15. Bus oder Bahn? Oder doch lieber Taxi? - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

Was den Bereich Massenverkehrsmittel und Massenverkehrsverbindungen angeht, erweisen sich die Engländer als bahnbrechend, schließlich war London vor mehr als 150 Jahren die erste Stadt, in der es eine Bahn tatsachlich schaffte, dem städtischen Verkehrschaos zu entkommen und sich ihren Weg unterirdisch zu bahnen. Dank dieser tube ist die britische Hauptstadt auch heute noch imstande, trotz ihrer Größe eine gewisse Überschaubarkeit beizubehalten, denn sie verbindet alle Stadtteile miteinander, sodass sich ein Auto für einen normalen Sterblichen als überflüssig, vor allem aber auch als zu teuer, die Monatskarte für zone 1-6 dagegen als umso nützlicher erweist.

London-tube-names

Johannesburg ist aus verkehrstechnischer Sicht genau das Gegenteil von London. Massenverkehrsmittel und deren Gebrauch sind untypisch für Johannesburg. Während die Südafrikaner das britische Fahren auf der linken Straßenseite widerstandslos übernommen haben, scheinen sie von den Vorteilen der Bahn und des Busses weniger überzeugt zu sein. Zumindest die weiße Bevölkerung, die vorwiegend mit dem Privatwagen unterwegs ist. Entsprechend geht kaum jemand von den Weißen zu Fuß. Die motivierende Devise lautet: Play golf, because it’s the only way to walk.

Bus und Bahn werden somit überwiegend von der schwarzen Bevölkerung genutzt. Dies gilt auch für Zondi, einem jungen Mann von ausgesuchter Höflichkeit. Zondi heißt eigentlich Zondwanyo und ist unser Gärtner. Jawohl! In Südafrika hat man nicht nur große Häuser, sondern auch große Gärten und darum bedarf es nicht nur einer maid, sondern auch eines Gärtners. Zondi wohnt direkt nebenan, und zwar in dem für den Gärtner vorgesehen Häuschen. Ausgesprochen wird sein Name „Sondi“ mit kurzem „o“, so als würde man „Sonne“ sagen wollen, es sich aber kurz nach dem „n“ anders überlegt und ein „die“ hinzufügt. Zondi lebt schon seit fast zwanzig Jahren in Joburg, kommt aber ursprünglich aus Malawi, ein Land, das mir völlig unbekannt ist und von dessen Existenz ich ehrlich gesagt erst dadurch erfahre, dass die Pop-Ikone Madonna der schmollmündigen Angelina Jolie nacheifert und einen Jungen just aus Zondis Heimat adoptiert.

Unser Zondi ist verheiratet, hat drei Kinder, die allesamt in Malawi im Internat untergebracht sind und die er sehr selten, nämlich nur einmal im Jahr sieht. Seine Ehefrau Soyaphi lebt normalerweise in Malawi und kommt immer nur für ein paar Tage zu Besuch, doch vor einigen Monaten hat uns Zondi angekündigt, dass Soyaphi ab jetzt bei ihm bleibt, er somit nicht mehr allein in dem kleinen Häuschen next to us wohnen wird. In meiner europäischen Naivität freue ich mich für ihn, erfahre jedoch erst sehr viel später, dass es sich nicht um geteilte und erst recht nicht um doppelte Freude handelt, denn seiner besseren Hälfte sind diverse Einzelheiten über den hormongesteuerten Lebenswandel ihres Gatten zu Ohren gekommen und sie möchte nun aufgrund dessen nach dem Rechten schauen; zu lange schon hat sie den attraktiv aussehenden und sportlich gebauten Ehemann allein gelassen. Inwiefern das kleine Häuschen in Houghton Estate bei ihrer Entscheidung, nach Johannesburg zu ziehen, eine Rolle spielt, kann ich nicht beurteilen; vermutlich keine zu unterschätzende, denn aufgrund von Strom-, Wasser und Fernsehanschluss stellt es mit seinen oder trotz seiner 50 qm sicher eine Verlockung dar, verglichen mit der vermutlichen Lehmhütte zu Hause.

