von Christina Antoniadou
Wir wohnen seit ein paar Tagen in unserem großen leeren Haus in Johannesburg, da eröffnet mir mein Gatte, dass am nächsten Morgen der Security-Fachmann seiner Firma kommen wird, um uns im Rahmen eines privaten Seminars in die Vorsichtsmaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen einzuführen, ohne welche sich in diesem Land nicht leben lässt. Und weil meine bessere Hälfte Gedanken lesen kann, kommt er meiner Frage sogleich zuvor und erklärt mir, dass es dieses Mal ins Detail geht. Noch mehr Detail? antworte ich leicht gereizt. Ich fand das Seminar im Hotel, in dem wir noch vor kurzem wohnten, eigentlich schon ausführlich genug. Die Firma ist verpflichtet, uns aufgrund der besonderen Situation des Landes einzuweisen, lässt mich mein Guter wissen. Und weil wir naive Europäer sind, fügt er gleich schmunzelnd hinzu.
Am nächsten Morgen ist der Angestellte pünktlich zur Stelle und macht einen recht aufgeregten Eindruck, als er sich mit dem Namen Wian van der Walt vorstellt. Meine gute Kinderstube vorweisend biete ich ihm eine Tasse Tee an, damit er sich erst einmal beruhigt. Er allerdings scheint die entspannende Wirkung desselbigen vollends zu ignorieren und zieht Kaffee vor. Nun gut!
Den dunklen Sud schlürfend schildert er mir, ohne dass ich mich daran erinnern könnte, danach gefragt zu haben, wie ihn zwei junge Schwarzafrikaner heute morgen am Einfahrtstor seines Hauses überrascht hätten und er beinahe Opfer eines Überfalles geworden wäre. Was für ein prächtiger Gesprächseinstieg, denke ich mir. Ohne jeglichen Zeitverlust, den eine Einleitung mit sich bringen würde, kommt er direkt zum Thema. Wian wischt sich mit einem Stofftaschentuch die hohe Stirn bzw. die angehende Glatze trocken und holt ein Heft aus seiner Aktentasche, in der Maßnahmen samt Techniken zwecks Überlebens in Südafrika enthalten sind.
Bevor ich es schaffe, mich zu setzen, geht er schon auf den ersten Punkt ein. Es gelten strikte Regeln für das Verlassen des Hauses, schärft er mir ein und schaut mich dabei mindestens genauso streng an. Die meisten Überfälle würden sich am Tor ereignen, also entweder beim Hinaus- oder beim Hineinfahren. Never leave the property, before the gate is closed properly. Im letzten Moment könnte sich nämlich jemand durch das sich langsam schließende elektrische Tor hindurchzwängen oder einfach hineinhuschen. Und wenn es einem Kriminellen einmal gelingen sollte, sich Zugang zu verschaffen, ist das Spiel schon verloren.
Beim Nach-Hause-Kommen gelten ähnliche Regeln: Man hält erst an, wenn man sich vergewissert hat, dass man erstens – sein Daumen schnellt hoch – nicht verfolgt wird und zweitens – sein Zeigefinger folgt dem Daumen, so dass seine Hand wie eine schussbereite Pistole aussieht – dass kein Verdächtiger in der Nähe des Tors herumlungert. In diesem Fall solle man einfach noch eine Runde drehen und nach einigen Minuten wiederkommen. Erst wenn die Luft rein sei, schließe man das Tor per Transponder auf und warte darauf, bis es sich ganz öffne. Aber wohlgemerkt, der Security-Fachmann hebt den rechten Zeigefinger. Man warte nicht direkt vor dem Tor, sondern auf der Straße. So können Ihnen die Bösewichte nicht mit dem Auto den Fluchtweg absperren, indem sie ihren Wagen hinter den Ihrigen platzieren und Sie nur eine Möglichkeit haben: Das Tor zu öffnen und hineinzufahren, und zwar mit den Verbrechern im Schlepptau, weil Ihnen einer von ihnen inzwischen die Pistole an die Schläfe hält.
