14. Eine nette Nachbarschaft - Home Is Everywhere

von Christina Antoniadou

 

Es ist November, als wir in unser Haus einziehen und fast möchte man meinen, dass, wenn nicht ganz Johannesburg, so doch zumindest Houghton Estate zu diesem Anlass ein fliederfarbenes Kleid trägt. Entzückt stellen wir fest, dass dieser Stadtteil von Jacaranda-Bäumen und deren Blütenpracht durchwachsen ist. Sowohl die Firma, für die mein Mann arbeitet, als auch die relocation company definieren Wohnqualität jedoch weniger romantisch. Beide legen größten Wert auf beständigere Dinge, um die Auswahl des Hauses abzusegnen. Security wird in Südafrika groß geschrieben und dazu gehören sowohl hohe Mauern samt den elektrischen Kabeln obendrauf als auch Überwachungssystem nebst Alarmanalage. Die Bestätigung von allen Seiten, dass es sich bei Houghton Estate um eine sichere Nachbarschaft handelt, vermittelt uns ein gutes Gefühl, auch wenn es einiger Zeit bedarf, uns mit dieser ungewohnten Ästhetik abzufinden.

Erst Wochen später wird mir bewusst, dass es in unserer Nachbarschaft nicht nur sicher, sondern auch nobel zugeht, als ich nämlich auf der Heimfahrt im Radio ein Interview höre. Die Journalistin bedankt sich bei einem gewissen Herrn, dessen Name mit M beginnt, dafür, dass er sich die Zeit für das Interview genommen habe, wo er doch so beschäftigt sei und eigentlich schon längst zum Flughafen hätte aufbrechen müssen. Ich höre gelangweilt und nur mit einem Ohr zu. Es lohnt sich nicht mehr umzuschalten, denn gerade biege ich in unsere Straße, die 7th Street, ein.

Dort bietet sich mir ein sonderbarer Anblick. Vor dem Haus unseres Nachbarn, das ich aufgrund der hohen Mauern nie zu Gesicht bekommen habe, – den Nachbarn übrigens auch nicht – stehen 5 schwarze Limousinen mit aufgesetztem Blaulicht auf dem Dach. Die dazugehörigen Chauffeure stecken in schicken schwarzen Anzügen mit glänzenden Schuhen. Geschniegelt und gebügelt nesteln sie wie George Clooney an den Manschetten und ziehen diese sorgsam zurecht, nicht ohne sich dabei durch die dunkle modische Sonnenbrille in der reflektierenden Autotür zu begutachten. Meine Langeweile ist im Nu verflogen und ich halte etwas abseits an, um das edle Treiben aus angemessener Entfernung zu verfolgen.

Im Radio raspelt die Journalistin weiterhin süß in ihr Mikrofon, dass sie es sehr zu schätzen wisse, jetzt konzentriere ich mich aber auf den Namen dieses Herrn. Wem zum Kuckuck dankt sie die ganze Zeit so überschwänglich? Danke schön, Herr Motlanthe für das Interview … Und noch einmal: Mister Motlanthe. Many Thanks for joining us! This was Kgalema Motlanthe, Former President of South Africa. Ich habe also die ganze Zeit weggehört, während der ehemalige Staatspräsident des Landes interviewt wurde und sicherlich Gescheites von sich gab. Und während ich mit Bedauern feststellen muss, dass sich an meinen schlechten Gewohnheiten seit der Schulzeit nichts Gravierendes geändert hat, gerät die Armani-Besetzung des Nachbarn in Bewegung.

Einer zückt das Handy und spricht wichtig hinein, sucht dabei aber mit den Augen die Umgebung ab. Unsere Blicke treffen sich, er kommt auf mich zu und bittet mich in strengem Ton weiterzufahren. Auf meinen Hinweis, ich würde doch hier wohnen, entlocke ich ihm nur ein verächtliches Schnauben, gefolgt von der gereizten Antwort, dann solle ich mich eben nach Hause begeben. Und zwar sofort. Meine Irritation nur schwer verbergend entscheide ich mich dafür, seiner Anweisung Folge zu leisten und begebe mich in Richtung unseres Tores. Wieder klingelt sein Handy. Genervt schaut er auf seine Armbanduhr und bellt gleichzeitig etwas ins Handy hinein, von dem ich nur den Namen Motlanthe verstehe. Während unser Tor einige Sekunden zum Öffnen benötigt, komme ich nicht umhin, verstohlen nach links zu schielen, um zu beobachten, wie eine schwarze Limousine mit schwarzen undurchsichtigen Fenstern durch das Nachbartor hinausrollt, der sich alle anderen Limousinen anschließen. Es ist wie im Film. Sag bloß …, schießt es mir durch den Kopf, als ich hineinfahre.

