16. Joburger Taxifahrer. Ein Fallbeispiel? - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

Der werte Leser dürfte sich beim Lesen der vorigen Episoden ein Bild über die Qualität der hiesigen Polizisten gemacht haben. Aufgrund ihres korrupten Verhaltens eilt ihnen ihr schlechter Ruf nun einmal voraus und zieht auch die ehrlichen unter ihnen mit in den Sumpf. Interessant wäre es darum zu erfahren, wie die Polizei, unser aller Freund und Helfer, unter bestimmten Umständen reagieren würde. Gemeint sind an dieser Stelle die gefährlichen Joburger Minivan-Taxen samt berüchtigter Fahrer und ein für westliche Verhältnisse doch recht ungewöhnlicher Zwischenfall, dessen Zeuge meine bessere Hälfte eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit wird.

Früh morgens fährt mein Guter immer ins ehemalige Zentrum der Stadt, der Einfachheit halber CBD genannt, was so viel wie Central Business District heißt. Seit Mandelas Wende ist es leider zu einem Armenviertel verkommen, weil die Weißen, die bis Anfang der 90er Jahre dort wohnten und arbeiteten, entweder Angriffen von Nicht-Weißen ausgesetzt waren oder – um einem Angriff vorzubeugen – panikartig die Flucht ergriffen und den Stadtteil CBD verließen. Seitdem leben dort nicht nur schwarze Südafrikaner, sondern auch eine beträchtliche Anzahl illegaler Migranten aus den Nachbarländern. CBD gilt als nicht ungefährlich, was mir unsere Perle Pamela aus Zimbabwe, die Reinemachefrau, die dort wohnt, immer wieder bestätigt, da sie sich abends nach Sonnenuntergang nicht mehr auf die Straße traut. Viele Firmen lassen ihre Büros der Verelendung dieses Stadtteils zum Trotz auch weiterhin im CBD, während sich die Mehrheit der nationalen und internationalen Unternehmen nördlich davon niedergelassen hat, sodass neue Siedlungen und das neue Stadtzentrum Sandton entstanden sind.

Trotz der Abschaffung des Apartheid-Systems sind weiße und nicht-weiße Gebiete zu einem Großteil auch weiterhin relativ getrennt voneinander. Das gilt vorwiegend sowohl für das schon erwähnte und aus den 70er Jahren berühmte Soweto als auch für den verruchten Stadtteil Alexandra. Beide stellen auch heute noch die Bleibe für Nicht-Weiße dar. Doch seit den ersten Wahlen 1994, an denen die gesamte Bevölkerung und nicht nur Weiße teilnehmen konnten, seit also Mandelas Partei ANC das Land regiert, kommen immer mehr Schwarze in den Genuss des sozialen Aufstiegs und können es sich leisten, in Siedlungen der „mittleren Klasse“ zu leben, wo Weiß und Schwarz gleichermaßen anzutreffen sind.

Mein Mann fährt also jeden Morgen zur rush hour über die Autobahn M1 in dieses nicht ungefährliche Stadtzentrum CBD. Trotz der enormen Infrastruktur, die an die Vereinigten Staaten erinnert, kommt es früh morgens um 7 Uhr und nachmittags ab 15 Uhr zu Staus. Südafrika ist eine day society, es wickelt sich somit fast alles bei Tageslicht ab, was vorwiegend an der Kriminalität liegt. Man steht morgens um 5 Uhr auf, fährt oft zusammen mit Tausenden von Gleichgesinnten eine Stunde bis zum Büro, um noch vor Einbruch der Dämmerung seinen 8-Stunden-Tag hinter sich zu bringen und möglichst um 17 Uhr wieder zu Hause zu sein.

Die verschiedenen Ausfahrten der M1, die Joburg durchschlängelt und zu den Gebäuden mit den Weiße-Kragen-Jobs führt, sind somit zu diesen Zeiten brechend voll, sodass dem Fahrer nichts weiter übrig bleibt, als sich in Geduld zu üben. Im Reißverschlussverfahren kriechen die Autos auf zwei bis drei Autospuren nebeneinander, lassen sich abwechselnd vor und reihen sich in die Autospur ein, die von der Autobahn zur City führt. Dabei müssen sich die Autofahrer gegenseitig einen gewissen Respekt entgegenbringen, (Vor-)Drängeln ist kein Zeichen für gute Kinderstube, war es noch nie – in keinem Winkel der Welt.

Da mein Ehemann sich jeden Tag ins gefährliche CBD hineinwagen muss, besteht die Firma darauf, dass er – wie viele in diesem Land – aus Sicherheitsgründen einen Prado zur Verfügung gestellt bekommt, einen schweren Geländewagen, der einem das Gefühl vermittelt, in einem Panzer zu sitzen. Für bürgerkriegsähnliche Zustände somit ausreichend ausgerüstet wird er eines Tages Zeuge einer nicht leicht einzuordnenden Szenerie.

