24. Im südafrikanischen Stadion - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

 

Jedes Volk hat seinen Nationalsport. Nur Südafrika hat derer zwei. Die schwarze Bevölkerung begeistert sich vorwiegend für Fußball – hierzulande Soccer genannt – die weiße dagegen spielt meist Rugby, as if there is no tomorrow. Gemeint ist dieses harmlose Spielchen mit einem nicht enden wollenden Gerangel, bei dem die Spieler der zwei Mannschaften in unbeherrschtem Zorn aufeinander losgehen, weil sie beim besten Willen nicht den Dritten Weltkrieg zum Austoben abwarten können. Ganz eindeutig stehe ich mit meiner Meinung völlig allein da, denn ein Sprichwort beschreibt diese Sportart ganz anders als ich sie realisiere: “Football is a gentleman’s game played by ruffians and rugby is a ruffian’s game played by gentlemen.“ Mit den Augen eines Laien betrachtet lässt sich allerdings auch unter größten Anstrengungen kein Gentleman finden, Raufbolde hingegen jede Menge. Allerdings möchte ich auch nicht die Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass diese Sportart die Gentlemen in erstaunlicher Schnelle in Raufbolde verwandelt.

So oder so, Tatsache ist, dass Rugby als Sportart des „Establishment“ gilt, das von Mitgliedern der Ober- und Mittelschicht gespielt wird und vor allem in der südlichen Hemisphäre äußerst populär ist. Eigenartigerweise wurden von dieser friedlichen Freizeitgestaltung auch Länder angesteckt, von denen nur wenige Geographiekundige mit Bestimmtheit sagen könnten, auf welcher Erdkugelhälfte sie sich befinden. Gemeint sind einige ozeanische Länder wie Fidschi, Samoa und Tonga, die Rugby zu ihrem Nationalsport erkoren haben. Führende Nationen sind allerdings nicht diese Liliputstaaten, sondern Südafrika, Australien, Argentinien, England, Schottland, Frankreich und Neuseeland, das in schöner Regelmäßigkeit den Rugby World Cup gewinnt. Kein Wunder, denn allein schon bei dem Maori Dance, den die Neuseeländer sozusagen zur Einstimmung hinlegen, kann einem Angst und Bange werden. Ist es tatsächlich wilder Hass, was da in ihren Augen glimmt? Schwer vorstellbar, aber wer weiß! Wenn ich jedenfalls Kapitän der gegnerischen Mannschaft wäre, würde ich ihnen nach dieser hervorragenden Leistung den Pokal für das beste Horrorkabinett überlassen. Und zwar ohne vorher gespielt zu haben.

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In Südafrika war Rugby früher zweifellos der Sport der Weißen, denn das Apartheid-System hat es auch diesbezüglich geschafft, einen tiefen Graben durch die Gesellschaft zu ziehen. Während damals der weiße Elite-Sport Rugby so etwas wie die Religion der regierenden weißen Klasse war, gibt es heute einige schwarze Spieler in der Rugby-Mannschaft, während beim Soccer – gemeint ist der europäische Fußball – auch manch ein Weißer mitspielt. Bei dieser Veränderung ist die Tendenz steigend, was eindeutig Nelson Mandela zu verdanken ist. Dieser versuchte nämlich, der schwarzen Bevölkerung den weißen Sport Rugby näher zu bringen. Um dieses Unterfangen mit einer annähernd zutreffenden Wendung zu formulieren, könnte man sagen, dass es zwar langfristig, aber eben nur langsam Früchte trägt. 1995 unternahm Mandela beim Endspiel des Rugby World Cup gegen Neuseeland wirklich alles, damit die Rugby-Union-Nationalmannschaft mit dem Spitznamen Springbok, deren grün-gelbes Trikot allein schon Rassenprivileg und Rassentrennung ausstrahlte, in erstaunlich kurzer Zeit auch von der schwarzen Bevölkerung akzeptiert wurde. Ein Beispiel dafür, wie „weiß“ diese Sportart allerdings auch heute noch ist, liefern eventuell die Namen zweier Spieler: Bismarck du Plessis und Schalk Burger. Im Hollywood-Streifen Invictus, kann man übrigens Morgan Freeman alias Nelson Mandela genießen, dessen „unbezwungenes“ Anliegen es ist, die tiefe Kluft zwischen der weißen Minderheit und der schwarzen Mehrheit zu überwinden, sodass aus Feinden Freunde werden.