Unser Gärtner Zondi aus Malawi hackt wichtigtuerisch in den Beeten herum und nachdem wir uns gegenseitig einen wunderschönen Tag gewünscht und – wie es sich nach südafrikanischer Art gehört – auch nach dem Befinden gefragt haben, stelle ich ihm die Frage, die mir auf der Zunge brennt. Zondi bestätigt mir, dass unser Nachbar tatsächlich keiner weniger als der ehemalige Staatspräsident ist. So nah am Geschehen wohne ich also, ohne es zu wissen. Und Zondi setzt mit einer heiteren Gelassenheit einen drauf und zählt auf, wer noch so alles um uns herum lebt, nämlich schräg gegenüber ein Minister und ein paar Hundert Meter weiter habe noch vor wenigen Wochen sogar der gute Nelson Mandela bis zu seinem Tode gewohnt. Ungläubig starre ich ihn an und frage ihn, warum er mir das nicht früher gesagt habe. Seine Antwort ist entwaffnend: You never asked.

Zondi lebt direkt im Häuschen nebenan, umgeben von der gleichen Mauer und den gleichen electric fences wir wir. Sein anfangs diskretes Verhalten entblättert sich immer mehr, bis eine ausgeprägte Redseligkeit zum Vorschein kommt, der ich oft nicht gewachsen bin, deren Vorzüge ich allerdings mit der Zeit auch zu schätzen lerne. So erfahre ich von ihm in hübscher Regelmäßigkeit, was sich in der Nachbarschaft abspielt, wer in welchem Haus wohnt, was für Berufe die jeweiligen Bewohner ausüben, woher sie ursprünglich kommen, welchem Gott sie huldigen. Ohne Zondi würde mir ein Großteil, was sage ich, alles, was sich in der Nachbarschaft zuträgt, entgehen.

Wie schon erwähnt, ist er es, der mir erklärt, dass die schwarzen Limos aus dem ganz einfachen und nachvollziehbaren Grund beim Nachbarn hinein- und hinausfahren, weil einem Ex-Präsidenten des Landes nun einmal Limousinen zustehen. Diesem Herrn Ex-Präsidenten sei es übrigens geschuldet, dass in der ganzen Straße nie, aber auch wirklich nie der Strom abgestellt wird, wie es in Joburg ansonsten häufig der Fall ist. Auch diese nicht unwichtige Information teilt mir Zondi mit, der von anderen Gärtnern und Putzfrauen erfährt, bis wohin sich der Stromausfall in der Nachbarschaft erstreckt.

Last weekend you really missed something! lässt mich Zondi an einem Montag im Mai ganz unvermittelt wissen und setzt dabei die entsprechende Miene auf. Neugierig geworden, frage ich nach, was sich denn so Weltbewegendes ereignet habe. The wedding! Motlanthe got married. I promise you, it was so busy and loud. Wie dumm von uns, am falschen Wochenende nach Kapstadt zu fliegen. Zondi erzählt sonst alles Mögliche aus der Nachbarschaft und ausgerechnet das hat er für sich behalten, obwohl er es bestimmt im Voraus wusste. Er möge doch bitte weitererzählen. Da war vielleicht etwas los! Shoo! Ich weiß inzwischen, dass dieser Begriff in Südafrika dazu dient, alle möglichen Gefühlsregungen auszudrücken. An dieser Stelle meint Zondie vermutlich soviel wie „Mann-o-Mann“ oder „Alle Achtung“. Überall auf der Straße geparkte Autos, denn es war alles da, was Rang und Namen hat. Auch Zuma und Ramaphosa. Logisch, denke ich, schließlich hat der ehemalige Präsident des Landes geheiratet.

President Jacob Zuma made a brief speech, bei diesen Worten nickt Zondi ununterbrochen. Zuma habe bei seiner Rede betont, dass das Brautpaar das ideale Datum für die Hochzeit gewählt habe. Ich werde stutzig und frage ihn, was es denn so Besonderes mit dem Datum auf sich habe. Zondi schaut mich mit strafendem Blick an und klärt mich auf: Der 10. Mai ist das Datum, an dem Nelson Mandela das Amt übernahm. Als Präsident Südafrikas. Als erster demokratisch gewählter Präsident. Als erster Schwarzer nach dem Ende der Apartheid. Erneut bin ich weniger im Bilde als unser Gärtner.

