von Christina Antoniadou
In Johannesburg werden wir länger bleiben, darum nehmen wir nicht wie in London mit einer kleinen möblierten Wohnung vorlieb, sondern mieten zum sage und schreibe gleichen Preis im Stadtteil Houghton Estate ein geräumiges Haus mit Garten, Swimming-Pool und – wie es sich für südafrikanische Verhältnisse gehört – mit Alarmanlage, hoher Mauer, electric fences und gate. Diese Sicherheitsvorkehrungen werden von der Firma, für die meine bessere Hälfte arbeitet, sogar als Voraussetzung vertraglich festgelegt, damit für uns Εuropäer gehaftet werden kann.
Darum wird eine relocation company damit beauftragt, eine entsprechende Bleibe in einer sicheren Gegend und in moderater Größe zu finden. Da aber das südafrikanische Motto Space is not a problem lautet, ist der Begriff „Größe“ Definitionssache. In allen Häusern, die wir besichtigen, hören wir nach dem fünften Schlafzimmer auf, dieselbigen zu zählen. Die Wahl fällt allein schon aus dem simplen Grund auf unser zukünftiges Haus, weil es das einzige ist, in dem man sich nicht verlaufen kann, da es überschaubar und gut geschnitten ist. Auf die Frage, warum denn zwei Holztreppen statt einer nach oben führen, weiß keiner so recht eine Antwort. Wir machen uns aber einen Spaß daraus, die Treppen unter uns aufzuteilen. So einen Luxus werden wir in Europa wohl so schnell nicht wieder haben, das ist uns klar!
Ein Haus wie dieses will und muss möbliert werden, also machen wir uns auf die Suche. Alsbald stellen wir fest, dass Südafrika über wunderschöne Möbelhäuser verfügt. Aus Gründen, die mit uniformierter Einheitlichkeit zu tun haben, freuen wir uns beide, dass es hier keine skandinavischen Einrichtungshäuser gibt. Bis wir die Möbel bestellt und das Haus mit dem Allernotwendigsten eingerichtet haben, wohnen wir im Hotel. Die Vorfreude ist bekanntlich die größte Freude.
Endlich kündigt sich das erste Bett an, also lasse ich im Hotel ein Taxi bestellen. Von mehreren Seiten bin ich schon vorgewarnt, dass das hiesige Zeitverständnis so gar nicht dem europäischen entspricht. Nach den Beschreibungen bin ich auf eine Art Ikaria vorbereitet, eine griechische Insel, deren Uhren anders ticken als die der restlichen Welt. Fast hätte ich vor dem Umzug nach Südafrika sogar einen dreiwöchigen Urlaub auf dieser Insel eingerichtet, um schon einmal in Stimmung zu kommen. Um unnötiger Aufregung vorzubeugen, bin ich also darauf gefasst, dass die Möbel später als vereinbart geliefert werden, und überlege schon einmal im Taxi, wie ich die Wartezeit im leeren Haus verbringen könnte.
Kaum biegt der Taxifahrer jedoch in unsere Straße ein, sehe ich zu meiner Überraschung, dass der Lieferwagen bereits vor dem neuen Heim wartet. Umso besser, denn so können die drei Angestellten alles ins Schlafzimmer hinaufschleppen und eifrig mit dem Aufbau des Bettes beginnen.
Die Bewohner dieses Landes bewerkstelligen alles in einem angenehmen Tempo. Sobald man in Johannesburg diesen Umstand kommentiert, kommt lachend als Antwort, Wait until you see Cape Town, zurück! Die Bewohner von Johannesburg behaupten, dass die Kapstädter die Ruhe weg haben, während sie sich selber für Speedy Gonzales halten und den vibe in ihrer Heimatstadt Jozi bei jeder Gelegenheit mit dem in New York parallelisieren. Diesen Vergleich habe ich in Südafrika nun schon so oft gehört, dass ich mich wirklich langsam frage, ob jemand von diesen Leuten überhaupt schon einmal in New York war, um das mit einer solchen Bestimmtheit behaupten zu können. Nichtsdestotrotz stellt Johannesburg ein African New York dar.
Seit ich festgestellt habe, dass die Kapstädter genauso über die Bewohner in Durban herziehen, wie die Joburger über die Kapstädter, weiß ich, dass es weniger um Schnelligkeit geht, sondern mehr darum, sich über die eigenen Landsleute lustig zu machen. Diese Gedanken begleiten mich, während ich den Aufbau des Bettes verfolge, und peu à peu nimmt das Bett tatsächlich Gestalt an, ohne dass ich an dem Tempo der Angestellten feststellen könnte, ob die Kumpel aus Johannesburg, Cape Town oder Durban stammen. Ich tendiere ja eher zu Letzterem.