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Eines Tages soll ich Zeuge davon werden, dass die schwarze Bevölkerung tatsächlich keine besondere Vorliebe für Rugby hegt. Während ich bei Tashas nichtsahnend eine Tasse Kaffee zu mir nehme, fällt mein Blick auf die tuschelnden und kichernden Kellner und deren grobe tänzerische Bewegungen. Ihr Gehabe ist insofern schwer einzuordnen, da Schwarze generell fantastisch tanzen und ihren Körper derart rhythmisch hin- und herwiegen können, dass es einem vor lauter Bewunderung die Sprache verschlägt. Hier im Café ist dem jedoch nicht so. Als ich sie nach dem konkreten Sinn ihrer ungehobelten Gebärden frage, zeigen sie mit einer Kopfbewegung in Richtung eines Tisches, wo eine Gruppe von breitschultrigen Rugby-Spielern sitzt, deren Köpfe anscheinend übergangslos auf die massiven Körper geschraubt sind. Die neuseeländische Nationalmannschaft sitzt doch tatsächlich höchstpersönlich next to me und ich schlafe den Schlaf des Gerechten. Die Kellner ziehen eine Show ohnegleichen ab und machen sich über die Spieler und ihre Sportart lustig. Sie schauen aggressiv, strecken die Zunge heraus, rollen mit den Augen und imitieren dabei, so gut sie können, den Maori Haka Dance.

Das Schicksal will es, dass ich sogar in den Genuss eines Rugby-Union-Länderspieles Südafrika gegen Neuseeland kommen soll und mir aus der Nähe ein Bild davon machen darf, womit sich die Mehrheit der weißen Gemeinde hierzulande in ihrer Freizeit beschäftigt. In Südafrika ist es, wie gesagt, Rugby und das Johannesburger Ellis-Park-Stadion dessen heiliger Austragungsort. Nie im Leben hätte ich mir ausmalen können, dass ich am anderen Ende der Welt dem Länderspiel einer Sportart beiwohnen würde, von der ich, gelinde ausgedrückt, so gut wie keine Ahnung habe. Die einzige Information, die ich weitergeben könnte, wäre, dass der Ball – wenn man dieses oval-förmige Ei denn so nennen mag – kein Ball im herkömmlichen Sinne ist.

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Im Stadion wird mir schon nach wenigen Minuten klar, dass diese Sportart über die undurchsichtigsten aller Spielregeln verfügt, die gegen jede mir bekannte Logik verstoßen. Trotz wiederholter Versuche engagierter Südafrikaner, mir die Regeln näher zu bringen, finde ich mich schnell damit ab, dass meine Aufnahmefähigkeit in diesem Bereich unter dem Durchschnitt liegt. Und zwar erheblich. Mein Intelligenzquotient scheint aufgrund der neuerdings entdeckten Kalkablagerung in meiner Schulter sogar dermaßen beeinträchtigt zu sein, dass ich während des drei-minütigen Aufenthaltes meines Ehemannes auf dem stillen Örtchen noch nicht einmal realisiere, dass die gegnerische Mannschaft zehn Punkte aufgeholt hat. Die Tatsache, dass ich keinerlei Jubelschreie vernehme, trägt entscheidend dazu bei, dass ich beim Spielen mit meinem Smartphone nicht gestört werde und somit kein triftiger Grund vorliegt, um aufzuschauen. Auf seine Unheil verkündende Frage, was denn in den drei Minuten so Schlimmes hat passieren können, dass „wir“ plötzlich verlieren, kann ich ihm beim besten Willen keine Auskunft geben, woraufhin er in einer Aufwallung heftigen Zornes ein ausführliches Selbstgespräch führt. Auch diese männliche Reaktion ist mir unverständlich. Auf Versöhnungskurs aus versuche ich, ihm zu erklären, welche Spielregeln ich mir einprägen konnte, aber er winkt nur ab, da er, wie am tadelnden Unterton in der Stimme wohl nur schwer zu überhören ist, mit sichtlich Wichtigerem beschäftigt ist. Also tue ich, wie mir geheißen und schweige vorerst.