Hat er die Rede denn so laut gehalten, dass man sie bis hierhin hören konnte? frage ich ihn etwas ungläubig. Er schüttelt lächelnd den Kopf und erklärt, dass die Köchin von nebenan es ihm erzählt habe, genauso wie die Hintergrundinformation, dass das Paar schon lange vorher liiert gewesen sei. It was a lavish ceremony, I tell you! Zondi scheint von dieser Hochzeit sehr angetan zu sein. Warum wundert es dich, dass es verschwenderisch zuging? Mich würde das Gegenteil beeindrucken. But how do you know? Plötzlich beschleicht mich ein Verdacht: Sag bloß, du bist da hoch geklettert, um über die Mauer zu schauen? und dabei zeige ich die Stelle, an der es möglich wäre, die Nachbarn ganz unverfroren zu beobachten. Noooo, I would not dare, Zondi schüttelt heftig den Kopf und reißt dabei die Augen auf, bestürzt darüber, dass ich ihn einer solchen Dreistigkeit für fähig befinde. Die Köchin von nebenan habe es ihm erzählt und ihm auch Einzelheiten bezüglich der Braut und ihres Brautkleides geschildert, she desribed Gugu Mtshali´s designer dress as very beautiful and stylish, her wedding dress had lace and beads. It was a mermaid dress! Besagte Information wundert mich nicht im Geringsten, denn wenn die Frau eines Ex-Präsidenten kein wunderschönes Nixen-Brautkleid mit Spitze und Perlen trägt, wer dann, bitte schön? Vielmehr runzle ich die Stirn, weil ich zum ersten und vermutlich auch letzten Male einem Mann gegenüber stehe, der mit solch einer Begeisterung Details eines Hochzeitskleides beschreiben kann. Doch Zondi lässt mir keine Zeit, noch mehr Gedanken daran zu verschwenden: The ceremony was conducted by Anglican Archbishop Thabo Makgoba, you know. Ob er das auch von der Köchin next door wisse. Er schüttelt den Kopf. Nein, das habe er im Fernsehen gesehen. Genauso wie die Tatsache, dass 300 Gäste gekommen seien. Ach, Journalisten waren auch da? frage ich etwas naiv. Nach alldem, was ich schon über die Hochzeit weiß, sollte mich das am wenigsten stutzig machen. Sure! Dutzende von Pressefotografen warteten auf dem Bürgersteig darauf, dass sich das Brautpaar auch außerhalb der Mauern zeigt. 

Meine Augenbraue hüpft etwas ungehalten hoch. Und? Haben sie sich gezeigt? Zondi zuckt mit den Achseln: Wir konnten nicht hinaus auf die Straße. Es war ja alles bewacht. Wie gut, dass wir nicht da waren, denke ich. The neighbours struggled to get to their homes because of the traffic around here, fügt Zondi noch hinzu. Das sind halt die Nachteile, wenn man einen so hohen Politiker zum Nachbarn hat, der noch dazu im eigenen Garten seine Hochzeit feiert.

Wenn man ein solch Aufsehen erregendes Ereignis wie die Hochzeit des Politiker-Nachbarn verpasst, ist es nicht verkehrt, einen Gärtner wie Zondi zu haben, der alles in komprimierter Zusammenfassung wiedergeben kann. Aber auch in anderen Fällen ist auf Zondi Verlass, vor allem wenn es darum geht, Informationen über die Nachbarschaft einzuholen. So weiß er auf Anhieb die Lösung, als eines Tages ein Papagei laut arriba muchachos krächzend mit seinem Schnabel an unsere Scheibe klopft. Zondi schnappt sich den Kerl ohne große Umschweife und bringt ihn dem Nachbarn zurück, über den ich bei dieser Gelegenheit erfahre, dass er José heißt und – wie nicht anders zu erwarten – aus Spanien kommt.

Unser Gärtner ist im Bilde darüber, dass die indisch-muslimische Familie von nebenan mitsamt den sechs Kindern im Begriff ist, das Haus an ein Paar aus Schottland zu verkaufen, ohne dass mir je ein Schild mit der Aufschrift „for sale“ aufgefallen wäre. Auf meine Frage nach der Anzahl der schottischen Kinder bekomme ich ein Kopfschütteln als Antwort und kann ein triumphierendes Schmunzeln nur schwer unterdrücken. Zu tief sitzen die peinigenden Kreischlaute, die die sechs entzückenden Kinder mit äußerst gesunden Stimmbändern an jedem Wochenende von sich geben, während sie das allerlieblichste Geplansche im Swimming Pool veranstalten. Dabei steht es außer Zweifel, dass sie den Hadedas den Rang ablaufen wollen, indem sie die Bewohner des Nachbarhauses, also uns, möglichst zerzaust aus dem Bett scheuchen.

Als mir die renommierte Frauenärztin next door eines Tages eine wunderschöne Einladung zur Feier ihres 60. Geburtstages überreicht, tue ich ganz überrascht und bedanke mich herzlich dafür, ohne dabei zu erwähnen, dass ich schon Wochen vorher den Hinweis bekommen habe – drei Mal darf geraten werden, von wem –, dass wir bei der Xhosa-Nachbarin eingeladen sein würden.

Jedes Mal, wenn der gute Zondi mich zwischen Autowaschen und Rasenmähen von solch weltbewegenden Details in Kenntnis setzt, versuche ich mir vorzustellen, welche Einzelheiten aus unserem Privatleben womöglich in der Nachbarschaft die Runde machen könnten. Und ich muss gestehen, mir wird dabei etwas unbehaglich zumute.

 

Herzlichen Dank an Ute Petkakis für das Gegenlesen!

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