Was die Aufgaben des Gärtners allgemein angeht, bekommen wir einen Vertrag unserer Vorgänger überreicht, in dem alles schriftlich und minutiös festgehalten wird. Zondis Aufgaben bestehen darin, sowohl unseren Garten als auch Garage, Garagentor, Einfahrt, gate, Swimming-Pool und alle Fenster des Hauses von außen in Schuss zu halten. Ebenfalls soll er das Kaminholz bestellen, nach Bedarf kleiner hacken, spalten, sortieren, optimal (was auch immer das heißen mag) stapeln, ins Haus bringen und ordentlich (so steht es im Vertrag) in den neben dem Kamin dafür vorgesehenen Vorrichtungen lagern (auch das wird im Vertrag vorgesehen), um den Kamin damit täglich bestücken zu können. Ich lese den Vertrag, schaue aus dem Fenster, dann auf das Thermometer, das 25 Grad zeigt und komme nicht umhin, mich zu fragen, ob die Vorgänger aus Großbritannien den contract aus der Heimat der Einfachheit halber gleich mitgebracht haben, um ihn hier anzuwenden, ohne sich dessen bewusst zu sein, in welches Land sie genau ziehen. Noch hat mich allerdings niemand darüber aufgeklärt, dass es in den drei Wintermonaten Juni bis August sehr kalt werden und sich diese Fülle an Anweisungen als recht nützlich erweisen kann.

Unser Gärtner Zondi ist schon auf den ersten Blick eine ganz annehmbare Person und bleibt es auch noch auf den zweiten Blick. Er ist immer extrem freundlich und zuvorkommend und findet schnell heraus, was mir in diesem Land gefällt und was nicht. Stets gibt er mir Recht, egal was ich sage. Wenn ich über das Gewitter schimpfe, das einmal täglich Tonnen von Wasser auf die gerade geputzten Fensterscheiben schüttet, dann schaut er gespielt verständnisvoll abwechselnd auf mich und auf das Desaster, das der Regen angerichtet hat und schimpft solidarisch auf das südafrikanische Wetter, das seiner Meinung nach bei weitem nicht so angenehm ist wie in Europa. Europe is cool. Das ist sein Lieblingsspruch, wenn er mit mir redet. Und obwohl ich ihm schon wiederholt erklärt habe, dass die Wetterbedingungen hier in Südafrika sehr viel besser als in ganz Europa sind – vom Süden Europas vielleicht einmal abgesehen, aber solche Details führen zu weit und zu nichts – schüttelt er bei jedem Regen und Gewitter den Kopf und preist Europa. Wenn sich die Hadedas laut krächzend auf dem Rasen niederlassen und in denselbigen Löcher bohren, as if there is no tomorrow, verscheucht er sie, wann immer er kann, nur weil ich ihm einmal früh morgens mit zerzaustem Haar und gerade dem Bett entstiegen anvertraut habe, dass ich in meinem Leben schon von lieblicheren Stimmen und vor allem zu späterer Stunde geweckt worden sei.

Seitdem lästert er mit wachsender Begeisterung über diese Vögel, sobald er mich erspäht und erklärt mir mit einem kräftigen Gefühl der Verachtung, wie hässlich und laut diese Vögel doch seien. Wie nett würden dagegen die Vögel in Europa aussehen und zwitschern, stellt er jedes Mal in einem Atemzug fest. Zum Glück geht er nicht soweit, die europäische Amsel in seiner Europa-Hymne erst nach 8 Uhr morgens aufwachen zu lassen, nur weil ich kein Frühaufsteher bin. Jeglicher Versuch meinerseits, die Farblosigkeit der europäischen Vögel, im Vergleich zu den afrikanischen, zu betonen, schlägt fehl, the European birds are cool. Schluss, aus! Der arme Kerl glaubt tatsächlich, mir dadurch einen Gefallen zu tun, dass er an unserem aller Gastland kein gutes Haar lässt und Europa über alle Maßen lobt, was sage ich, in den schmeichlerischsten Tönen preist. Und das, ohne je diesen Kontinent besucht, geschweige denn dort gelebt zu haben. Im Laufe der Zeit mache ich die Erfahrung, dass er nicht als einziger diese servile Methode bei allen Weißen anwendet, sondern dass es sich leider um eine Eigenschaft vieler Afrikaner handelt, die als Überbleibsel aus der Kolonialzeit noch tief zu sitzen scheint.