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Aber vielleicht haben ja die verehrten Leser Interesse daran, ihr Allgemeinwissen bezüglich des Sports Rugby zu erweitern. In diesem Fall sei Folgendes erwähnt: Das Treten des „Balles“ in alle Richtungen ist erlaubt. Aber sobald man das eiförmige Gebilde in der Hand hält, damit nach vorne läuft und es jemandem zuspielen will, muss man es nach hinten werfen. Und wenn man aus Versehen in die logische Richtung wirft, nämlich in die, die der Mannschaft keine Punkte bringt, wird man mit so einer Art Elf-Meter, einem „Gedränge“ bestraft, was bedeutet, dass um den Ball „geschoben“ wird. Der Begriff erinnert zwar an Schiebung, ist aber ganz offensichtlich brutaler als dieselbe. Dieses Kräftemessen kann wahrhaftig furcht erregende Dimensionen annehmen, stehen sich doch erwachsene Männer in gebückter Haltung mit geradem Rücken ineinander verschachtelt gegenüber. In dieser Stellung drücken sie gegeneinander, was das Zeug hält bzw. was die Schulter aushält. Und zwar unablässig. Das Ganze erinnert an eine Riesenschildkröte, die nicht so recht weiß, ob sie sich nach links oder rechts begeben oder sich doch lieber nicht von der Stelle bewegen soll und so lange schaukelt sie darum unentschlossen hin und her. Ziel dieses Kilogramm schweren, statischen Stemmens ist es vermutlich, zu beweisen, welche Misshandlungen ein Mensch aushalten kann, wenn er nur will. Und um Hals, Schultern und Oberarme vor eine Zerreißprobe zu stellen. Ganz nebenbei wird dabei auch der Gegner weggeschoben.

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Irgendwann fällt dieses Gebilde – man sollte fast meinen, im Zustand körperlicher Erschöpfung – in sich zusammen, ein Spieler erwischt aus unerfindlichen Gründen die ovale Trophäe und rennt unter tosendem Beifall der Zuschauer blind drauflos. Das wirklich aller, allerletzte, was mir als einer unbedarften Zuschauerin dabei vermittelt wird, ist die Sicherheit, dass er in dieser Situation den nötigen Überblick behält. Nichtsdestotrotz schafft er es, auf dem Rasen eine undefinierbare Anzahl von Spielern zurückzulassen, die in einem ziemlich lädierten Zustand, jedoch mit bemerkenswertem Enthusiasmus versuchen, sich zu sammeln und die Orientierung wieder zu finden, während aaaaahs und ooooohs einheitlich durchs Stadion hallen.

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Ähnliches habe ich früher schon öfter gesehen, wenn ich meine Töchter von der Grundschule abholte und nie genau wusste, wie ich mich durch ein Knäuel von Jungen durchkämpfen sollte, das mir wort-wörtlich zu Füßen lag. Denselbigen in bleichem Entsetzen beobachtend fragte ich einmal recht irritiert, ob es sich dabei um eine neue Methode handle, den Fußboden zu wienern oder gar zu bohnern. Meine Töchter schauten mich nur verständnislos an und erwiderten, als wäre es das Natürlichste von der Welt, dass die Jungen in der Pause und nach Schulschluss nicht länger an sich halten könnten und immer so übereinander herfallen würden und dass sogar derjenige, der zuunterst liege und keine Luft mehr bekomme, am meisten Spaß daran habe. Bei Schulkindern kann man so ein ungestümes Verhalten noch entschuldigen, vor allem, weil in pädagogischen und psychotherapeutischen Kreisen unablässig davon die Rede ist, dass aufgestaute Energie und kumulierte Aggressionen abgebaut werden und sich Kinder zu diesem Zweck draußen austoben müssen … Aber der Umstand, dass sich das manche auch zwanzig Jahre später nicht abgewöhnen können, ist schon signifikant und lässt tief blicken.