Ich finde, diese Situation ließe sich auch auf weniger authentische Weise veranschaulichen, vor allem weil es mir mittlerweile eiskalt den Rücken hinunterläuft. Er wiederholt seinen Lieblingssatz, reißt dabei die Augen auf und betont jede Silbe: Sind sie einmal drin, ist man ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wenn man es geschafft habe, ohne kriminelle Begleitung durch die Einfahrt zu gelangen, warte man, bis sich das Tor wieder hinter einem geschlossen habe, weil sich sonst jemand einschleichen könnte. Ich starre ihn entgeistert an. Was um Himmels Willen versucht mir dieser W-v-W da eigentlich zu erklären? In der Aufregung fällt mir sein Name partout nicht ein. Ich stelle ihm eine, wie ich meine, recht plausible Frage, nämlich ob er gekommen sei, um mich zu Tode zu erschrecken und um sicher zu gehen, dass ich dadurch in den folgenden Jahren, die wir gedenken würden, in diesem Land zu bleiben, das traute Heim unter keinen Umständen verlassen würde.
Er überhört meine Frage geflissentlich und setzt zum nächsten Schritt an, um mir Anweisungen mit auf den Weg zu geben, für den Fall, dass ich mich trotz Kassandras Vorhersagen doch dazu entschließen sollte, die Welt außerhalb meines Schutzwalles kennenzulernen.
Laut Anweisungen verlässt man die Garage nur unter zwei Voraussetzungen: Die Handtasche nebst Inhalt verstaut man im Kofferraum, weil sie sonst den Blicken potenzieller Diebe ausgesetzt ist. Außerdem sollten Fenster und Türen verriegelt sein. Danach kann man guten Gewissens durch das Tor fahren und seinem Unglück entgegenrollen, sollte aber nichts destotrotz die nächsten Regeln beherzigen: Man darf nie mit offenen Fenstern fahren. Außerdem sollte man sich an den Ampeln weder auf die flehenden Gesichter der schäbig gekleideten Bettler noch auf die fliegenden Händler einlassen.
Beim Fahren darf man nie telefonieren, wovon eigentlich generell abzuraten ist, aber in Südafrika dienen die Sicherheitsvorkehrungen weniger im westlichen Sinne der Vermeidung eines Unfalls als vielmehr im südafrikanischen Sinne der eines Diebstahles.
Beim Telefonieren ist man nämlich unkonzentriert, worauf hijackers nur warten, um die Tür aufzureißen oder das Fenster einzuschlagen, den Fahrer samt restlicher Besatzung äußerst unsanft aus dem Auto zu zerren, sie in einem recht verstörten Zustand mitten auf der Straße stehen bzw. liegen zu lassen, sich dann des Autos samt Handy in der Seitentür und Handtasche im Kofferraum zu bemächtigen und von dannen zu fahren. Letzteres heißt übrigens carjacking oder car hijacking und wird täglich in den Radionachrichten gemeldet, klärt mich der Mann mit den vielen W´s auf und malt die ausweglose Lage, in der sich das Opfer danach befindet, in den dunkelsten Farben: Und dann hockt der Autofahrer völlig auf sich allein gestellt ohne Handy oder Geld am Straßenrand und ist außerstande, seine Familienangehörigen zu benachrichtigen, weil sich keiner der Vorbeifahrenden seiner erbarmt.
Mir ist schwindelig und zwar nicht, weil ich mir diese Regeln nicht merken kann, sondern weil ich es in diesem Augenblick von tiefstem Herzen bereue, meine bessere Hälfte vor Monaten dazu überredet zu haben, nicht nach Singapur oder Dubai, sondern nach Johannesburg zu ziehen. Meine Begründung dazu macht mir am meisten zu schaffen: Weil es in Johannesburg spannender ist. Get the vibe of Johannesburg! So hieß es überall. Ja bin ich denn von allen guten Geistern verlassen gewesen? Was ist damals bloß in mich gefahren, in dem Moment geistiger Umnachtung?
Wian van der Walt scheint von meiner Unpässlichkeit keinerlei Notiz zu nehmen und fährt unbeirrt mit seinen Schreckensszenarien fort. Und damit wären wir auch schon beim nächsten Punkt angelangt, my dear: Für den Fall, dass jemand – meistens handelt es sich um eine Frau – am Straßenrand der Autobahn händeringend und mit schmerzverzerrtem Gesicht nach Hilfe verlangt und dem Fahrer bedeutet, anzuhalten, sollte man mitnichten – are you listening, my dear? – wohlgemerkt mitnichten anhalten, sondern tunlichst weiterfahren. Es handele sich meist um eine Falle, denn kaum steige man aus, um der Frau zu Hilfe zu eilen, würde die Bande aus ihrem Versteck hinter den Büschen geschossen kommen, zusammen mit der Schauspielerin den Wagen stürmen und sich davon machen.
