nach diesem höflichen Annäherungsversuch passieren würde. Gewiss würde mich das gleiche Schicksal ereilen wie kurz zuvor mein Telefon, ich würde also für immer und ewig in diesem Land bleiben müssen und zwar in einem weniger lebendigen Zustand als ich es noch bin.
Also kann dieser wagemutige Gedanke sofort wieder verworfen werden, genauso wie jener, ernsthaft zu erwägen, die hiesige Polizei aufzusuchen und beispielsweise eine Anzeige zu erstatten. Gegen unbekannt. Die Polizisten würden sich gerne der Sache annehmen, aber eben auf eine ihnen eigene Art und Weise. Das Letzte, was man von ihnen erwarten könnte, wäre das Funkeln eines unverkennbaren Ehrgeizes in ihren Augen, den Taschendieb zu überführen. Stattdessen würden sie sich anschicken, mich in fließendem Spanisch darüber aufzuklären, dass eines der Hauptprobleme hierzulande auf den Namen Kriminalität hört und mit tadelndem Unterton in der Stimme würden sie wohl noch hinzufügen, dass man als Tourist doch eigentlich im Bilde und darum gewappnet sein müsste. Vermutlich wären die Polizisten auf der Wache bei diesen Worten kaum imstande, sich ein breites Grinsen unter dem Schnurrbart zu verkneifen. Einige Stunden von meinem wertvollen Urlaub würde ich damit verbringen, das entsprechende Polizeirevier ausfindig zu machen und den Polizisten aufgrund nicht vorhandener Spanischkenntnisse den Zwischenfall pantomimisch zu vermitteln. Das einzig Positive an der ganzen Geschichte wäre die Tatsache, dass ich sicher genügend Stoff für diese Episode sammeln könnte, aber das ist mir die Sache dann doch nicht wert.
Völlig aussichtsloser Fall, zur Polizei zu gehen. Basta! Und da wir schon die Eintrittskarten für das Palacio Nacional bezahlt haben, begeben wir uns direkt dorthin. Schweren Herzens betrete ich den Innenhof und nähere mich den Treppen, die Diego Rivera mit seinen Wandmalereien dekoriert hat.
Schade, dass ich nicht in the mood bin, wie die Engländer so schön sagen, um die Zentralfigur der mesoamerikanischen Kulturen, die legendäre Gottheit Quetzalcoatl vor der Sonnen- und Mondpyramide von Teotihuacán zu bewundern. Nichts von Diegos Meisterwerk kann ich wirklich würdigen, weder die Spanische Eroberung Mexikos, noch die Episoden der Kolonisation.
Azteken, Spanier, Hernán Cortés auf seinem Pferd, seine indianische Geliebte Malinche, spanische Soldaten, das Wappentier Mexikos, also der Adler mit der Schlange im Schnabel: alle samt prallen sie an mir ab. Vermutlich reichen die wenigen Minuten nach dem Diebstahl nicht aus, um wieder zu mir selbst zu finden. Zumal mir immer wieder die fürchterliche Vorstellung in den Sinn kommt, was noch hätte passieren können.
Als ich am Abend vor versammelter Runde mein Leid vom gestohlenen, gerade einmal fünf Wochen neuen iPhone klage, stellt unsere Tochter, die seit über einem Jahr in Mexico City lebt, die Vermutung an, dass ich schon im Museum beobachtet wurde, denn sonntags ist der Eintritt für Einheimische gratis, also können auch professionelle Handy-Diebe so tun, als wollten sie sich kulturell weiterbilden. In Wirklichkeit machen sie potenzielle Opfer aus, die in ihrer westlichen Naivität das teure iPhone zücken, ohne zu bedenken, dass man damit die Blicke solcher Schlitzohren auf sich zieht. Im günstigen Moment – und sicher gehört das Fotografieren des Conchero-Tanzes dazu – wird dann zugeschlagen. Und weg ist das iPhone. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass wir ohne einheimischen Guide unterwegs sind und somit eine noch leichtere Beute darstellen.