Doch zurück zum Ellis-Park-Stadion. Da diese Schränke von Männern nur so vor Testosteron strotzen, verzichten sie im Unterschied zu ihren Kollegen des amerikanischen Football auf den Großteil der Schutzkleidung. Ihre Kollegen auf der anderen Seite des großen Teichs tragen Helm oder Gesichtsmaske und aufgesetzte Schulterpads, was ihnen zwar eine große Ähnlichkeit mit Außerirdischen verleiht, jedoch aufgrund des hohen Unfallrisikos zweckmäßig erscheint. Das Fehlen dieser schützenden, aber gleichzeitig entstellenden Utensilien macht sich in den südafrikanischen Gesichtszügen wiederum weniger nachteilig geltend und imponiert dem schwachen Geschlecht darum umso mehr. Und so ganz ohne Vorkehrungen, vom Zahnschutz einmal abgesehen, schliddern, rutschen, krauchen, kraulen, robben, stolpern und rennen die Rugby-Spieler über den Rasen, ohne eine kleine Erholungspause einzulegen, bis sie von einem Gegner, oder auch mehreren, zur Strecke gebracht werden und der Sanitäter mit seiner Tasche herbeieilen muss, die restlichen Spieler aber weiter ihren niederen Instinkten folgen, als hätte gerade keiner der Kollegen beinahe das Zeitliche gesegnet.

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Nachdem ich also weder vom Spiel und dessen Regeln noch von der Begeisterung der Zuschauer viel begreifen konnte, glaube ich doch erkennen zu können, dass besagtes Spiel zu Gunsten Neuseelands beendet ist. Die südafrikanischen Zuschauer erholen sich erstaunlich schnell von der Niederlage und bewegen sich ohne jegliche Hast hinaus, wo die Fortsetzung des Spektakels namens Braai wartet. Wer nämlich glaubt, dass die Fans nunmehr geschlagen nach Hause trotten werden, um den Sieg der gegnerischen Mannschaft zu verinnerlichen, der irrt gewaltig. Wenn man sich schon zu so einem wichtigen Anlass im Stadion trifft, dann kann man auch gleich grillen. Jawohl, grillen! Denn ein Stadionbesuch ist nicht einfach nur der Besuch eines Stadions, sondern ein besonderes Ereignis, ein gesellschaftliches Vergnügen, ein Event gekoppelt mit einer hervorragenden Location, die sich für so ein Happening wie das Grillen geradezu anbietet. Unabhängig davon, was man IM Stadion macht und sieht, UM das Stadion herum wird gegrillt. Und zwar vorher und nachher! Und zwar ausnahmslos! Dies gilt auch für Konzerte!

In Johannesburg finden große Konzerte und Rugby-Spiele meist an Wochenenden statt, was dem Ereignis eine südafrikanische Note verleiht und das Ganze zu einer Fiesta verwandelt. Schon zur Frühstückszeit lässt man sich auf den Grünanlagen um das Stadion herum nieder und aus dem Wagen purzelt nach und nach die gesamte Camping-Kultur heraus: Stühle und Tische werden ausgeklappt, die mit südafrikanischen Weinflaschen gefüllte tragbare Kühltasche oder Kühlbox wird aufgestellt, die Musik laut aufgedreht, einige zupfen sogar an ihren Gitarren und so trinkt und musiziert man sich in Fahrt, bis man beim zweitwichtigsten Höhepunkt des Tages angelangt, beim Grillen nämlich, ohne dass ich beschwören könnte, dass das Konzert bzw. das Rugby-Spiel der wichtigste ist. Braai ist hierzulande ein gesellschaftliches, was sage ich, ein sozialpolitisches Ereignis und genießt einen hohen Stellenwert, weil es sich nicht einfach nur um schnödes Grillen handelt, sondern über das reine Grillvergnügen hinausgeht. Es ist ein Lebensgefühl, das mit Freunden und der Familie unter freiem Himmel veranstaltet wird und da ist jeder Anlass willkommen, sogar ein Konzert im FNB-Stadion oder ein Rugby-Spiel im Ellis-Park-Stadion.