Zondi lebt wie gesagt next to us und ist darum auf keinerlei Fortbewegungsmittel angewiesen, da Wohn- und Arbeitsort näher nicht sein könnten. Eines Tages teilt er mir wieder einmal ganz unverfänglich mit, dass er seine Cousins in Soweto besuchen möchte. Mein gut gemeinter Versuch, einen gewissen Überblick über Zondis unzählige Verwandtschaft ersten, zweiten und dritten Grades, sozusagen über seinen Stammbaum zu behalten, ist schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Erschwerend hinzu kommt die hohe Anzahl der verschwägerten Beziehungen. Überhaupt scheint es kaum jemanden in Soweto zu geben, mit dem er nicht um einige Ecken verwandt oder verschwägert wäre, was aufgrund der Millionen Einwohner dieses Stadtteils eigentlich ausgeschlossen ist, aber man weiß ja nie. Kein Wunder also, dass ich mich schon früh geschlagen gebe. Aus mir unerklärlichen Gründen will er mich aber trotzdem jedes Mal davon in Kenntnis setzen, wen er vorhat zu besuchen. Mittlerweile frage ich mich allen Ernstes, ob außer Zondis drei Kindern überhaupt noch jemand in Malawi lebt, oder ob die gesamte Besatzung dieses Landes in Johannesburg, bzw. in Soweto gestrandet ist.

Dem geographieunkundigen Leser sei gesagt, dass Soweto die Kurzform für South Western Townships ist, sich somit südwestlich vom Joburger Zentrum befindet und während des Apartheidsystems als eine Wohnsiedlung für Nicht-Weiße eingerichtet wurde. Ich frage ihn ganz beiläufig und ohne zu ahnen, dass dieser Gesprächseinstieg eine längere Unterhaltung nach sich ziehen soll, ob er als motorisiertes Fortbewegungsmittel den Metropolitan Bus oder den Schnellbus Rea Vaya nehmen werde, bekomme aber nicht sofort eine Antwort darauf. Überrascht von den verkehrstechnischen Kenntnissen einer Europäerin, die immer nur mit ihrem Qashqai unterwegs ist und das auch nur innerhalb eines Radius von wenigen Kilometern, zieht er anerkennend die linke Augenbraue hoch. How do you know you can go to Soweto with the Rea Vaya? Nicht ohne Stolz antworte ich ihm: I have been several times in Soweto so I have seen this bus there. Wir wissen aber beide, dass ich Soweto nicht mit dem Bus besucht habe. You really have been to Soweto? Cool! Meine Abenteuerlust scheint ihm wirklich zu imponieren, denn Weiße pflegen nicht unbedingt in Soweto zu verkehren. Voller Stolz plustere ich mich pfauenmäßig auf und warte schon selbstgefällig darauf, dass er bezüglich meiner Soweto-Expeditionen nach Details fragt oder mich wegen meines Mutes lobt.

Stattdessen setzt er zur nächsten Frage an, die weniger mit Soweto und erst recht nicht mit meiner Risikobereitschaft zu tun hat. Do you know what Rea Vaya means? Bei dieser Frage sacke ich in mich zusammen und schaue sicher etwas verstört drein. Wie nicht anders zu erwarten, entzieht sich diese nicht gerade lebensnotwendige Information leider meiner Kenntnis, sodass Zondi sich genötigt sieht, seine Mission zu erfüllen und meine Wissenslücke zu schließen. Er klärt mich freundlicherweise darüber auf, dass es mit we are going übersetzt werden könne und der Jugendsprache Scamto entstamme, einem Gemisch aus Afrikaans, Sotho, Zulu, Xhosa und Englisch. Dass es sich bei Johannesburg um einen Schmelztiegel handelt, ist mir sehr wohl bekannt, nicht aber die konsequente Folge daraus, dass sich eine Mischsprache dadurch entwickelt hat. Zondi merkt, dass er mit seinen landeskundlichen Bemerkungen bei mir auf reges Interesse stößt und fügt hinzu, dass Scamto auch als tsotsi taal bekannt sei, und mit township talk übersetzt werden könne.