Vor meinem Ehemann fährt auf der rechten Fahrspur einer dieser weißen Minibusse, die zum Taxi umfunktioniert sind, und befördert Fahrgäste, Taschen, Körbe und diverse andere Utensilien. Gleich daneben auf der linken Spur befindet sich ein weißes Auto mit einem schwarzen Fahrer. Soweit so gut, es ist früh am Morgen, mein Mann ist an den täglichen Verkehr gewöhnt, ebenso an die draufgängerischen Minibusfahrer und schon lange wundert er sich nicht mehr darüber, dass 80-90% der Autos in Joburg weiß sind. Das Taxi und der weiße Wagen fahren ziemlich lange vor ihm nebeneinander her, bis sie an einen Punkt gelangen, wo die zwei Fahrbahnen ineinander übergehen und einer von beiden den anderen vorlassen müsste. Nichts dergleichen geschieht, beide fahren immer 20 cm weiter, schieben sich nach vorne, sodass der Abstand zwischen den zwei Wagen abnimmt, sie sich also immer näher kommen. Der linke Kotflügel des VW-Busses und der rechte Kotflügel des PKW drohen sich zu berühren. Gemächlich rutscht jedes Auto Zentimeter für Zentimeter nach vorne, ohne dass die Fahrer den Nachbarn auch nur eins Blickes würdigen. Irgendwann berühren sich die Kotflügel und bleiben aneinander kleben.

Alle in Joburg wissen, dass Taxifahrer Tuchfühlung am wenigsten ertragen und dass man es sich generell mit diesen Brüdern nicht verderben sollte! Und da genau jetzt dieser Moment gekommen ist, öffnet der Taxifahrer langsam und ohne Hast die Tür, steigt aus, bückt sich noch einmal in den Minibus hinein und holt eine Eisenstange heraus, die er von nun an in der rechten Hand hält. Strukturiert und methodisch geht er dazu über, jede einzelne Fensterscheibe des weißen Autos einzuschlagen, ohne dabei die Miene zu verziehen oder Anzeichen seiner psychischen Verfassung zu zeigen. Seelenruhig und ohne zu schimpfen oder zu schreien oder sich sonst zu jeglicher emotionalen Regung hinreißen zu lassen, zerdeppert er Scheibe für Scheibe und nur bei der Frontschutzscheibe bedarf es aufgrund der größeren Fläche zur Vollendung seines Werkes wiederholter Hiebe. Auf die gleiche Art und Weise nimmt er sich nunmehr die andere Seite des Autos vor, die mit seinem Taxi fast verkeilt ist. Mit der gleichen Präzision demoliert er auch diese Fensterscheiben, nachdem er sich zwischen die zwei Autos hineinzwängt, in die kleine Lücke, die vom missglückten Reißverschlussverfahren übrig geblieben ist. Von seinem Vorhaben wagen ihn weder die Insassen im Taxi noch der in Scherben gehüllte Fahrer des weißen Autos abzuhalten, zumal Letzterer in seinem dem Schicksal geweihten Gefährt eingeklemmt ist und seine Tür nicht öffnen kann. Zu nahe steht dafür der Minibus. Zu gefährlich erscheint ihm sein Fahrer, ganz zu schweigen von dessen Furcht einflößenden Eisenstange.

Was die nicht direkt betroffenen Verkehrsteilnehmer angeht, die also „nur“ Zeugen dieses öffentlich zur Schau gestellten, außergewöhnlichen Destruktionstriebes werden, haben sie vermutlich nur eines im Sinn: sich möglichst schnell in Sicherheit zu bringen, um nicht eventuell vom gleichen Schicksal heimgesucht zu werden. So macht sich auch meine bessere Hälfte das entstandene Chaos zu Nutze, schwenkt möglichst unauffällig mit seinem auffälligen Panzerauto nach rechts aus und überholt den Ort des Geschehens, als wäre der Vorfall nicht weiter von Belang. Jeder, der daran vorbeifährt, schaut sicherlich nicht rein zufällig in die entgegengesetzte Richtung und hofft insgeheim, nicht die Bekanntschaft des Taxifahrers und seiner Eisenstange zu machen. Meine bessere Hälfte beobachtet nunmehr durch den Rückspiegel, dass der Taxifahrer sich mit Bedacht vergewissert, dass auch wirklich keine Scheibe am weißen Auto heil geblieben ist. Er geht erneut um das Auto herum, diesmal ohne zuzuschlagen, öffnet die Tür des Taxis, legt die Eisenstange sorgfältig wieder zurück an ihren Platz, steigt ein und fährt einfach weiter, die Ruhe in Person. Es leuchtet vermutlich jedem solidarisch eingestellten Leser, der an dieser Stelle das Verhalten meines Ehemannes und aller anderen Verkehrsteilnehmer kritisiert, ein, dass jegliches gutgemeinte Einschreiten oder sonstige Form von Zivilcourage in diesem Fall sicher nicht zu Gunsten der betroffenen Person ausgegangen wäre.