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Braai ist in Südafrika absolute Männersache und der Herr über das Feuer der sogenannte Braaimaster. Von einem klapprigen Grillgestell á la deutscher Schrebergarten kann nicht die Rede sein, ganz im Gegenteil. Auf dem robusten und professionellen Grillrost landet Fleisch, das noch nach richtigem Fleisch schmeckt und man lässt sich Sorten wie Antilope, Springbock oder Strauß oder die traditionelle Boerewors im Schneckenformat schmecken. Während des Konzerts oder des Spiels wird übrigens ebenfalls genascht, nämlich südafrikanisches Biltong, worunter man luftgetrocknetes Rind- oder Wildfleisch versteht. Nach dem Konzert oder dem Spiel lässt man sich Zeit und ergreift nicht panikartig die Flucht, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Am Auto angekommen isst und trinkt man in aller Ruhe zu Ende, wozu man vorher nicht gekommen ist. Allgemein ließe sich folgende Regel aufstellen: Vor dem jeweiligen Event wird mit Begeisterung gegrillt, um die Erwartung zu verkürzen und die Spannung zu steigern. Nachher um nicht direkt nach Hause fahren zu müssen.

Wie schon erwähnt, kann sich vorwiegend der schwarze Anteil Südafrikas für Fußball ereifern. Darum ist die weiße Bevölkerung Johannesburgs selten im FNB-Stadion anzutreffen. Auch der Umstand, dass das Stadion eigens für die Fußballweltmeisterschaft 2010 umgebaut wurde, scheint die weißen Südafrikaner nicht besonders zu berühren, geschweige denn zu einem Besuch zu motivieren. Eine ausschlaggebende Rolle dabei spielt die Tatsache, dass sich das FNB-Stadion in Soweto befindet, dem vermutlich bekanntesten aller schwarzen Viertel, denn schließlich haben sich während der Apartheid-Ära Szenen des struggle dort abgespielt, die langfristig zur Wende geführt haben. Und genau in diesem Stadtteil befindet sich ebenfalls Mandelas Haus, das zu einem Museum umfunktioniert wurde. Nicht umsonst ist auch das Apartheid Museum in diesem geschichtsträchtigen township errichtet worden. Aus nachvollziehbaren Gründen sind die schwarzen Südafrikaner also besonders stolz auf Soweto, das nicht zu Unrecht in den touristischen Mittelpunkt der Millionenstadt rückt. Nicht so die Weißen. Abgesehen davon, dass sie höchst selten begeisterte Fußball-Fans sind, sehen sie keine Notwendigkeit darin, sich Soweto einschließlich Apartheid Museums und Mandela-Hauses zu nähern, um den Niedergang der weißen Ära dokumentiert zu bekommen. Nicht einer unserer weißen Bekannten in Johannesburg würde je auf den Gedanken kommen, freiwillig dorthin zu fahren. Aber vielleicht ist es auch einfach nur Zufall. Jedenfalls betrachten uns ebendiese Bekannten als eigentümliche, wenn nicht gar verdächtige Wesen, die anscheinend nichts Besseres zu tun haben, als jeden Besucher aus Europa dorthin zu verfrachten.