Und während er mir noch mehr Einzelheiten über diese Jugendsprache nennt und ich leider gestehen muss, dass ich nur noch mit halbem Ohr hinhöre, mache ich mir meine Gedanken über die südafrikanische rainbow nation. Schmelztiegel hin, multi-kulturelle Gesellschaft her: Schwarz und Weiß leben eben auch nach der Apartheid-Zeit immer noch nicht zusammen, sondern im besten Fall nebeneinander. Folgerichtig fahren sie darum nicht im gleichen Gefährt. Die Weißen verfügen ausnahmslos über einen Pkw und können es sich leisten, nicht auf die Massenverkehrsmittel angewiesen zu sein. Eine gehörige Portion Angst vor der Kriminalität in diesem Land, die leider aufgrund von Vorurteilen, sicher aber auch in vielen Fällen aufgrund von persönlicher Erfahrung einzig und allein dem schwarzen Mann in die Schuhe geschoben wird, ist der Grund dafür, dass die Weißen sowohl den Metrobus als auch Rea Vaya meiden. Der Zug Gautrain dagegen, der Pretoria mit dem CBD (Central Business District) Johannesburgs verbindet, wird ohne Bedenken von Weißen genutzt. Offensichtlich wurde er gerade für diejenigen Pendler geschaffen, die in Pretoria leben und im Johannesburger CBD arbeiten, und auf dem Weg dahin nur in sehr wenigen, weißen Stadtteilen Zwischenstation macht.

So hänge ich also meinen Gedanken bezüglich Verkehrstechnik nach, als der gute Zondi wieder zurück zum Thema findet. I am gonna take the taxi to Soweto. Ach Herrje! Mit einer gewissen Verzögerung hat er nun doch noch meine Einstiegsfrage beantwortet. Zondi fährt also mit dem Taxi nach Soweto, sieh mal einer an, wird jetzt ein europäisch denkender Europäer mit der Zunge ts ts ts ts schnalzend bemerken. Wer sich dabei das aufgrund seiner Geräumigkeit und seines aparten Äußeren besonders beliebte Londoner Taxi vorstellt, denkt fürwahr zu europäisch. Beim Anblick des kultigen black cab glaubt man sich für Sekundenbruchteile in eine andere Zeit versetzt und genau dieser Stil verleiht dem Londoner Taxi einen gewissen Flair, der durch die Trennscheibe zwischen Fahrer und Kunden noch betont wird.

In Joburg hat sich das Taxi im europäischen Sinne – eins, das man einfach auf der Straße anhalten kann, um einzusteigen – nicht durchgesetzt. Reliable, sprich zuverlässige Taxi-Unternehmen sind rar und man greift als Weißer nur im Notfall darauf zurück, wenn sich also der eigene Wagen in der Werkstatt befindet oder tags zuvor gestohlen wurde. Doch muss man anerkennend hinzufügen, dass es sich bei den Angestellten einiger Taxi-Unternehmen dieser Art um erstklassige Fahrer handelt, die im eleganten Anzug gekleidet und von ausgesuchter Höflichkeit sind, sich als Erstes vorstellen, sich nach dem Befinden des Kunden erkundigen, nicht nur das Gepäck im Kofferraum verstauen, sondern auch danach fragen, ob man Radio hören wolle und wenn ja, welchen Sender, ob man das Password für den Internet-Zugang brauche und ob die Klimaanlage genehm sei oder ob er sie abstellen solle, für den Fall, dass es doch etwas zu kalt sei im Innenraum des ansonsten blitzblanken Autos. Wenn ich da an die Taxifahrer in Südeuropa denke, muss ich leider feststellen, dass sie einem Vergleich mit den hiesigen Kollegen nicht standhalten können. Der südeuropäische Durchschnitts-Taxifahrer bevorzugt permanent Radiosender, auf deren Auswahl man als Kunde keinerlei Einfluss nehmen darf, und die uneingeschränkt Fußballspiele oder Interviews zum Thema Fußball übertragen oder bei denen fußballtreue Hörer um ihre Meinung zu einem weltbewegenden Fußballspiel-Detail gebeten werden, diese dann ganz aufgeregt beim Sender anrufen, sodass man alsbald Hörzeuge eines Streitgesprächs wird, bei dem sich alle Parteien schreiend und grölend fetzen. Zumindest akustisch. In besagtem südeuropäischen Taxi nimmt sich der dazugehörige Fahrer oft genug das Recht heraus, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen und sich im Glauben zu wiegen, dass er durch das Öffnen des Fensters einer potenziellen Missstimmung seitens des Kunden vorbeugen kann. Und just im gleichen Taxi ist es darum aufgrund besagten Fensters im Winter eisig kalt, im Hochsommer allerdings erbärmlich heiß, weil die Klimaanlage zwecks Sparmaßnahmen nicht in Betrieb ist.