Nachdem eine gewisse Zeit vonnöten ist, um den ersten Schock und im Anschluss daran die Detailschilderung meines Gatten zu verarbeiten, halte ich es für angebracht, die Meinung eines Einheimischen oder doch zumindest die eines Afrikaners dazu einzuholen. Unser Gärtner Zondi erscheint mir als der geeignete dafür, denn schließlich war er es, der mich in die Welt der Joburger Taxifahrer eingeweiht hat. Bei der erstbesten Gelegenheit beschreibe ich ihm also den Vorfall, gespannt darauf zu erfahren, wie er das gewalttätige Verhalten dieses Taxifahrers einordnen wird.

Zondi folgt mit größter Aufmerksamkeit meiner detaillierten Schilderung der Geschehnisse und hat auch den Aufbau des Spannungsbogens und den Höhepunkt der Erzählung sehr wohl erkannt. Ich sehe ihm allerdings an, dass er gestresst versucht herauszufinden, inwiefern er in den Ablauf der Geschichte verwickelt sein und welche Schuld ihn treffen könnte. Warum erzähle ich dem armen Burschen diese Geschichte und was erwarte ich eigentlich von ihm, der da vor mir steht und in dessen Arbeits- und Verfügungsbereich nur das fachmännische Beschneiden und Bewässern von Bäumen und Hecken vorgesehen ist? Alsbald helfe ich ihm aus dieser weniger kommoden Situation heraus: Zondi, was würde denn die Polizei in diesem Fall tun? Ιch meine, wenn sie das alles mitbekommen würde. Den Taxifahrer festnehmen? Dem Opfer unter den Scherben der zertrümmerten Windschutzscheiben zu Hilfe eilen? Die Augenzeugen aufgrund fehlender Zivilcourage zurechtweisen?

Dem guten Gärtner ist es anzusehen, dass er mit diesen europäischen Fragen eindeutig überfordert ist. Trotzdem kratzt er notdürftig zwei Sätze zusammen, die anscheinend immer und unabhängig vom Kontext passen: Totally corrupt, they are useless because they are totally corrupt. But the European police is cool!

Sekundenbruchteile sind nötig, damit sich mir die Logik, die sich hinter dieser Aussage verbirgt, erschließt. Wie alle Südafrikaner sind auch wir schon des Öfteren in den Genuss gekommen, die Qualität der hiesigen Polizisten zu testen und haben auch positive Erfahrungen gemacht. Erwartungsvoll schaut mich Zondi an, aber sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er nicht sicher ist, ob er mir mit seinem Statement die richtige Antwort gegeben hat. Ich versuche es einmal anders und lasse durchblicken, dass ich nun seine persönliche Meinung dazu hören möchte. Nicht mehr und nicht weniger. So Zondi, what do you think of this story? I bet you would not act the same way, would you?

Zondi lächelt mich an, froh erkannt zu haben, dass ich ihn nicht auf eine Stufe mit diesem Taxifahrer stelle. Und nun, da er realisiert hat, dass er keinerlei Verantwortung zu übernehmen braucht, betrachtet er es sozusagen als Freibrief und setzt zu einem Geschimpfe ohnegleichen an. Wie so oft und unabhängig davon, ob es um Hadedas, Gewitter oder Taxifahrer geht, versucht er wieder, es mir nach allen Regeln der Kunst recht zu machen. Diese Burschen seien nicht wie die tadellosen Taxifahrer in Europa, oh nein, sie seien noch nicht einmal imstande, richtig zu fahren oder anzuhalten. In Europa sei das alles ganz anders, zumal die Taxifahrer dort höfliche, zivilisierte und gebildete Menschen seien, während hier, OMG diese Brüder hätten teilweise einen lebensgefährlichen Fahrstil drauf und man solle sich vorsehen und sich nie mit ihnen anlegen, denn they carry guns and kill people just like that und dabei schnippst er mit den Fingern. Einfach so! South Africa is dangerous because of people like this. It’s not like Europe. Europe is cool.

Und nachdem er wieder eine Predigt über das gelobte Europa gehalten hat, wird eine Sendepause eingelegt, sodass ich, warum auch immer, nicht umhin komme, dieselbige zu überbrücken und noch einmal kurz nachzuhaken: So you would not behave like this, would you? Freudestrahlend schüttelt er verneinend den Kopf: No, I would not behave like this. Of course I would not. I am not able to drive.

 

Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

 

Copyright 2018 Christina Antoniadou / All rights reserved

error: Content is protected !!

By continuing to use the site, you agree to the use of cookies. more information

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close