Nach geraumer Zeit steht das Bett auf seinen vier Beinen und mit gemeinsamen Kräften wird versucht, die Matratze auf dasselbige zu hieven. Es will nicht. Die Matratze ist zu groß oder das Bett zu klein. Oder auch beides. Je nachdem aus welcher Perspektive man es sieht. Mit Hilfe eines Maßbandes komme ich zu dem Schluss: Das Bett ist eindeutige 20 cm zu schmal! Auf dem Karton stehen aber die richtigen, also die von uns bestellten Maße. Da hat also jemand definitiv das falsche Bett in den richtigen Karton gepackt. Trotz des Umstandes schrauben die Südafrikaner gut gelaunt am Bett herum und befördern jedes einzelne Teil wieder zurück in den Karton. Ich halte das Ganze für einen dummen Zufall. So etwas kann passieren. Darum rege ich mich auch nicht weiter auf und schone meine Nerven für eine relevantere Situation.
Zwei Tage später meldet sich die Firma telefonisch und am nächsten Tag steht ein Möbelwagen mit zwei anderen Angestellten vor dem Haus, auch sie sind viel zu früh da. Irgendwie scheint keiner von ihnen über eine gescheite Uhr zu verfügen. Während ich eher auf die berühmt-berüchtigte African time vorbereitet bin, nach der eine entspannte Zeiteinstellung angesagt ist und Verspätungen angeblich auf der Tagesordnung stehen, kommen die Jungs immer früher als vereinbart. Eigenartig! Der Film läuft wieder genauso ab wie einige Tage zuvor, nur dass ich nach einer halben Stunde in das Schlafzimmer gerufen werde. Der Anblick des halbfertigen Bettes mit den einzelnen, vertikal stehenden Schrauben auf dem jeweiligen Brett beunruhigt mich anfangs nicht.
Erst auf die Frage, Do you have a drill? reagiere ich etwas überfordert und starre sie nur wortlos an. Der Zeigefinger eines Angestellten schnellt senkrecht in die Höhe und macht spiralförmige Bewegungen. Eindeutig versucht er mir eine Art Black & Decker zu veranschaulichen. Warum soll ich so ein Ding haben? frage ich leicht irritiert zurück. Weil sie sonst das Bett nicht zusammenbauen könnten, lautet die Antwort. Jetzt dämmert es mir langsam, warum die Schrauben in den Startlöchern stehen, sie warten nämlich darauf, dass sich jemand findet, der im Besitz eines Bohrers ist und sie einschraubt. I am sorry, ich schüttle den Kopf und ahne auch nicht annähernd, wie sich die Geschichte weiterentwickeln wird. Dann müssen wir das Bett eben wieder mitnehmen und kommen ein andermal wieder, schlussfolgert der Ältere, als wäre es das Natürlichste von der Welt, nicht zu Ende montierte Betten hin und her zu schleppen.
Moment mal! Allmählich wird mir der Ernst der Lage bewusst. Und als sie sich bücken, um die Schrauben wieder ins Plastiktütchen zu stecken, gebe ich ihnen zu verstehen, dass das Bett hier bleibt. Daraufhin beginnt ein Telefon-Marathon ohnegleichen. Sie rufen Kollegen an, die sie um Hilfe bitten, doch entweder sind diese nicht im Besitz eines Bohrers oder zu weit weg, um ihnen ihren drill zu leihen. Wieder sind sie im Begriff, das halbfertige Bett auseinanderzunehmen. Over my dead body, schmettere ich ihnen entgegen und wundere mich selber über so viel Revolutionsgeist. Das Bett bleibt nicht nur hier, sage ich in einem Ton, der an Bestimmtheit nicht zu überbieten ist, sondern – ich überlege kurz, wie ich meinem Einwand Nachdruck verleihen könnte und füge herausfordernd hinzu – sondern ich weigere mich auch zu unterschreiben, dass es überhaupt geliefert wurde. So, das hat gesessen. But we can’t … Ihre zaghaften Ausreden lasse ich nicht gelten. Nach langem Hin und Her und nachdem ein längeres Telefongespräch mit dem Manager geführt wird, dem ich die Sache mit dem toten Körper ebenfalls zu verstehen gebe und der versucht, die wohl unausweichlichen Unannehmlichkeiten für diese doch recht entnervte Dame am anderen Ende abzufedern, bleibt das Bett schließlich in unserem Schlafzimmer stehen. Die Angestellten verlassen etwas geplättet das Haus und versprechen, möglichst bald zu kommen, und zwar das nächste Mal mit drill. Deeeeeefinitively! In Südafrika dehnt man jedes „e“, sodass sich alles wie „Esel“ oder „Emil“ anhört. Sogar das Wort „better“ mit Doppel-t wird hier „beeeeeeter ausgesprochen, geflissentlich werden Doppelkonsonanten einfach übersehen und ihrer Macht beraubt.