Und dann stehe man da ohne Wagen, ohne Handtasche, ohne Geld und ohne Handy am Straßenrand und es werde trotz eifrigen Winkens keine mitfühlende Seele anhalten, weil sie alle festen Glaubens seien, dass es schlichtweg ein billiger Trick sei, auf den nur Europäer reinfallen würden. Und um das Unglück perfekt zu machen, gibt er mir noch einen Tipp: Übrigens gibt es bestimmte Stellen, wo carjackers besonders aktiv sind. Auf dem Weg zur Talsperre Hartbeespoort, die sich eine gute Stunde außerhalb von Joburg befindet und ein beliebter Naherholungsort ist, gibt es reihenweise Schilder mit der warnenden Aufschrift Car Hijacking Hotspot.
Während ich mich vor meinem geistigen Auge sehe, wie ich müde versuche, zu Fuß und ohne Navi unser Haus im unübersichtlichen Johannesburg ausfindig zu machen, weist mich Wian auf noch eine Kleinigkeit hin: Kennen Sie Ihr Nummernschild? Mein momentan nicht gerade auf eine Intelligenzbestie schließender Blick beantwortet ihm die Frage. Sie haben sich also Ihr Autokennzeichen nicht gemerkt? Ich schüttele kleinlaut den Kopf. Und wenn Sie die Polizei von Ihrem gestohlenen Wagen benachrichtigen, wie soll sie dann ohne Nummernschild vorgehen? Wonach soll die Polizei suchen? Wie nicht anders zu erwarten, habe ich einen genialen Geistesblitz und schlage dem neunmalklugen W-Menschen vor: Ich hab´s! Ich mache einfach ein Foto von dem Nummernschild! Sein Gesichtsausdruck spricht Bände. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass jemand, der Ihnen das Auto stiehlt, Schwierigkeiten damit haben wird, auch noch das Handy mitgehen zu lassen, oder?
Ohne sich im Mindesten über meinen IQ Gedanken zu machen, geht er den nächsten Punkt seines vollen Programms durch: Nachts gelten übrigens ganz besondere Regeln: Faustregel Nummer eins ist: Das Auto darf nie zum Stillstand kommen. Darum dürfen Sie auf keinen Fall bei Rot anhalten. Jetzt schlägt´s aber dreizehn! What are you talking about? rutscht es mir weniger höflich heraus. Vorbei ist es mit der guten Kinderstube. Da hat man einen Haufen Geld ausgegeben, um den Führerschein zu machen, hat die Verkehrsregeln gepaukt, Prüfungen abgelegt, stressige Fahrprüfungen bestanden, damit so ein W-v-W daherkommt und alles über den Haufen fegt? Er lässt keine Widerrede gelten und geht sogar ins Detail: Sie nähern sich langsam einer roten Ampel, schauen ohne anzuhalten in alle Richtungen und fahren dann mit Bedacht bei Rot über die Ampel. Hören Sie! Mit Bedacht! Warum zum Teufel sollte ich das tun? Eine logische Frage immerhin. Oder nicht?
Die plausible Antwort nimmt mir den Wind aus den streitsüchtigen Segeln: Es könnte sich in der Dunkelheit jemand versteckt halten, der nach eben beschriebener Methode alle Hebel in Bewegung setzt, damit das Auto den Besitzer wechselt. Genauer gesagt handelt es sich um ganze Banden, die sich darauf spezialisiert haben. Wenn Sie also in einigermaßen unversehrtem Zustand nach Hause kommen und nicht eventuell Opfer eines Carjacking werden wollen, sollten Sie sich daran halten, was ich Ihnen sage. Und da er ganz eindeutig den Eindruck hat, dass ich zu ignorant bin, um ihn zu verstehen, gibt er mir noch einen Tipp: Vielleicht googeln Sie sicherheitshalber den Begriff im Internet. Er nimmt mir die Arbeit ab, gibt auf seinem Smartphone den entsprechenden Begriff ein und siehe da: Bei Wikipedia wird dieser Vorgang mit „räuberischer Angriff auf Kraftfahrer“ oder „Entwendung eines PKW unter Androhung von Gewalt im Beisein des Besitzers“ übersetzt. Unglaublich, was es bei Wikipedia alles gibt! Er hält mir das Telefon vor die Nase, damit ich durch ein passendes Video, das er flugs herausgesucht hat, und frei nach dem Motto „Wer nicht hören will, muss fühlen!“ eine Vorstellung davon bekomme, was mir in etwa blüht, wenn ich nicht gehorche. Dieser W-Mensch ist wirklich eine Zumutung!