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Aus den detaillierten Ausführungen dürfte ersichtlich werden, dass ein weißer Südafrikaner nur ein Argument für den Besuch des Stadtteiles Soweto geltend macht: ein Konzert im FNB-Stadion mit vorangehendem und anschließendem Braai. Wenn es dann zu einem dieser seltenen Ereignisse kommt, brechen die Weißen im Morgengrauen auf, um den ganzen Tag im und am Stadion zu verbringen. Zusammen mit Tausenden von Johannesburgern nehmen auch wir die Gelegenheit wahr, in den Genuss von Bruce Springsteen und seiner Musik zu kommen, zumal es sein erstes Konzert in Südafrika ist. Was für eine Atmosphäre! Nicht umsonst wird er „The Boss“ genannt! Trotz seines fortgeschrittenen Alters – immerhin Jahrgang 1949 – hüpft und läuft und rockt er derart auf der Bühne – und das trotz Regens –, dass sich so mancher jüngerer Star eine Scheibe abschneiden könnte, wie beispielsweise Rihanna, die bei ihrem Konzert in Joburg keinerlei Anstalten macht, den gleichen Aufwand an Energie oder gar an Zeit aufzubringen. Bruce geht auf das Publikum ein, wie selten ein Star es tut und spielt schon um 17.30 Uhr im Alleingang ein paar Lieder unplugged und zwar für diejenigen, die sich die Mühe gemacht haben, Stunden vorher ins Stadion zu kommen. Zum Auftakt des eigentlichen Konzerts wählt er ein Lied, das passender nicht sein könnte und den Titel „Free Nelson Mandela“ trägt.

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Ein besonders eigenartiges Gefühl beschleicht mich, wenn ich die weißen Südafrikaner beim Lied Born in the USA mitgrölen höre und mithüpfen sehe. Aber ist es in Europa nicht ähnlich? Auch dort lassen sich die Fans von diesem Song mitreißen, ohne in den USA geboren worden zu sein oder gar in Vietnam gekämpft zu haben. Vermutlich haben die weißen Südafrikaner sogar mehr Gründe als die Europäer, sich den Amerikanern verbunden zu fühlen. Vielleicht sogar mehr als ihnen lieb ist. Denn schließlich weisen sie nicht wenige Gemeinsamkeiten auf: Sie sprechen die gleiche Sprache wie die Auswanderer auf der anderen Seite des großen Teichs, wenn auch mit einem viel netteren Akzent, bei dem die Wörter nicht entstellend zerkaut werden. Ihre Vorfahren stammen ebenfalls allesamt aus Europa und genetisch handelt es sich eindeutig in beiden Fällen um ein Kraut-und-Rüben-Volk. Könnte das ein möglicher Grund dafür sein, dass alle um uns herum bei dem Song völlig aus dem Häuschen sind? Aber ein wesentlicher Unterschied zu den Migrations-Kollegen besteht vermutlich darin, dass der Anteil der weißen Bevölkerung bei der südafrikanischen Regenbogennation mittlerweile noch nicht einmal 10% beträgt.

Übrigens stellen wir zu unserer Überraschung fest, dass das Publikum im Einklang mit der Hautfarbe des jeweiligen Stars erschienen ist: Der Großteil des Publikums bei Bruce Springsteen ist weißer, der bei Rihanna schwarzer Hautfarbe. Liegt etwa eine Ähnlichkeit zu den zwei beliebtesten Sportarten im Lande vor? Denn so wie in musikalischer Hinsicht eine gewisse Einheitlichkeit beobachtet werden könnte, wird auch der Sport in Südafrika traditionell getrennt: Fußball für die schwarze, Rugby für die weiße Bevölkerung. Allerdings währen auch Traditionen nicht ewig, denn in den letzten Jahren gibt es, wie schon erwähnt, immer mehr weiße Fußballspieler und zunehmend schwarze Rugbyspieler, was den Weitblick des großen Mannes Nelson Mandela bestätigt und seinem Begriff „rainbow nation” umso mehr Gewicht verleiht.

www.youtube.com/watch?v=vckWpLAFGCA

 

Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

 

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Beitragsbild:www.pri.org

 

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