Wieder zwei Tage später stehen die zwei Schwarzafrikaner grinsend vor der Tür, einer von ihnen hält triumphierend den mit der Spitze nach oben zeigenden Bohrer in der rechten Hand. Sie kennen den Weg ins Schlafzimmer und bauen das Ding schnell zusammen.
Es kommt der Moment, in dem die Matratze auf das Bett gelegt werden soll. Zu diesem Zweck wird die Plastikhülle aufgeschlitzt und die Matratze herausgepellt. Ich höre schon innerlich das zu einer Akrobatennummer gehörende Paukengetrommel, das mit einem Tusch und Applaus zu enden pflegt. Vielleicht auch noch mit dem Ausruf des Zirkusdirektors. Und grellen Lichtern dazu. Doch schon bald gibt es stattdessen den Boooooing-Sound aus Comicsendungen. Den der Enttäuschung. Wieder stimmt etwas nicht. Ein widerlicher Benzin-Gestank strömt aus der Plastikhülle. Anscheinend verweilte die Matratze in Ermangelung eines drills zu lange in dem Plastik und hat darum dessen Geruch angenommen. Also raus damit an die frische Luft. Auf dem Balkon kann die Matratze den ganzen Tag Sonne tanken, damit sich der Gestank verliert, hoffe ich.
Nachts schlafen wir tatsächlich zum ersten Mal in unserem trauten Heim, nachdem ich die Benzin-Matratze mit einem nach Weichspülmittel stark duftenden Betttuch bezogen habe. Um drei Uhr nachts wache ich jedoch schweißgebadet auf und finde mich in einer außergewöhnlich unkommoden Situation wieder. Entsetzt stelle ich fest, dass ich nicht nur Platzangst, sondern ernsthafte Atemprobleme habe. Da ich einfach keine Luft mehr bekomme, röchle ich meinen Mann wach. Alles an uns weist einen intensiven Benzin-Gestank auf, so als hätten wir an der Tankstelle an einer Zapfsäule geduscht. Jegliche weitere Erinnerung an diese in Benzin getauchte Nacht habe ich wohlweislich aus meinem Gedächtnis gelöscht. Die stinkende Matratze wird vier Wochen später von den netten Angestellten ohne drill abgeholt und mit einer geruchsneutralen ausgetauscht.
Die beiden Jungs haben mit dem falschen Bett ein endlos scheinendes Kommen und Gehen der restlichen bestellten Möbel eingefädelt. Der Esstisch ist höher und die Stühle dazu niedriger als bestellt, also fühlt man sich wie klein-David am Goliath-Tisch, wenn man essen will. Der Coffee-Table, bestehend aus einer indischen Tür, die auf Eisenfüßen ruht und mit Hilfe einer Glasplatte zum Tisch umfunktioniert wurde, hängt bald durch. Die Tür öffnet sich sozusagen zum Boden hin und lädt zum Eintritt ein. Als die bestellte Couch geliefert wird, werden wir Zeugen einer weiteren Episode. Der weiße Frank schleppt mit seinen vier Angestellten schwitzend, stöhnend und prustend die bestellte Basis der schweren Timber-Couch ins Wohnzimmer und es stellt sich schließlich heraus, dass sie mindestens einen halben Meter kürzer ist, als die dazugehörigen weichen Lederkissen.
Hinzu kommt, dass wir eine recht hohe Summe für eine zusätzliche Lederbearbeitung bezahlt haben, damit das Leder resistent gegen zukünftige Flecken und Kratzer ist, aber bereits bei der Lieferung lachen uns überall runde Flecken und längliche Kratzer, sogar kleine Löcher entgegen. Was genau haben wir da falsch verstanden?