Während ich im Netz das schockierende Video von carjacking begutachte, setzt Wian seinen Versuch fort, mir die Einweisung in die psychiatrische Klinik zu erleichtern: Das Gleiche gilt übrigens sowohl für die Polizeikontrolle als auch für die Polizeipatrouille. Aus erklärlichen Gründen kann ich den logischen Gedankengang nicht mehr weiterverfolgen und wage sichtlich irritiert zu fragen: Was, bitte schön, gilt für sie? Und nun darf ich etwas vernehmen, was sich als das Skurrilste überhaupt erweisen soll: Falls man von der Polizei verfolgt wird, soll man nicht ihren Anweisungen folgen, also nicht anhalten. Er erklärt mir die Gründe dafür, sodass ich fassungslos realisiere, dass hierzulande die Polizei eben nicht immer dein Freund und Helfer ist – wie anderswo –, sondern verkleidete Verbrecher mit entwendetem Blaulicht, deren hauptberufliche Tätigkeit hijacking bzw. carjacking ist.
Um also weder das teure Fahrzeug oder das nicht gerade billige Handy noch das einzige einem zur Verfügung stehende Leben – which is priceless – zu verlieren, fährt man brav weiter bis zur nächsten Tankstelle, wo es schön lichtdurchflutet ist und vor allem, wo eine Menge Leute anzutreffen sind. Licht plus Menschen, zusammen vermittelt das nicht nur ein Gefühl der Sicherheit, sondern schreckt auch den carjacker ab. In diesem Hafen der Sicherheit wartet man dann geduldig auf die Polizei, die einem – wenn es nun wirklich dieselbige und nicht deren Imitation ist – mittlerweile hinterhergefahren ist und vollstes Verständnis dafür zeigen wird, dass man vorher nicht angehalten hat.
Wenn einem allerdings niemand hinterherfahren sollte, hatte man noch einmal Glück, denn es ist der Beweis dafür, dass es nicht die authentischen Polizisten, sondern die mit dem gestohlenen Blaulicht waren und auf ihrem Wagen die Aufschrift POLICE gut leserlich platziert hatten! Ich bin sprachlos! Einfach nur sprachlos! Wie meinte meine bessere Hälfte gestern zu Recht? Wir sind naive Europäer! Nie im Leben käme ich auf die abwegige Idee, dass ein Polizist in einem Streifenwagen kein Polizist in einem Streifenwagen ist.
W-v-W scheint überhaupt nicht zu bemerken, wie nachhaltig mich seine Ausführungen beeindrucken und drängt zum nächsten Punkt auf seiner Liste. Er will mit mir die Alarmanlage samt Überwachungssystem durchgehen und mir die Anwendung der verschiedenen Knöpfe erklären. Nichts hasse ich mehr als Schalter, Knöpfe und Gebrauchsanweisungen. Allein die Vorstellung davon macht mich krank, sodass ich instinktiv mit den Augen rolle und ein missmutiges Gesicht mache. Dieses nimmt Wian sofort zum Anlass, um mir die nächste Standpauke zu halten: Stellen Sie sich vor, Sie kommen heim und finden ein verwüstetes Haus vor. Die Tür ist aufgebrochen, Schubladen herausgerissen, der Inhalt liegt verstreut auf dem Boden. Ihr verstörter Blick erfasst die gähnende Leere im Schmuckkästchen. Der Laptop und die Kamera sind nicht zu finden. Das Bargeld ist weg.
Mein ängstlicher Blick verrät ihm, dass er gerade einen Volltreffer gelandet hat. Also setzt er noch einen drauf und steigert die sich anbahnende Gefahr: Sie haben noch einmal Glück im Unglück gehabt. Denn Sie waren nicht zu Hause. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Einbrecher Sie zu Hause vorgefunden hätten. Wie Recht er doch hat! Nicht auszudenken, wahrlich! Dieses Szenarium hat mich mehr als überzeugt, also begeben wir uns zum verhassten Schalter mit den unzähligen Knöpfen.
Da gibt es zu meinem Unglück mehrere Optionen und ganz raffinierte Kombinationen, die ich tätigen muss. Will ich das Haus verlassen? Soll der Alarm nachts funktionieren? Soll er nur im Erdgeschoss aktiviert werden? Nur im Obergeschosse? Oben und unten? Nur drinnen? Nur draußen? Drinnen und draußen? Die Überwachungskameras draußen zu aktivieren hat den großen Vorteil, dass man des Einbrechers rechtzeitig gewahr wird, somit den panic button betätigen kann, um auf das schnelle Eintreffen der Polizei zu hoffen, noch bevor es zu filmreifen Szenen kommt.