Doch um wieder auf unseren Gärtner zurückzukommen: Zondi fährt mit einem Taxi ganz anderer Art zu seinem Cousin. Mit dem Minibus, der die Rolle des Gemeinschafts-Taxis übernimmt und von Weißen erst gar nicht in Erwägung gezogen wird. So why are you going to take the taxi and not the Rea Vaya? The bus must be more convenient, no? Was für ein Irrglaube, dem die Europäerin erneut unterliegt. Zondi klärt mich darüber auf, dass das Sammel-Taxi das billigste Nahverkehrsmittel in Südafrika sei und darum vorwiegend von der armen Bevölkerung genutzt werde. Die Fahrt beginne am sogenannten taxi rank, wo Hunderte von Taxis auf ihre Kundschaft warten, um sie innerhalb und außerhalb der jeweiligen Provinz zu bringen. They even go to Zim, Botswana or Mozambique. Das sprengt allerdings meine europäische Vorstellung von Nahverkehrsmitteln, wage ich entgegenzusetzen. Aber da Zondi aus Malawi kommt, hält er vermutlich die Strecke, die so ein Taxi bis zu den Nachbarländern Südafrikas zurücklegt, für a stone’s throw. Der commuter, der jeden Tag mit diesen Sammel-Taxen unterwegs sei und zwischen Wohnort und Arbeitsplatz hin und her pendle, gehe zum Taxistand, wo ein queue marshal für Ordnung sorge. Was für Berufsbezeichnungen es doch gibt, wende ich schmunzelnd ein, doch Zondi fährt unbeirrt fort. Dieser Marschall mit der eigenartigen Berufsbezeichnung also, wiederholt er, dürfe Fahrer und Pendler auf eine zugegebenermaßen recht willkürliche Art und Weise zurechtweisen und herumkommandieren.

Als Zondi mit seinen Ausführungen bezüglich des Taxistands zu Ende ist und mich erwartungsvoll anschaut, nehme ich das Gespräch wieder auf und teile ihm mit, was mir bis jetzt beim Fahren auf den Joburgern Straßen aufgefallen sei, dass nämlich viele dieser Mini-Busse in einwandfreiem und sauberem Zustand seien und ohne Weiteres einem europäischen Vergleich standhalten könnten. Allerdings, füge ich etwas kritisch hinzu, gebe es ebenso viele, die einen doch eher wackligen Eindruck vermitteln würden, in denen jede Fahrt verspreche, ein Abenteuer zu werden und höchstwahrscheinlich von den Gebeten der Insassen begleitet werde. Zondi schaut mich verständnislos an. Worauf ich hinaus wolle. Also werde ich konkreter und führe Beispiele an, die ein sicheres Fortbewegen des Fahrzeuges ausschließen. Ich hätte Heckscheiben gesehen, die keine mehr seien, aber durch eine Plane und mit viel Klebeband notdürftig zusammengehalten und somit permanent als eine alternative Klimaanlage fungieren würden. Und das sei keine Ausnahme gewesen, versuche ich ihm zu erklären. Einige Mini-Busse würden schrottreif oder wie gerade zusammengebastelt aussehen und für jeden anderen Autofahrer eine Art tickende Zeitbombe darstellen. Darum würde ich, einen der wichtigsten Tipps von locals befolgend, einen gebührenden Sicherheitsabstand von den Sammel-Taxis wahren. Vielsagend und schulmeisterhaft nickend erwarte ich Zondis Reaktion. Diese lässt nicht lange auf sich warten. Yes, you are right, South African taxis are crappy, very crappy! But European taxis are the best! They are cool! Er nickt strahlend und überglücklich, es auf den Punkt gebracht zu haben.