Also wird alles wieder genauso umständlich auseinander genommen und durch die Haustür zurück in den Transportwagen gehievt. Dabei entlässt Frank in aller Ruhe und so ganz nebenbei drei seiner vier Angestellten, weil ihm jeder von ihnen ständig mit der Frage Boss, can I leave, please? in den Ohren liegt. Das geht jeden Freitag so. Immer ab mittags, teilt er uns später mit. Der arme Kerl aus Malawi – der einzige, auf den scheinbar freitags keine Freundin wartet und der jetzt deswegen nicht arbeitslos ist – schiebt, zieht und wuchtet noch am Rest des Timber-Holzes herum, bis alles im Kleintransporter verstaut ist. Wochen später findet auch die Sitzgarnitur in der erwünschten Größe und ohne Flecken und Kratzer ihren Weg ins traute Heim.
Inzwischen weiß ich, dass die Verfahrensweise in diesem Land mit einer Ruhe einhergeht, die wirklich beneidenswert ist. Während ich am Anfang noch etwas pikiert reagiere, bin ich mittlerweile von der Freundlichkeit begeistert, mit der die Verantwortlichen mir jedes Mal erklären, warum etwas weder pünktlich noch richtig geliefert wird. Es nimmt mir den Wind aus meinen streitsüchtigen Segeln und ich warte einfach nur geduldig auf die nächste Lieferung und einen möglichen Fehler, gespannt auf den Erfindungsreichtum, den die Erklärungen mit sich bringen.
Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!
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Um mit meinem amerikanischen Freund Douglas zu sprechen: WAHNSINN!
Informativ, lustig, unterhaltend.
mitreißend und lebendig! man hat das Gefühl, selbst dabei zu sein. Wo ist denn nur der
Schraubenzieher …..
Musste sehr lachen an einigen Stellen! Toll geschrieben! Du nimmst uns mit in den afrikanischen Alltag! Mehr davon!
Lustig und spannend. Bin neugierig auf die nächste Episode!
Umzug nach Jo-Burg ohne seine Bohrmaschine mitzunehmen?! Wer macht das schon?! Die Matratze sollte den ganzen Tag Sonne tanken? … Da musste ich wieder lachen!!
Hoppla! Was ist denn hier los? Zwei Welten scheinen aufeinanderzuprallen. Man liest und hat den Eindruck, dieses Experiment kann nie gelingen. Die an klare Regeln gewöhnte Europäerin einerseits und ein buntes, blumiges, schwungvolles, eher eigenen Rhythmen und Maßstäben folgendes Südafrika andererseits. Das Geplante, technisch Bewährte gegenüber einer spontanen Handmade-Mentalität. Doch am Ende – trotz der vielen Turbulenzen und Widrigkeiten – steht alles wieder an seinem Platz. Und damit ist nicht nur das Bett gemeint. Denn die Begegnung mit einer anderen Welt ist ein Lernprozess für beide Parteien. Vorausgesetzt man ist offen und hat Sinn für Humor. Zum Glück hat die Autorin jede Menge davon. Man ist gespannt auf die nächsten Geschichten und darauf, wie sich diese Begegnung weiterentwickelt.
Herrlich erfrischend, dieses Aufeinandertreffen zweier verschiedener Welten. Mit Humor, so zeigt sich, lässt sich alles bewältigen.
So rückt Südafrika in die nächste Nachbarschaft. Hinreißend und witzig erzählt!
Sehr lustig beschrieben, fühlt sich an, als ob man dabei wäre und an manchen Stellen musste ich echt lachen! Toll geschrieben…schon gespannt, was noch kommen könnte!
Das nenne ich interkulturellen Unterricht!! Super!
Auch bei dieser Geschichte musste ich wieder so lachen! Wenn jede neue immer nur noch besser als die vorige wird, dann freue ich mich jetzt schon auf die Nächsten.
Man denkt, es sei ein Reisebericht, doch was für einer! Mit Humor und Gefühl, offen, ohne Vorurteile, bereit das Schöne im fremden Land und bei dessen Menschen zu entdecken und zu bewundern! Erzählungen mit literarischen Qualitäten!
Wunderbar absurde Situationen mit einem Augenzwinkern erzählt. Ich bin begeistert und freue mich auf mehr. Absolut lesenswert!
Ich liebe deine Geschichten! 😀
Sie sind so voller Wärme und Fröhlichkeit geschrieben und spiegeln damit einen großen Teil meiner eigenen Erfahrungen in diesem liebenswert / chaotischen Land wieder! Egal wie sauer man ist, negative Emotionen prallen an der Freundlichkeit der Menschen ab…hakuna matata!