Herr W-v-W gibt mir mit erhobenen Augenbrauen den Rat, tunlichst mit verschlossener Schlafzimmertür zu schlafen. Ganz nebenbei erwähnt er, dass man hierzulande die Schlafzimmertüren normalerweise mit einem Gitter versieht, sodass die Einbrecher sich genötigt sehen, sich auf den Rest des Haushaltes zu beschränken, was potentielles Diebesgut angeht. Wenn man nun die Überwachungskameras draußen aktiviert, hat das gleichzeitig den Nachteil, dass das Teufelsgerät auch dann Alarm schlägt, wenn den Sensoren ein paar Insekten oder eine Fledermaus zu nahe kommen. Letzteres kann sich um 03.00 Uhr früh recht unangenehm auf die Befindlichkeit der betroffenen Person auswirken, vor allem wenn diese sich vor Schreck auf dem Bettvorleger wiederfindet und sich unpässlich fühlt.
Nachdem die Einweisung in die Funktionen der Alarmanlage eindeutig mit Erfolg gekrönt ist, möchte mir Wian als Nächstes etwas in der Praxis zeigen. Auch das noch! Ob das Auto in der Garage stehe. Ich nicke. Dann lassen Sie uns in die Garage gehen. Bitte setzen Sie sich ans Steuer und fahren Sie den Wagen hinaus auf den Hof. Ich tue, wie mir geheißen, doch kaum starte ich den Motor, fängt dieser Mensch an, mit den Fäusten wie verrückt gegen die Fensterscheibe zu schlagen und aus vollem Halse zu grölen. Zu Tode erschrocken schreie ich ebenfalls, ohne zu wissen warum. Mein Puls rast. Völlig entspannt schaut er mich durch das Fenster an und bedeutet mir, die Tür zu öffnen, doch ich bin nicht imstande, seiner Aufforderung zu folgen. Gelähmt vom Schock ist es mir nicht möglich, mich zu bewegen, geschweige denn, einen klaren Gedanken zu fassen. Als er mir später erklärt, dass er das habe tun müssen, um mich in eine authentische Situation, in einen Notfall hineinzuversetzen, damit ich realisieren solle, was mich eventuell auf den Johannesburger Straßen erwarte, starre ich ihn nur entgeistert an. Noch nie in meinem Leben ist mir ein Mensch binnen so kurzer Zeit so unsympathisch geworden. Ein Rekord, wahrlich!
Mir schwirrt der Kopf und ich bin heilfroh, als dieser Mr. van der Walt sich endlich – wenn auch unnötig überschwänglich – bei mir verabschiedet, um wieder in die böse Welt hinauszugelangen. Ich öffne ihm mit dem Transponder das Tor, schließe es wieder und lasse es dabei vorschriftsmäßig nicht aus den Augen. Was für eine furchtbare Person, denke ich. Wie nicht anders zu erwarten, mache ich in dieser Nacht kein Auge zu. Schlaflos frage ich mich, warum um Himmels Willen wir uns für Johannesburg und nicht für das supersichere Dubai oder für das crime-freie Singapur entschieden haben.
Später erfahre ich, dass es Wians Masche ist, sich mit Neuankömmlingen ein Späßchen zu erlauben und sie auf diese Art und Weise zu Tode zu erschrecken. Dabei wendet er immer die gleiche Vorgehensweise an, er erscheint schwitzend und sichtlich aufgeregt beim Expat und erzählt ohne Umschweife, dass ihn zwei junge Schwarzafrikaner am Einfahrtstor seines Hauses überrascht hätten und er beinahe Opfer eines Überfalles geworden wäre. Als Letztes kommt stets die Sache mit der Praxis. Der Expat setzt sich nichts ahnend ins Auto froh darüber, diese Tortur bald hinter sich zu bringen und kommt wort-wörtlich mit dem Schrecken davon. Ein Wunder, dass noch keiner einen Herzinfarkt erlitten hat. Vermutlich testet Wian die Belastbarkeit der Europäer und wertet die Ergebnisse dann in seinem Gruselkabinett aus.