Das habe ich doch gar nicht gesagt. Habe ich das etwa gesagt? Etwas hilflos wechsle ich sicherheitshalber das Thema und frage nach Fakten, die keine Missverständnisse zulassen. So how much does the taxi cost, Zondi? Ich sehe seinem wichtigtuerischen Gesichtsausdruck an, dass er vorhat, zu einem längeren Vortrag auszuholen. In demselben Moment bereue ich es schon, gefragt zu haben. Ein Ticket koste 10 R pro Fahrt, sodass beispielsweise seine Verwandten relativ kostengünstig aus den ärmlichen townships zum Arbeiten in die weißen Wohnviertel und wieder zurück kutschiert würden. But Rea Vaya costs 12 R, Zondi versucht mit erhobenem Zeigefinger auf den Unterschied aufmerksam zu machen. Auf meine Frage hin, in welchem Fahrzeug es denn bequemer sei, gibt er zu, dass der Fahrer des Minibus-Taxis natürlich versuche, in den 15-Sitzer bis 24-Sitzer meist mehr Pendler hinein zu quetschen, damit sich die Fahrt für ihn rentiere. Bequemlichkeit werde somit dem Profit geopfert. Zondi lacht und spielt mir einen vollen Minibus vor, in dem er neben einer imaginären dicken Frau, einer big mama sitzt, auf deren Schoß sich etliche Körbe türmen, sodass er an die Tür gequetscht wird und kaum noch Luft holen kann. Ich lache mit, auch wenn es eigentlich nicht komisch, sondern eher traurig ist.

Do you know the rules? Zondi ist dermaßen in Fahrt, dass er jetzt alle Register zieht und ein detailliertes Seminar hält, auch wenn ich diese Kenntnisse nie in die Tat umsetzen werde. What kind of rules? frage ich, meine Ignoranz bezüglich südafrikanischer Regeln nicht verbergen könnend. Es folgt eine kinoreife Darstellung, bei der Zondi heftig gestikuliert. Im Minibus würden also laut Zondi konkrete Regeln herrschen, die durch eine gewisse Rollenverteilung untermauert würden. Da der Fahrer weder herausgeben könne noch wolle, müssten die Insassen Münzen dabei haben, die von Hand zu Hand bis zum Beifahrer gelangen, der die Rolle des Schaffners übernehme, das Geld für das Ticket entgegennehme und in den seltensten Fällen Wechselgeld herausgebe. Gleichzeitig seien der Beifahrersitz und die erste Reihe direkt dahinter für Behinderte und Leute, die viel Gepäck dabei hätten, vorgesehen. Allerdings habe er schon öfters erlebt, dass der Fahrer die Schaffnerrolle lieber mit einer netten jungen Frau besetze und die älteren Behinderten, die eigentlich Vorrang hätten, ganz nach hinten verfrachte, lacht Zondi mich an, wirft mir ein entwaffnendes You see! zu und zeigt gleichzeitig mit seinem Zeigefinger an die Schläfe, was in Deutschland so viel wie „du hast einen Vogel“ heißt, in vielen anderen Kulturen der Welt allerdings als Hinweis auf eine besonders spritzige und clevere Bemerkung gedeutet wird. Nun glaube ich auch zu wissen, warum seine Frau in letzter Zeit lieber in Johannesburg verweilt als in Malawi. Vermutlich nicht nur weil sie das Häuschen in Houghton Estate der Lehmhütte vorzieht. Zondi ist zwar kein Taxifahrer, verfügt aber offensichtlich über das gleiche testosterongesteuerte Verhalten wie diese.

Zondi fährt in seinen Ausführungen begeistert fort und erklärt mir die wichtige Rolle desjenigen, der an der Tür sitze, nämlich selbige bei jedem Anhalten zu öffnen und zu schließen. Also müsse er als door-keeper im Bilde darüber sein, wer wo austeigen wolle und das kurz davor dem Fahrer melden, damit dieser rechtzeitig ausschwenken, halten und … an dieser Stelle unterbreche ich Zondi und ergänze den Satz: … und ganz nebenbei die Autofahrer, die sich hinter ihm befinden, auf die Palme bringen kann. Mein schulmeisterhaftes Gehabe geht wieder einmal mit mir durch und ich halte dem armen Zondi eine Standpauke, wo er doch keinerlei Verantwortung für das Treiben der Taxifahrer trägt. Nichtsdestotrotz muss er sich das nun anhören, denn schließlich hat er sich dieses Gespräch selber eingebrockt, mit seinem grenzenlosen Mitteilungsbedürfnis bezüglich dieses Cousins in Soweto. Aus Erfahrung könne ich ihm sagen, dass die Minibus-Taxen ein öffentliches Ärgernis ohnegleichen für alle anderen Verkehrsteilnehmer darstellen würden, weswegen keiner, aber wirklich keiner gut auf sie zu sprechen sei. Wie oft sei ich schon Zeuge geworden, wenn die Minibusse bei hoher Geschwindigkeit minutenlang gefährlich eng nebeneinander gefahren seien, weil der eine den anderen gefragt habe, ob er ihm Kleingeld herausgeben könne. Das Geld sei dann jedes Mal durch die offenen Fenster gereicht worden, möglichst ohne dass die Wagen bei den wiederholten Schlenkern, die sie hätten machen müssen, seitlich gegeneinander geprallt seien. Für den Fahrer des Autos, der sich direkt dahinter befinde, sei diese Zirkusnummer eine regelrechte Herausforderung und mit Vorsicht zu genießen. Alle in Joburg – und vermutlich auch im restlichen Südafrika – wüssten, dass die Fahrkünste eines solchen Taxifahrers eben besondere seien und weniger mit den Verkehrsregeln zu tun hätten, die sie generell mit einer erstaunlichen Leichtigkeit außer Kraft setzen würden.