Viele Dinge wird man erst dann gewahr, wenn es einen selber betrifft. Vorher hört man nur mit halbem Ohr zu. Während ich vor unserem Urlaub Schreckensgeschichten, die sich in Mexiko abspielen, keine besondere Bedeutung beimesse, werde ich im Urlaub eigenartigerweise auf immer mehr Gruselgeschichten zum gleichen Thema aufmerksam. So erinnere ich mich beispielsweise an die Bekannte einer Bekannten, die mit Gipsarm aus dem Mexiko-Urlaub nach Hause zurückkam, weil der Dieb es für notwendig befand, ihr denselbigen zu brechen, bevor er ihre Tasche entwendete. Solche Horrorgeschichten tragen entscheidend dazu bei, mein Missgeschick mit dem iPhone schleunigst zu vergessen und dem Motto „Schlimmer geht immer“ zu huldigen.
Bei dieser Gelegenheit erzählt uns ein Freund der Tochter, dass ihm in MC vor einigen Monaten ebenfalls sein iPhone gestohlen wurde und er wutentbrannt eine SMS an seine eigene Nummer schickte, die den Dieb mit weniger gut gemeinten Ausdrücken überhäufte und ihm alles erdenklich Schlimme an den Hals wünschte. Eine erstaunliche Ähnlichkeit mit meinen Flüchen ist dabei augenfällig, die besagt, dass an sich kooperative und liebenswürdige Menschen, wenn sie nunmehr außer Kontrolle geraten, doch recht unflätigen Gedanken nachhängen. Kurz nachdem der Freund unserer Tochter die SMS geschickt hatte, meldete sich ein Mann und erklärte ihm, dass er soeben besagtes iPhone gekauft habe. Ob es sich unter Umständen einrichten lasse, ihm das Password zu nennen oder vielleicht sogar per SMS zu schicken, denn sonst bleibe ihm der Zugang verwehrt, was ja nicht der Sinn dieser Anschaffung sei. Die Reaktion unseres Freundes überlasse ich der Vorstellungskraft jedes einzelnen Lesers, man könnte an dieser Stelle sogar eine Umfrage starten, nach dem Motto: Wie hätten Sie sich in diesem Moment verhalten? Wie dem auch sei, das mobile Telefon unseres Freundes ward nicht mehr gesehen und Monate später hat er nur einen lässigen Kommentar für Leute solchen Kalibers übrig: The nerve some people have!
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Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Ich habe diese Geschichte sehr genossen. Habe mich in die Situationen versetzen lassen bestohlen zu werden, habe die Bilder genossen und war mit meiner Fantasie überall dabei. Liebe Christina, du beweist immer wieder eine wunderbare Erzählweise mit einem Schuss Humor, der mich fasziniert.
Die Wespen-Invasion die reinste Horror-Geschichte … dass dabei nur ein Handy verloren gegangen ist, ein Wunder. Die Episode in Mexico-City normaler Alltag. Die Fotos von den Wandmalereien von Diego Rivera ein Geschenk fur meine Augen. Dein versteckter, feiner Humor ein Genuss!
Toll, wie du es schaffst, selbst widrigen Umständen etwas Positives abzugewinnen. Dein Humor ist mitreißend – einfach unschlagbar!
Dumme Geschichte (Handy weg!), aufregende Erzählung, herrliche Fotos. Ein Tipp, falls dir nochmal ein Handy ins Wasser fallen sollte (Gott bewahre!): Das Handy öffnen, in einen Strumpf stecken und durch die Luft wirbeln. Aufpassen, dass es nicht davonwirbelt. Dadurch entweichen die eingedrungenen Wassertropfen.
Wie gut, dass du im Nachhinein das Ganze mit Humor sehen kannst – und auch uns damit erheiterst.
Jetzt muss ich wirklich nach meinem iPhone schauen, ob es noch da ist, ich war nämlich heute im Supermarkt einkaufen!!!
Du hast sehr schön die Handy-Geschichten und das Reisen kombiniert! Danke!