Eins wird mir im Lauf der Zeit klar: Diese ganzen Sicherheitsvorkehrungen halten einen ziemlich auf Trab. Man ist permanent damit beschäftigt, das Haus abzuriegeln, Alarmanlage samt Überwachungssystem zu aktivieren, Autotüren abzusperren und generell auf der Hut zu sein. Be aware, lautet das Motto hierzulande. Was mir ebenfalls langsam einleuchtet, nachdem ich erkannt habe, dass auch in Johannesburg nur mit Wasser gekocht wird, ist der Umstand, dass die Security-Unternehmen aus guten Gründen Angst schüren. Hinter der Angst und dem Schrecken verbirgt sich nämlich ein riesiger Security-Apparat. Dieser verbucht einerseits enorme Gewinne und kurbelt die Wirtschaft an, andererseits trägt er dazu bei, die Arbeitslosenzahlen zu verschönern.
Als ich dann allerdings mehrere Autofahrer sehe, die nicht nur mit offenen Fenstern fahren und dabei provokativ mit ihrem Smartphone hantieren, sondern auch noch im Cabrio die Haare wehen lassen und sich an der Ampel nicht weiter um die fliegenden Händler, aber erst recht nicht um die Bettler kümmern, besinne ich mich eines Besseren und seitdem bin ich sogar froh, nicht in der sengenden Hitze Dubais gelandet zu sein.
Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Da kommt man aus dem Staunen gar nicht raus! Aber die Tipps von diesem W-V-W-Mann sind auch hier in Griechenland nützlich. Inzwischen, leider! Insofern fand ich diesen Bericht von dir enorm bildend. Danke.
Ist ja verrückt, so viele Sicherheitsmaßnahmen! Der Herr WvW hätte wohl etwas früher kommen müssen. Wenn du das alles gewusst hättest, hättest du den jungen Schwarzen von der Tankstelle immer noch im Auto mitgenommen um das vergessene Portemonnaie zu holen????
Nicht, dass man sich nicht hüten sollte, aber die Ratschläge des Typen sind ja der Hammer: Mit Bedacht bei Rot über die Ampel fahren?
In dieser Hinsicht kann man sich doch den ganzen Aufwand der stressigen Fahrprüfung gleich ersparen…
Spannend mit vielen Einzelheiten und trotzdem keine Krimigeschichte. Afrikanischer Alltag einer Großstadt wie ihn eine Europäerin sieht, erlebt und köstlich schildert.
Was für eine lebhafte Erzählung! Wir hören immer, das Leben in Johannesburg sei gefährlich, aber es gibt immer etwas mehr dran, wenn alle so übertreiben. Der Bericht war wirklich aufschlussreich. Bin gespannt, mehr darüber zu erfahren!
Vielen Dank für den netten Kommentar! In Südafrika gibt es nicht nur eine einzige „Wahrheit“. Genau das versuche ich in meinen Geschichten darzustellen, dass nämlich gerade die vielen Perspektiven das Leben dort spannend machen.
Immer spannende Geschichten, ein ganz anderer Lifestyle und die Bilder aus dem Alltag ergänzen die Geschichte sehr gut. Insgesamt echt coole und unterschiedliche Erlebnisse, weiter so!!
Lustig, spannend und lebendig! Warte auf die nächste Episode!!
Sehr interessant, was für Maßnahmen man in Südafrika ergreifen muss, um einen möglichen Diebstahl zu verhindern.
Eine bildhafte Sprache, die einen mitreißt und in eine andere Welt eintauchen lässt. Wird ja immer spannender!
Echt toll geschrieben! Habe viel gelacht! Freue mich schon auf die Fortsetzung!
wieder spannende erlebnisse!
hijacking hot spot: was man nicht so alles mitmacht um zu überleben!
ich werde dieses schild mal meinen freunden in südamerika zeigen – sollten sie auch dort mit nutzen anbringen …
Dieser WVW-Typ hat es doch geschafft mich in Panik zu versetzen!!! Sehr lebhaft erzählt!!! Bravo!!!
Ich habe mich selten so gut amüsiert beim lesen ? Sehr schön geschrieben und von beiden Seiten beleuchtet. Den guten Mann mit den vielen W’s konnte ich förmlich vor mir sehen… Ich denke Bauchgefühl, gesunder Menschenverstand und sowas wie der goldene Mittelweg, dann kommt man klar. Vielen Dank für diesen herrlichen Bericht 🙂
Ganz liebe Grüße aus Hamburg
Das ist so mit dem Rotlicht. Das habe ich auch gelernt in Durban. Augen zu und durch! Irgendwann wird man gelassener. Erst wenn man wieder zurück nach Europa kommt, wird diese Gelassenheit der SA Fahrweise zu einem Problem. Wieder einmal mehr sehr unterhaltsam und spannend geschrieben!