Mein erneuter Versuch, Zondi von dieser Gefahr, die besagte Minivan-Fahrer für die restlichen Verkehrsteilnehmer darstellen, in Kenntnis zu setzen, schlägt fehl. Er schaut mich verständnislos an und erst als ihm einleuchtet, dass mich irgendetwas an dieser Fahrweise zu stören scheint, schaltet er erneut auf servil und pflichtet mir wild mit dem Kopf nickend bei. Sofort hat er auch eine Erklärung dafür parat, die sogar plausibel klingt. Diese brothers – die schwarze Bevölkerung nennt sich hierzulande gegenseitig brother oder sister und benutzt auch die entsprechenden Kurzformen bro oder sis – würden das Fahrzeug immer nur pro Tag mieten, es gehöre ihnen also nicht und sie gingen entsprechend lieblos damit um. Aha, erwidere ich staunend und füge hinzu, dass Lieblosigkeit und Beherrschen der Verkehrsregeln zwei Paar Schuhe seien. Denn auch beim Fahren eines gemieteten Wagens müsse man blinken, was diese Kerle eben nie tun würden, sodass man jedes Mal aufs Neue überrascht werde, wenn besagter brother nach links oder rechts abbiege. Zondi nickt nur, doch sein Blick verrät mir, dass er nichts Verwerfliches an diesem Fahrverhalten entdecken kann. Auch dass sie oft bei Rot über the robot fahren und generell immer ordentlich aufs Gaspedal drücken, scheint seiner Meinung nach nicht gegen die Verkehrsregeln zu verstoßen.

Wie sieht es eigentlich mit den Haltestellen aus, möchte ich nun wissen, denn ich habe keinerlei Vorrichtungen am Straßenrand entdecken können. Das größte Problem sehe ich nämlich darin, dass die Taxifahrer nicht nur an den dafür vorgesehenen Haltestellen anhalten – wenn es denn welche geben sollte –, sondern auch an den nicht dafür vorgesehenen Stellen, um Leute einsteigen zu lassen. Auch diesbezüglich hat Zondi eine Antwort bereit. Jeder an der Straße stehende und auf einen Minibus wartende Kunde signalisiere dem Taxifahrer mit bestimmten Handzeichen sein Ziel. So bedeutet z.B. die Hand zur Faust geballt und den Zeigefinger nach unten zeigend – er macht es mir vorzüglich vor –, dass man nur ein Stück mitgenommen werden, also in der nächsten Umgebung bleiben wolle. Wenn der Zeigefinger allerdings nach oben schaue, bedeute das, dass man diesen Stadtteil verlassen und ins CBD wolle. Darüber hinaus gebe es eine Unmenge an weiteren Zeichen, deren Erlernen tatsächlich eine Wissenschaft für sich sei – er drückt es etwas anders aus, meint aber genau das – und fragt mich, sein Talent als Lehrer entdeckt habend, ob er mir auch noch die restlichen Signale zeigen solle. Ich winke ab, da ich vermutlich nie solch ein Sammel-Taxi nehmen werde.

Mich interessiert viel mehr das Fahrverhalten dieser pfiffigen Taxifahrer, damit ich mich darauf einstellen kann. Unter keinen Umständen wollen sie sich vermutlich die potenziellen Kunden entgehen lassen und halten darum überall, vorausgesetzt, es patrouilliert gerade keine Polizei im näheren Umfeld. Zondi hört sich meine Argumentation aufmerksam an und verzieht bei dem Wort police vielsagend das Gesicht zu einer Grimasse. Totally corrupt, they are useless because they are totally corrupt. But the European police is cool!

 

Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

 

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